"Komm zurück, ich brauche dich. Ich vermisse dich zu sehr, Babacigim." Ich ließ mich kraftlos auf den Boden sickern und vergrub mein Gesicht voller Elend in meinen Händen. Ich schwieg, ich konnte einfach keinen Ton mehr herausbringen, es war mir alles eindeutig zu viel. Man hörte nur ab und an mein lautes Schluchzen, doch still weinte ich mir alles Leid aus dem Körper. Bis sich keine Tränen mehr in meinen Tränensäcken befanden, heulte ich still vor mich hin. Ich könnte schwören, dass Stunden voller Tränen vergingen. Ich konnte und ich wollte es nicht anders, es war mein Schicksal. Es war mein Schicksal, von geliebten Menschen verlassen zu werden. Ich musste schrecklich aussehen, meine Augen müssten unfassbar stark rot sein, als hätte ich Kiloweise Koks zu mir genommen. Meine Tränensäcke müssten jetzt total angeschwollen sein, mein Gesicht völlig verunstaltet, doch das war mir egal. Ich wollte meinen Vater zurück, ich würde dafür alles in Kauf nehmen. In einem schrecklichen Zustand befand ich mich, jedoch war mir das gleichgültig. Sollten sie doch mein verheultes Gesicht sehen, diese Tränen hatte ich für meinen Vater vergossen. Behutsam strich ich ein weiteres Mal über die Eingravierung, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte und aufschreckte. Schlagartig drehte ich mich zu der Person und blickte in diese schönen grünen Augen meines Bruders. Er kniete sich zu mir hin und umarmte mich fest, das brauchte ich in diesem Moment. Wir redeten nicht, wir schwiegen leise und ich suchte die Nähe zu ihm, ich brauchte in diesem Augenblick das Gefühl der Geborgenheit, mein Held verpasste mir auch dieses tolle Gespür von Liebe. Ich hätte schwören können, dass ich seinerseits ein Schluchzen wahrgenommen hatte, was ich sofort zu überprüfen vermochte.. und wirklich. Unachtsam flossen die Tränen nun auch über sein Gesicht. Er erhob sich und goss ebenfalls das Grab ein wenig mit dem Wasserschlauch, anschließend tätigte er sein Gebet und stellte ebenfalls weiße Rosen auf die Erde seines Grabes. "Du hast eine riesengroße Leere hinterlassen, Baba. Wir vermissen dich, wir brauchen dich." Zärtlich verpasste er ebenfalls einen gefühlsvollen Kuss auf den Grabstein und strich mit seiner Handfläche über den Schriftzug. "Hakan Kaya.", flüsterte er. "Der mental stärkste Mensch dieser Welt.", sagte er anschließend und ihm huschte ein wahrhaftiges Lächeln über das Gesicht. "Du bist der Beste, Baba. Ein Vorbild für die ganze Welt. Hoffentlich geht es dir gut. Wenn du schon nicht bei uns sein kannst, dann lass es dir im Paradies gut ergehen. Du wirst dort bestimmt auch von jedem bewundert." Es war merkwürdig, wie mein Bruder durchgehend lächelte. Er tat genau das Gegenteil von mir, er sah in allem das Positive. Hatte ich etwa diese Eigenschaft verloren? Ich war nie eine Pessimistin gewesen, hatte ich etwa die Gabe des Optimismus fallen lassen? Ich beobachtete das Geschehen und ich bewunderte die Art meines Bruders. "Ich werde gut auf unseren Engel aufpassen, keine Angst. Ihr wird nichts zustoßen, das verspreche ich dir.. Mein Held." Dieser Moment zerfraß mein Herz, seine Worte waren wunderschön formuliert und zudem schmerzhaft. Es war grausam, dass unser Vater nicht bei uns sein konnte und wir beide litten ungemein darunter. Ein letztes Mal drückten wir jeweils einen Kuss auf seinen Namen, als wir aus dem Friedhof herausgingen. Zum Glück war Umut gekommen, in diesem Zustand hätte ich niemals alleine nach Hause gehen können, er war nunmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort, schon immer. "Du darfst dich nicht selber fertig machen, verstehst du? Er ist am schönsten Ort, er ist im Paradies. Ihm geht es ganz sicher gut und er bewacht uns, er beschützt uns." Seine Worte zauberten mir immer ein Lächeln ins Gesicht und so besiegelte er das Thema mit einem Kuss, welchen er mir sanft auf die Stirn drückte.
Er hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt und so liefen wie gemeinsam zu der Haltestelle, wo der Bus nach kurzer Zeit des Wartens eintrat und wir einstiegen. Die Fahrt dauerte nicht allzu lange bis nach Hause und als ich im Haus ankam, ging ich ohne ein Wort direkt in mein Zimmer. Ich legte mich reglos auf das Bett und wollte nichts hören, nichts sehen. Es war alles zu viel. Der Streit mit meiner Familie, die Sache mit Bugra und noch der Besuch bei meinem Vater, der mich bei solchen Sachen normalerweise immer tröstete. Er war einfach nicht mehr da, ich wollte das nicht realisieren, nicht wahrhaben. Kurze Zeit später vernahm ich ein Klopfen und bat die Person herein, welche sich als Tuana ergab. Still gesellte sie sich zu mir auf das Bett und so schwiegen wir uns an, bis sie das Schweigen brach. "So machst du dich selber nur am meisten fertig." "Er ist einfach nicht mehr da.", murmelte ich vor mich hin und schon spürte ich zwei umklammernde Arme, welche sich um meinen Körper legten. Da ich auf meinem Bauch lag und mein Gesicht im Kissen vergraben hatte, ließ sie ihren Kopf vorsichtig auf meinem Nacken nieder und flüsterte mir ins Ohr. "Wir machen uns heute einen schönen Tag, gehen shoppen, was hältst du davon?" "Ich hab echt keine Stimmung um shoppen zu gehen Tuana.", sprach ich undeutlich ins Kissen. "Doch, oder hast du etwa ein Kleid für Gökhans Hochzeit?" Blitzartig erhob ich mich und geriet in Panik. "Oh mein Gott, nein!", rief ich frustriert. "Siehst du? Hadi, mach dich fertig, wir gehen gleich los." Sie wollte gerade das Zimmer verlassen, als ich sie daran hinderte. "Warte, ich kann doch nicht so rausgehen." Dabei deutete ich mit beiden Zeigefingern auf mein verheultes Gesicht. "Da lässt sich was machen.", kicherte Tuana und flitzte die Treppen hoch, um ihre Schminktasche hinunterzubringen.
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Ömür Boyu (Ein Leben lang)
Romance"Rede doch mit mir.", sein Atem prallte auf mein Gesicht, wodurch sein ekelhafter Mundgeruch in meine Nase einzog. Mein Herz raste wie wild, was wollte er von mir? Die Angst stieg immer weiter in mir auf. Er kam immer näher und immernoch versuchte i...