Kapitel 4

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Vor mir stand nicht Aylin, sondern Tuna. Verärgert rollte ich meine Augen und sprach zu ihm in einem kalten Ton. "Was willst du?" Man sah ihm sofort an, dass ihn diese Aussage gekränkt hatte, er war sehr verletzlich. Er sah auf den Boden, während er mit seinen Fingern spielte. Das tat er immer, wenn er zögerlich handelte. Ich beobachtete ihn dabei und sein gepflegtes Erscheinen wurde wieder einmal durch seine Äußerlichkeiten hervorgerufen. Sein breit gebauter Körper und seine starken Arme, die er mit einem hautengen T-shirt betont hatte. Seine stinknormalen braunen Augen, die einen blitzschnell in seinen Bann ziehen konnten und seine Haare, ich liebte sie. Sein Duft, den ich unauffällig einzog und lächeln musste, denn das war Tunas Duft, so roch er immer.
Als er seinen Kopf hob und mein Lächeln erblickte, zögerte ich nicht lange.
"Komm rein, cano (Freundschaftlich, wie Schatz)"
Er zwinkerte mir zu und stolzierte in meine Wohnung herein. Ich beobachtete ihn dabei, wie er sich von seinen Nike Free's befreite und sich ins Wohnzimmer begab. Er ließ sich auf die Couch fallen und vergriff sich an dem Knabberzeug. Ich war angelehnt an dem Türrahmen, während ich ihn beobachtete.
"Krieg ich keine Begrüßung?"
"Du bist doch sowieso wütend.", schmatzte er. Der Anblick war ziemlich lustig, weshalb ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte. Ich wartete darauf, dass er mich in seine starken Arme nahm und ich seine Nähe zu spüren bekam, ich hatte ihn so sehr vermisst. Als ich realisierte, dass er nicht daran dachte mich anständig zu begrüßen, verzog sich meine Miene und langsam aber sicher schritt ich in die Küche, um mir einen Kaffee zuzubereiten. Auch nach gefühlten Minuten bekam ich nichts von Tunas Anwesenheit mit und ehrlich gesagt machte es mich traurig, denn normalerweise war Tuna ein sehr warmherziger und liebevoller Mensch, was er die Leute in seinem Umfeld gerne spüren ließ. Genervt aß ich eine Salzstange nach der anderen, während ich an meiner Kaffeetasse nippte.

Inzwischen war sogar die Tasse leer und ich stand auf, um sie in die Spülmaschine zu räumen, bis ich zwei Arme auf meinem Bauch spürte und einen Kopf, der sich auf meinem Nacken niederlegte. Ich erschrak ein wenig, da es ziemlich plötzlich kam, doch ich liebte es, wenn er mich von hinten umarmte. Er gab mir einen zarten Kuss auf die Wange und löste sich schließlich.
"Tut mir leid, ich habe überreagiert.", murmelte ich. Ich war kein Mensch, der etwas von Entschuldigungen hielt. Eigentlich tat ich es meinem Stolz und meinem Ego zu Liebe nie, doch ich hatte Tuna zu sehr vermisst und ich wollte nicht, dass wir uns stritten. Man sah ihm deutlich an, dass es ihm gefiel.
"Was, nochmal?"
Da ich mir sicher war, dass er es gehört hatte, schwieg ich.
"Was machst du überhaupt hier?", ich versuchte etwas abzulenken.
"Darf ich dich nicht besuchen?"
Ich beobachtete ihn, wie er nervös wurde und sich auf einem Stuhl niederließ.
"Ist was?", wollte ich wissen.
Er senkte seinen Kopf, es schien, als schämte es sich für etwas, was mir allerdings nicht sonderlich einleuchtete. Ich setzte mich auf den Stuhl gegenüber und nahm seine Hand in meine. "Was ist denn?"
Blitzartig hob er seinen Kopf und lachte laut los. Ich verstand nicht, was so lustig war. "Wieso lachst du?" Die Verwirrung war mir wie ins Gesicht geschrieben, doch er lachte lauter. Aus seinen Wörtern, die er undeutlich aussprach, weil er lachte, konnte ich nur ein "Verarscht, man." heraushören. Ich ließ sofort seine Hand los und lief mit zügigen Schritten weg. Immernoch lachend sprang er mir förmlich hinterher. Seine positive Energie und seine harmonische Art steckten mich auf Anhieb an und eine Weile waren wir nur am Lachen, bis schließlich mein Bauch wehtat.
Nun hatten wir beide aufgehört, wir saßen im Wohnzimmer und eine ungewohnte Stille plagte den Raum, bis er sie letztendlich brach.
"Kann ich heute hier schlafen? Denk nichts falsches, ich kann nicht nach Hause."
Fragend sah ich ihn an. "Natürlich kannst du, aber wieso?"
Die Situation war ihm regelrecht peinlich, was ich süß fand. Im nächsten Augenblick grinste ich vor mich hin.
"Ich hab mich ausgesperrt und wollte den Ersatzschlüssel von meinen Eltern holen, aber die sind 2 Wochen weg."
"Ja natürlich kannst du bei mir bleiben, ruf mal Morgen einen Schlüsseldienst an."
Nickend kam er auf mich zu und ich dachte, dass er mich jetzt umarmen würde, weshalb ich meine Arme bereit hielt. Doch stattdessen war ich seinen Händen ausgeliefert, die mich erst vorsichtig kitzelten, doch ich war sehr empfindlich. Es war zwar schon ziemlich spät, aber wenn man mich kitzelte, konnte ich nicht anders als herumzukreischen. Als er aufgehört hatte gab ich ihm eine feste Faust und fluchte, doch die Faust schien ihn nicht zu stören. Ich schlug mehrmals gegen seine Brust, doch er lachte nur. Diese Momente, in denen wir gemeinsam herumalberten, waren für mich Goldwert.
"Ich mach dann dein Bett." sagte ich nach einer gefühlten Stunde und holte einige Sachen aus meinem Schrank. Ich platzierte eine Decke und ein Kissen auf der Couch.
"Özge?"
"Ja, cano?"
Er zögerte.
"Hast du vielleicht paar Sachen von Umut hier? Also was lockeres, zum Schlafen."
Da mein Bruder ins Gefängnis nicht seinen gesamten Schrank mitnehmen konnte, hatte er vieles bei mir gelassen. Ich bejahte und suchte ihm eine Jogginhose und ein lockeres T-Shirt heraus. Bevor ich es ihm übergab, zog ich noch einmal diesen unfassbar wunderschönen Duft in mich hinein. Tuna, der das bemerkte, richtete sich augenblicklich auf, um mich in seine Arme zu nehmen. Eine Weile standen wir im Raum herum und umarmten uns. Ich erwiderte seine Umarmung und wir waren uns sehr nah, ich genoss es. Ich fühlte mich so wohl bei ihm, als wäre es Umut Abi, der mich in seine starken Arme nahm und mir das unglaublich tolle Gefühl von Geborgenheit vermittelte. Ich bemerkte nicht, dass mir einige Tränen über das Gesicht gelaufen waren. Tuna löste sich von mir und nahm mein Gesicht in seine Hände. Mit seinen Daumen strich er mir die Tränen weg und verpasste mir einen sanften Kuss auf die Stirn.
"Er ist unschuldig.", hauchte er mir ins Ohr und umarmte mich wieder.

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Ömür Boyu (Ein Leben lang)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt