Kapitel 41

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Nach einigen letzten tröstlichen Worten besiegelten wir nun das Thema und Umut startete ein neues. "Wie geht es Özlem und.. unserer Mutter?", bei dem Wort 'Mutter' konnte man die pure Ironie leicht heraushören. "Gut, denke ich. Özi hat einen Freund. Unsere Mutter wollte mich mal wieder zu sich holen und uns voneinander trennen. Hab sie letzten im Supermarkt gesehen, ihre Mitleidsnummer war erbärmlich." "Özlem hat einen Freund? Hatte sie dir etwa nicht davon erzählt?"
"Nö, hab sie zufällig mit ihrem Freund in der City gesehen, sie hat mich bloß dumm angemeckert. Der Typ war aber nett, er will ihr bald einen Heiratsantrag machen." "Denkst du, wir sind dann eingeladen?", fragte er mit einer Verwirrung, so als wäre es nicht selbstverständlich. Naja, er hatte Recht, es war nicht selbstverständlich. Ich rechnete nicht damit. Ich überlegte kurz und antwortete ihm schließlich mit einem kurzen "Nö, wieso sollte sie uns einladen?" "Wir sind doch ihre Geschwister." "Für sie sind wir Dreck Abi, vor allem du. Das ist die bittere Wahrheit. Wenn sie erst einmal erfahren, dass du freigesprochen worden bist, werden sie angekrochen kommen. Sie haben dich zu Unrecht verurteilt, sie werden es so bitter bereuen und wir werden sie diejenigen sein, die sie abweisen." "Insallah.", antwortete er leise.
Für eine geräumige Zeit herrschte Stille, doch auch dieses dominante Schweigen vermochte ich zu brechen. "Willst du lieber in meinem Bett schlafen? Du hast ein bequemes Bett sicherlich vermisst" "Nein prensesim. Das ist dein Bett, Sofa ist genauso bequem." Er zwinkerte mir zu und zog sein T-Shirt aus, wodurch seine faszinierende Muskulatur zum
Vorschein kam. "Gute Nacht.", sagte er und drückte mir währenddessen einen Schmatzer auf die Stirn. "Gute Nacht.", murmelte ich vor mich hin und schlich aus dem Wohnzimmer, nicht ohne das Licht auszuschalten.
Als ich am nächsten Morgen vorsichtig in das Wohnzimmer blickte, war Umut nicht da. Ich suchte ihn in der Wohnung, doch ich wurde nicht fündig. Schlussendlich begab ich mich in die Küche, wo ich ein fabelhaft zubereitetes Frühstück und einen kleinen Zettel sichtete. Ich näherte mich dem Tisch, um die Schrift besser lesen zu können. "Bin mit den Jungs draußen, guten Appetit" Die kleine zuckersüße Mitteilung hatte er mit einem Smiley geziert und auch mir hatte er ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Also machte ich mich ans Essen. Es war ziemlich ungewohnt morgens aufzustehen und zu wissen, dass man nicht in die Uni musste, es war jedoch sehr befreiend. Heute wäre mein letzter Arbeitstag im Café, bevor ich zwei Wochen Urlaub bekam. Morgen wäre der Prozess und in zwei Tagen wären wir endlich in der Heimat, ein unbeschreibliches Gefühl von hellster Vorfreude machte sich in meinem Bauch breit. Allein der Gedanke an meine dortige Familie brachte mich zum Schmunzeln. Versunken in meinen Gedanken vernahm ich das grelle Klingeln meines Smartphones zu spät, da es relativ leise war. Ohne auf den Display zu sehen, hob ich ab und nahm augenblicklich die harmonische Stimme von Burak wahr. Er kam wie gerufen, ich brauchte Ablenkung. "Hallo Schönheit.", lallte er in den Hörer, was ich mit einem lieblichen "Hey." erwiderte. "Hast du heute was vor?" "Nein.", gab ich von mir, während ich komischerweise vor mich hingrinste. "An unserer Bank in einer Stunde?" Erneut durchzog meinen Körper diese Gänsehaut, sobald er unsere Bank erwähnte. Ich konnte es mir nicht erklären, es war etwas Magisches. Es war sehr angenehm, ich konnte Burak nicht hassen und ich konnte auch nicht die Gefühle unterdrücken, die ihm gegenüber noch im Raum standen. Man konnte nicht mehr von Liebe sprechen, doch es lag noch immer etwas unerklärliches in der Luft, was mich regelrecht an ihn zog.
"Geht klar.", sagte ich daraufhin ebenfalls mit einem Hauch von Harmonie. Ich wartete auf sein "Tschüss.", was ich mit einem "Bis später." besiegelte und schließlich auflegte. Ich wollte keine Gedanken mehr an Bugra verschwenden, doch ich tat es. So oft dachte ich wie aus dem Nichts an den Kuss, er hatte mir so gut getan. Ich verspürte eine Sehnsucht nach diesen weichen Lippen, allein der Gedanke an sie brachte mich um den Verstand. Wieso musste er so ein Mistkerl sein? Wieso konnte nicht ein Wunder geschehen, wieso konnte nicht alles ein Missverständnis gewesen sein? Wieso konnte nicht jemand aus der Torte springen und schreien "Versteckte Kamera"? Wieso? Die Antwort darauf war simpel. Es war die Realität. So sehr ich auch an eine Wende glauben wollte, ich konnte es nicht. Er hatte es zugegeben, Sinn und Zweck seiner herzlichen Art waren, mich auszunutzen. Ich wollte ihn vergessen, ich konnte aber nicht. Ich konnte es nicht wahrhaben, dass er von Anfang an nur Böse Absichten verfolgte, war denn sein Herz so verbittert? Quälten ihn keine Schuldgefühle? Zeigte er denn nicht einmal einen Hauch von Einsicht? War das nur eine Schwärmerei oder war das wirklich.. Liebe? Ehe ich mich versah, saß ich bereits seit einer halben Stunde am Frühstückstisch und ich hatte wirklich bis 11 Uhr geschlafen? Verwundert über mich selber räumte ich den Tisch auf und begab mich anschließend in mein Zimmer, wo ich mich richtete. Ich machte mich nicht allzu schick, nicht einmal Schminke trug ich auf. Ich war einfach zu gekränkt und zu traurig um mir etwas zu gönnen, vergleichbar war meine Situation mit Liebeskummer, es war sogar ein bisschen Liebeskummer. Ich wusch mir bloß das Gesicht und machte mir die Haare zurecht, zog mir schlichte Sachen an und verbrachte den Rest der Zeit mit Fernsehen.
Als schlussendlich die Zeit gekommen war, machte ich mich auf den Weg zum Park und bei jedem Meter, dem ich mich ihm näherte, schlug mein Herz fester gegen den Brustkorb und eine seltsame Nervosität stieg in mir auf. War dieses Hin und Her eine Lösung? Burak gab nicht auf, das war klar. Nicht erneut würde er aufgeben, obwohl ich ihm bereits gesteckt hatte, dass es vorbei war. Er kämpfte, doch wieso hatte er dies nicht vor zwei Jahren getan? Enttäuschungen über Enttäuschungen. Es war zu spät, mein Herz gehörte Bugra. Doch ich wollte nicht im Schlechten mit Burak auseinandergehen, er war immerhin mein Trostpflaster.. War das falsch von mir? Ich wollte eigentlich überhaupt nicht mit ihm auseinandergehen. Ich wollte Burak nicht komplett aus meinem Leben verstoßen. Erst Recht jetzt, wo Bugra weg war. Weg.. es klang in meinen Ohren so furchtbar und so grausam. Er war weg, war es etwa besser so?
Komischerweise schmerzte jeder einzelne Schritt, als wollte jemand oder etwas es verhindern, dass ich mich bei Burak befand, doch ich fühlte mich nunmal wohl bei ihm. Als er mich entdeckte, sprang er schlagartig von der Bank auf und zog mich zu einer herzlichen Umarmung, welche ich ohne zu Überlegen erwiderte und es tat so gut. Ich fühlte mich unglaublich geborgen in seinen starken Armen und die Wärme, die während der Umarmung auf mich überging war unbeschreiblich traumhaft. Ich genoss es und es kam mir wie eine Ewigkeit vor, jedoch löste er sich zu meinem Leid nach einigen Sekunden wieder von mir und verpasste mir einen sanften Kuss auf die Stirn. Während diesem Kuss bildete sich etwas Elektrisches, was meinen ganzen Körper beben ließ und mir eine unangenehme Gänsehaut bereitete. Auf der anderen Seite jedoch durchfuhr mir in diesem Moment etwas unbeschreibliches. Es geschah in meinem Magen, ich könnte fast sagen.. es kribbelte. Auf jeden Fall tat es gut, es war so besinnend. Seine Nähe war fabelhaft, genau das hatte ich gebraucht. Mit einigen Sekunden hatte er meinen Bedarf und meine Sehnsucht nach diesem Goldjungen gestillt, er war so toll. "Wie geht es dir?" Automatisch schossen meine Mundwinkel in die Höhe und es hallte ein munteres "Gut und dir?" aus meinem Mund. Er bestätigte dies bloß mit einem Nicken und lächelte mich verschmitzt an, zum Dahinschmelzen. Er fuhr mit seiner rechten Hand durch seine kurzen Haare und kratzte sich anschließend am Nacken, ich kam gar nicht aus dem Schwärmen heraus, er war unglaublich atemberaubend und sein Anblick alles andere als unattraktiv. Er war makellos, ein Mann zum Verlieben. Ich ging einige Schritte auf ihn zu und schmiegte meinen Kopf an seine Brust, wenig später umfasste er meinen Körper mit seinen Armen. Unerwartet dachte ich plötzlich an Bugra, wie aus dem Nichts. Wieso musste ein einziger Gedanke diesen Moment zerstören? Sehnte ich mich so sehr nach Bugra? Was war es denn? Ich wollte die Zweisamkeit mit meinem Ex-Freund genießen, doch ich konnte nicht mehr. In meinem Kopf schwirrte schlagartig nur noch der Name Bugra umher, was stellte dieser Junge mit mir an? Das Szenario war zerstört, wir lösten und voneinander und auch die Wärme, die ich zuvor ausgestrahlt hatte, war blitzartig verschwunden. "Ist was?" Ich schüttelte den Kopf, in der Hoffnung er würde nicht weiter nachhaken. "Gehen wir Eis essen?" Ich nickte und somit machten wir uns auf den Weg zu einem nahegelegenen Eiscafé, wo wir uns auf die Terrasse setzten und recht schnell ein Gespräch starteten. Wir sprachen über Alltägliches und auch über Neugikeiten, über übliche Sachen eben. Diese Ablenkung tat mir furchtbar gut und hierfür war ich Burak überaus dankbar. Ich vergaß meine Sorgen für einen klitzekleinen Moment, obwohl ich Bugra nicht vergessen konnte, doch als Ablenkung reichte es. Wenigstens konnte ich etwas abschalten und mich anderen Dingen widmen, auch wenn ich immer wieder an ihn dachte.
Als wir unser Eis bestellt hatten, ließen die netten Kellner nicht lange darauf warten und auch während dem Essen redeten wir viel miteinander und auch das mir bekannte Herumalbern fiel keineswegs weg. Es war fast wie früher.. aber nur fast. Immerhin gab es früher nur Burak in meinem Leben, doch nun dachte ich fast ununterbrochen an ihn.. an Bugra. Und wieder einmal widersprach ich mir in vielen Dingen selber, das war üblich für mich.
Als wir fertig gegessen hatten, bezahlte Burak die Rechnung und wir rappelten uns auf, bis plötzlich mein Blick auf einen mir allzubekannten jungen Mann fiel, was suchte er hier? Er hatte mich ebenfalls gesehen und nun lieferten wir uns ein krampfhaftes Blickduell, es war leicht beängstigend. Etwas entschuldigendes konnte ich aus seinen Augen erschließen und was mir auffiel, war, dass er alleine gekommen war. Trieb es ihn etwa wegen mir hier hin? Ach, was bildete ich mir ein?! Burak bemerkte meine schrägen Blicke und stupste mich kurz darauf an der Schulter an. Ich drehte meinen Kopf nun zu ihm und wie aus Reflex griff ich nach seiner Hand. "Gel Aşkım, gidelim (Komm Schatz, wir gehen)" Extra laut betonte ich das 'Askim (Schatz)', sodass der feine Herr Ates es so gut wie möglich zu Ohr bekam. Sein Blick verschärfte sich, ich zog Burak hinter mir her, ohne dem Zufüger meines Leides einen letzten Blick zu widmen. Man sieht sich morgen im Gerichtssaal, Buğracığım (Buğralein).
Triumphierend schritt ich mit Burak an meiner Hand hinfort und bereits jetzt fiel mir die Dummheit auf, die ich soeben begangen hatte. Zu 99% würde er sich nun falsche Hoffnungen machen, das wollte ich nicht erzielen, dennoch siegte der eine Prozent, welcher übrig blieb. Blitzartig rüttelte sich Burak von mir frei, ich sah ihm bloß verwirrt entgegen. "Du kannst loslassen Madame, er sieht uns nicht mehr." Er sprach das alles in einem genervten Ton aus, er hatte es bemerkt? "Was redest du da?" Ich versuchte unwissend zu wirken, doch es würde nicht klappen, denn Burak war ein sehr schlauer Typ. "Wer ist der Kerl?" "Wen meinst du Burak?" "Willst du mich hier für dumm verkaufen? Wer war das? Wieso wolltest du ihn mit mir eifersüchtig machen?" Sein Ton wurde allmählich lauter, sodass es bereits beängstigend war. "Ich will dich nicht für dumm verkaufen." Er stand plötzlich unertragbar nah an mir, was mich zusätzlich verunsicherte? "Wer war das?", flüsterte er mir hörbar ins Ohr, ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken.

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Ich dachte mir, ich poste ein Geburtstags-Special :D
It's my birthday it's my birthdayyyyy :D ♥♥♥

Ömür Boyu (Ein Leben lang)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt