Kapitel 37

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Wir redeten nicht, doch bei jedem Blickkontakt lächelten wir uns gegenseitig an und unser gemeinsames Wohlergehen bereitete mir wahrhaftig Freude. Nach ungefähr fünf Minuten waren wir auch schon auf dem Berg angekommen und hier oben wehte der Wind stärker als unten, es war auch wesentlich frischer und kühler, sodass ich ab und zu etwas fror und dadurch zitterte. Wir blickten gemeinsam runter und betrachteten das tolle Bild der Mutter Natur, ich liebte sie. "Gefällt es dir?" "Natürlich, was für eine Frage.", erwiderte ich kichernd. Er näherte sich mir mit langsamen Schritten und strich mit seinen Händen über meine Arme, diese Geste verschnellerte wie so oft den Rhythmus meines Herzschlages, doch ich versuchte, es zu ignorieren. "Ist dir kalt?" Ich zuckte leicht mit den Schultern. "Bisschen." "Komm mit.", forderte er mich auf und schon lief er voran, ich hinterher. Er führte mich auf eine Terrasse, von welcher man einen tollen Ausblick auf den See und die Landschaft drum herum hatte. Auf der Terrasse befanden sich Kissen zum Hinsetzen, auf welchen wir uns niederließen. Bugra griff nach einer Decke, welche sich ebenfalls in unserer Nähe befand und deckte mich damit zu. Dieser Moment war kostbar, sehr kostbar. Er kümmerte sich rührend um mich, es gefiel mir so sehr, weshalb ich auch ins Schmunzeln kam. Er setzte sich nun auf ein Kissen neben mir und lehnte sich nach hinten. Ich hingegen blieb aufrecht sitzen und beobachtete reglos die Ferne. Die Stille war ziemlich angenehm und mir war wohlig. Allerdings vermochte Bugra diese dominante Stille zu brechen. "Wir waren hier fast jedes Wochenende, als mein Bruder und ich kleiner waren.", sprach er und im nächsten Augenblick wanderten meine Blicke zu ihm und ich musterte sein schönes Lächeln.

Er hatte mir bereits öfters von seiner Familie erzählt. Obwohl sein Vater ein vielbeschäftigter und angesehener Rechtsanwalt war, hatte er viel Zeit für das Familienleben gehabt, was ich toll fand. Heutzutage geben Leute solch ein Familienleben für die Karriere auf und sehen ihren Kindern somit nichtmal beim aufwachsen zu. Von seinem Bruder hatte er mir ebenfalls viel erzählt, er war bereits dreißig Jahre alt, verheiratet und hatte einen kleinen, einjährigen Sohn.

"Hier gibt es übrigens auch Freizeitaktivitäten." Er machte eine kurze Pause "Beispielsweise einen Kletterpark oder man kann Quad fahren, das macht unheimlich Spaß. Wollen wir später mal?" Ich schüttelte hastig den Kopf und riss dabei die Augen auf. "Niemals!", gab ich fest entschlossen von mir und musste bereits bei dem Gedanken die aufsteigende Angst in mir spüren. "Wieso nicht?" "Ich mag das nicht.", kam es zögerlich von mir und ich wandte meinen Blick von seinen ergreifenden Augen ab. "Hast du Angst?", sagte er in einem Ton, sodass ich sein freches Grinsen bereits vor Augen hatte. Ich drehte mich erneut zu ihm und somit bestätigte sich mein Gedanke, weshalb ich ihm gegen seinen kräftigen Oberarm boxte. "Etwas.", gab ich anschließend zu und blickte auf den Boden. "Hat das einen Grund?", fragte er mich nun sichtlich amüsiert, woraufhin ich lustlos mit den Schultern zuckte. "Sag doch!", forderte er mich auf und schlug mir ebenfalls recht leicht auf die Schulter, dennoch hielt ich reflexartig meine Hand auf die betroffene Stelle und stieß ein entsetztes "Aua!" aus. "Ach komm schon, das tat doch nicht weh.", lachte er. "Doch, das-" "Weich nicht vom Thema ab, also wieso hast du Schiss?", hallte es noch immer lachend in mein Ohr, doch er erntete lediglich genervte Blicke von mir, was ihn sichtlich noch mehr erfreute. "Los jetzt!", sprach er mir nun etwas ernster zu, woraufhin ich nachgab. "Ich bin mal alleine damit gefahren vor zwei Jahren und.." Er hörte gespannt zu, doch ich zögerte. Nicht, weil es mir in irgendeiner Weise unangenehm war oder weil es etwas Schlimmes war, sondern weil ich ganz genau wusste, dass er sich über mich lustig machen würde. "Weiter!", murmelte er nun ebenfalls sichtlich genervt davon, dass ich es hinauszögerte. Ich grinste ihm keck zu und fuhr anschließend fort. "Ich weiß nicht genau, was ich da gemacht habe.. aber.. ich bin mitsamt des Quads seitwärts umgekippt." Ehe ich mich versah, schossen bereits lauthalse Gelächter aus seinem Mund und er sprach undeutlich zu mir. "Ist dir denn was passiert?" Ich schüttelte peinlich berührt den Kopf, doch aufgrund seines unfassbar ansteckenden Gelächters lachte ich augenblicklich mit. Es klang unfassbar schön und irgendwie freute es mich, dass sozusagen ich der Grund für dieses besinnliche Lachen war, welches wie eine himmlisch süße Sinfonie durch meine Ohren zog. Wir lachten ungemein lange, bis wir uns vor lauter Gelächter schließlich an den Bäuchen hielten und immer ruhiger wurden. "Wir fahren trotzdem damit!", sagte er nun ungewohnt euphorisch und nicht wie üblich in diesem ernsten und gleichzeitig neutralen Tonfall. Ich schüttelte hastig den Kopf, ich traute mich nicht. "Doch!", sprach er leise. "Nein.", erwiderte ich und verdeutlichte meine Aussage dabei besonders mit meinem Mund, indem ich ihn dem Wort entsprechend genaustens formte. Ein letztes Mal sah er mich süffisant an und wandte seinen Blick anschließend von mir ab, doch er sprach weiter. "Willst du was essen oder trinken?" "Nein.", gab ich ohne zu überlegen von mir und dabei bemerkte ich die plötzliche Kälte, die auf unserer Zweisamkeit ruhte. Ich wusste nicht, was geschehen war, doch plötzlich war die Wärme vom vorherigen Augenblick vergangen und wir benahmen uns distanziert, das wollte ich nicht über mich ergehen lassen. Eine kurze Weile herrschte Ruhe, doch Bugra brach sie kurz darauf, indem er plötzlich nach meinem Handgelenk griff und mich nicht allzu sanft hochzog, sodass ich erschrocken aufquiekte und ihn entgeistert ansah. Noch bevor ich fragen konnte, was denn los sei, redete er los. "Komm einfach mit und stell keine Fragen.", sprach er überaus harmonisch und ließ mein Handgelenk daraufhin los. Somit stellte ich keine Fragen und folgte ihm, doch ich kam nicht wirklich hinterher, da er wieder einmal mit seinen zügigen und dazu großen Schritten voran lief, sodass ich förmlich zum Hinterherjoggen gezwungen war. Ehe ich mich versah, waren wir bereits angekommen. Zu meinem Leid meinte er das mit dem Quadfahren ernst, doch ich würde stur bleiben und mich weigern. "Komm schon." Bugra wollte mir seine Hand reichen, doch ich griff nicht nach ihr. Dennoch blieb seine Hand erhoben und er forderte mich mit seinen Augen dazu auf, mitzukommen. Ich schüttelte den Kopf und sah ihm dabei zu, wie er sich auf eines der vielen großen Quads setzte und mich nach wie vor mit seinen wundervoll schimmernden Augen anblickte. "Fahr du, ich warte hier.", gab ich mit einem erzwungenen Lächeln von mir und am liebsten würde ich auch ihn davon abhalten, da ich eine viel zu große Angst hatte, doch es würde bei ihm nichts bringen. Er deutete auf ein freies Quad. "Setz dich drauf, es ist doch nicht schlimm." Erneut schüttelte ich fest entschlossen den Kopf. Er schnaubte nun laut auf und ein weiterer Mann kam dazu und erklärte ihm, wie er das Quad zu bedienen hatte und ähnliche Sachen. Bugra nickte immer zustimmend und setzte anschließend einen Helm auf. Nun wandte sich der Mann zu mir und sprach mich an. "Wollen sie nicht auch damit fahren?" "Nein danke.", erwiderte ich ohne zu zögern und lächelte ihn dabei freundlich an. Nach einigen Wörtern, die wir miteinander gewechselt hatten, verschwand er wieder und Bugra sah mich etwas ernst an. "Fahr doch mit mir.", schlug er mir vor, doch ich lehnte ab. "Komm schon." Er wollte mir die Hand reichen und dabei bildete sich ein atemberaubendes Lächeln auf seinen vollen Lippen und seine blanken gepflegten Zähne kamen zum Vorschein. "Bugra, ich will wirklich nicht." "Ach komm schon, du klammerst dich einfach an mir fest und vertraust mir. Vertraust du mir?", fragte er plötzlich unerwartet. "Ja schon, aber-" "Komm.", forderte er mich auf und seine Hand hatte er dabei nicht einmal gesenkt.

Ömür Boyu (Ein Leben lang)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt