Kapitel 9

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Er näherte sich mir immernoch, was mittlerweile fast unmöglich war, da wir schon förmlich aneinander klebten. Urplötzlich bekam ich Angst, welche mir offensichtlich ins Gesicht geschrieben war. Angst, meine Gefühle zu zeigen und Angst davor, enttäuscht zu werden. Burak, der wohl diese Angst bemerkte, schnaubte auf und löste sich wieder ein bisschen von mir. Nun war ich erleichtert, doch seine starken Arme, die er um meine Hüften gelegt hatte, befanden sich immernoch da. Erwartungsvoll sah ich ihn an, zögerlich brachte er einen Satz heraus.
"Du bist mir viel zu wertvoll dafür."
Er nahm seine Arme weg und kratze sich am Oberarm. Meine Augen öffnete ich erst, doch mein Herz wollte nicht aufhören wie wild zu rasen. Ich senkte meinen Blick auf den Boden. Ich war nicht mehr am Baum angelehnt. Dieser Moment war unerträglich für mich. Ich konnte mir das hier nicht weiter geben, weshalb ich mich von ihm wegdrehte. Ich atmete tief durch, doch meine Gefühle wollten sich nicht legen. Ich stand nun mit dem Rücken zu ihm starr da, bis er seine Arme erneut um
meine Taille schlang und mich zu ihm drehte.
"Ich ertrage es nicht länger, Özge. Ich will dich zurück.", diese Aussage war in meinen Augen erbärmlich. "Hast du in den zwei Jahren ein einziges Mal darüber nachgedacht, wie es mir wohl ging? Denkst du, du kannst einfach wieder in mein Leben treten und ich werde dir alles vergeben? Wofür hältst du mich?"
Er zog mich näher an sich heran und wischte mir eine Träne aus dem Gesicht, welche ich nichtmals bemerkt hatte. In seinen eisblauen Augen war ein trauriger Schimmer zu erkennen, er zog mich immernoch näher an sich heran.
"Lass das."
"Ich will deine Nähe spüren. Jeden Tag. Jede Stunde und jede verdammte Sekunde will ich deine Nähe spüren, sie bringt mich um den Verstand."
Ich versuchte ihn von mir wegzuschubsen, doch ich schaffte es nicht.
"Ich wohne hier in München, schon seit zwei Wochen. Ich habe bereits die Scheidung eingereicht und das Trennungsjahr läuft. Liebe mich oder hasse mich, aber gib mir noch eine verdammte Chance. Ich kann nicht ohne dich, mein Engel."
Sein Blick verschärfte sich und ernst sah er mich an. Er blickte abwechselnd in meine Augen, anschließend auf meine Lippen.
"Ich will im Moment nur noch deine Lippen spüren, ich habe sie vermisst. Doch du bist mir zu wertvoll."
Seine Wortwahl machte mich sehr nachdenklich und in irgendeiner Weise sehr glücklich. Er hatte seine Frau niemals geküsst und er liebte nur mich. Ich glaubte ihm jedes Wort, er müsste nur reden. In seiner Anwesenheit war ich anders, er machte mich verrückt. Er raubte mir den Atem und bei ihm vergaß ich die ganze Welt. Mir kullerten unzählige Tränen die Wangen hinunter, jede einzelne wischte er mit seinen warmen Daumen weg. Ich war ihm zu wertvoll für einen Kuss. Er hatte mich vermisst, meine Anwesenheit vermisst. Er war für mich nach München gezogen. In mir herrschte ein unerklärliches Chaos und ich wusste nicht, was ich fühlen sollte.
"Gibst du mir eine zweite Chance? Gibst du uns eine zweite Chance? Gibst du denn unserem Glück eine zweite Chance, mein Engel?"
'Mein Engel', als er so mit mir sprach, konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen, doch ich wollte das nicht hier und jetzt entscheiden, ich war viel zu aufgebraust.
"Gib mir Zeit, ich werde darüber nachdenken." Mit diesen Worten lockerte sich sein Griff und er verpasste mir einen sanften Kuss auf die Stirn. Ohne ein weiteres Wort und ohne ihm ein letztes Mal in die Augen zu schauen, verließ ich den Park.
Ich machte mich auf den Weg zum Auto, als ich von einer Person zurück gezogen wurde und direkt in diese leuchtend grünen Augen sah.
"Özge, hast du geweint?", kam es schockiert aus Bugras Mund. Was war das für eine Frage? Sah man das etwa nicht?
Ich zog beide Augenbrauen zusammen, runzelte die Stirn und blickte ihn schief an.
Er lächelte kurz, bis er mich in seine Arme nahm und ich die Umarmung unbedacht erwiderte. Seine muskulösen Arme waren um meine Hüften gebunden und seine Bauchmuskeln konnte ich ebenfalls spüren. Ich dachte nicht nach, ich brauchte einfach eine Person in diesem Moment, die mich tröstete. Als er bemerkte, dass mir ununterbrochen Tränen über die Wangen liefen, verschärfte sich sein Blick und etwas entsetzt war er. Er packte mich sanft an den Schultern, wodurch ich automatisch meinen Kopf hob und ihm direkt in die Augen blickte. So schön waren sie, so schön grün.
"Hey, was ist denn los?", er klang ziemlich besorgt, doch ich wollte ihm nichts anvertrauen. Als ich merkte, dass ich ihn immernoch fest umklammerte, ließ ich sofort los.
"Ach nichts.", schniefte ich, während ich mir hilflos ein Taschentuch griff und mir die Nase putzte.
"Das hier sieht mir nicht nach nichts aus. Komm mit, lass uns reden."
Er nahm vorsichtig meine Hand, doch sofort ließ ich los. "Ich kenne dich nicht, besser wenn ich nach Hause gehe." Mit diesen Worten machte ich mich auf den Weg zu meinem Auto und ohne weiterhin an Bugra zu denken, geschweigedenn ohne mich ein letztes Mal umzudrehen, fuhr ich Heim. Als ich angekommen war, rief ich Aylin und Tuna zu mir, ich brauchte einfach meine Freunde zum Reden.
Als ich das Klingeln der Türe hörte, öffnete ich sie und bat die beiden herein. Sie klangen ziemlich besorgt und forderten mich auf, ihnen alles zu erzählen.
Aylin und Tuna waren die Personen in meinem Leben, die alles über mich wussten. Sie wussten über meine ganze Vergangenheit Bescheid und ich über ihre.

Nachdem ich ihnen alles erzählt hatte, waren sie entsetzt.
"Schämt er sich nicht? Erst lässt er dich fallen, danach kommt er angekrochen. Bestimmt, weil es in seiner Ehe nicht gut lief. Vertrau ihm ja nicht!", sprach Aylin in einem wütenden Ton.
"Aylin, chill mal. Der Junge kämpft. Er wurde Zwangsverheiratet, versteht das mal. Er lässt sein ganzes Leben liegen, nur für dich Özge! Er kämpft um dich, er hat seinen Fehler begriffen. Wenn du immernoch das Selbe empfindest, würde ich ihm eine zweite Chance geben." Tuna sprach im Gegensatz zu Aylin nicht aufgebracht sondern eher beruhigend zu mir. Die Meinungen waren gespalten, ich wusste nicht, was ich denken sollte.
Die beiden lenkten mich ab und gemeinsam machten wir uns einen schönen Abend. Im Laufe des Abends kam ich jedoch erneut auf Bugra zu sprechen, auf den Vorfall im Café und auf Heute.
"Er soll nicht rumspinnen, schließlich-"
Aylin wollte weiterreden, doch Tuna unterbrach sie schlagartig mit einem unheimlich starken Schlag auf den Tisch. Blitzartig zerbrach die Glasscheibe meines kleinen Tisches in unendliche Scherben, welche schrill auf den Boden prallten. Plötzlich war jeder still und es erklang nur noch das Echo des Schlages. "Tuna, du blutest.", gab ich kleinlaut von mir.
"Jetzt hörst du mir mal zu und hältst deine Schnauze!", schrie er mir mitten ins Gesicht. Hilflos blickte ich zu Aylin, welche mir ebenfalls einen beängstigten Blick zuwarf und mit den Schultern zuckte. Die Wut war ihm ins Gesicht geschrieben und wie ein Verrückter schrie er drauf los, währenddessen zitterte er am ganzen Leib vor Wut. Normalerweise war Tuna kein aggressiver Mensch, was war in ihn gefahren?

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Ömür Boyu (Ein Leben lang)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt