Kapitel 8

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Mittlerweile kullerten die Tränen achtlos über mein Gesicht, wobei ich schlagartig schluchzte. Ich lauschte seinem Atem, er meinem Schluchzen. "Özge, ich muss dich sehen. Heute noch."
Alte Erinnerungen kamen hoch und in mir brodelten unzählige Gefühle.
"Özge, bitte weine nicht." rief er.
Ich ignorierte es, während ich meinen Gefühlen freien Lauf ließ. Mein Körper glühte und mir war auf einmal unheimlich schlecht. Der Kloß in meinem Hals wollte nicht verschwinden, ich schwieg.
"Komm jetzt zum Stadtpark, zu unserer Bank.", sprach er beruhigend.
Ich realisierte, dass er unsere Bank gesagt hatte, was mich sehr nachdenklich machte. Unsere Bank, er hatte nichts vergessen, er hatte mich nicht vergessen. Immernoch herrschte ein unglaubliches Chaos in meinem Inneren. Ich schluckte, womit der Kloß verschwand und antwortete mit einem einfachen "Ok." Ohne auf weitere Antworten zu warten, legte ich auf. Sollte ich mich mit ihm treffen? Ich wusste genau, dass es mich in Stücke zerreissen würde, doch wieso hatte er sich gemeldet?
Meine Neugier siegte schließlich, woraufhin ich die Richtung zum Stadtpark annahm.
Ich parkte mein Auto und lief mit unsicheren Schritten zu unserer Bank.
Meine Schritte wurden mit der Zeit immer langsamer, meine Beine wurden schwerer und automatisch begab ich mich zu unserer Sitzbank. Es war noch niemand da. Neben der Sitzbank befand sich ein Baum, welchen ich mir näher anschaute und sehnsüchtig nach dem eingeritzten 'B + Ö' suchte. Als ich es schließlich fand, musste ich automatisch lächeln und fuhr mit meinem Finger über die Gravur. Erneut kamen mir die Tränen, womit ich kämpfte und letztendlich siegte. Eine Weile verging, bis ich diese Hand auf meiner Schulter spürte, welche meinen gesamten Körper zum Zittern drang und ich für einen Moment zusammenbrechen wollte. Ich drehte meinen Kopf zu ihm, während ich seine Hand von meiner Schulter entfernte und machte einige Schritte zurück, bis ich gegen den Baum stieß. Diese blauen Augen, welche mich intensiv ansahen und mir Löcher ins Gesicht starrten. Dieser Anblick war kaum auszuhalten. Sein gepflegter Dreitagebart und dieser unglaublich muskulöser Körper, welcher mir früher Wärme zu spüren gab. Diese vollen Lippen, denen ich blind vertraut hatte und welche perfekt auf meine passten. Diese Lippen, die mich um den Verstand gebracht hatten und dieser perfekte Mensch, der mir nun nicht mehr gehörte.
"Ich muss mit dir reden."
Diese Stimme, die mir den Atem raubte und welche mir eine Gänsehaut verpasste. Diese wunderschöne Stimme, die wie ein unendlich schönes Lied klang, sobald sie meinen Namen aussprach. Dieser Mensch, über den ich niemals hinweg gekommen war. Ich durfte mich nicht erneut in seinen Augen verlieren, was mir schwer fiel. Er kam näher an mich heran.
"Komm mir nicht zu Nahe.", gab ich kleinlaut von mir, während ich meinen Kopf senkte und ihm die Enttäuschung ansah. Ja, er war es. Er war der wundervolle Mensch, der mich zu einem gefühlslosen und kalten Mensch gemacht hatte.
Nun entfernte er sich um einige Schritte.
"Los.", kam es kühl von mir.
"Du fehlst mir."
Diese Worte schmerzten. Ich wollte mich ihm nicht wieder hingeben, doch innerlich träumte ich davon, ihm in die Arme zu fallen und glücklich mit ihm zu sein. Diese Worte waren der Höhepunkt und fühlten sich an wie hunderte von Messerstichen direkt in mein Herz. Er hob seine Hand ein wenig, um nach meiner zu greifen. Blitzartig zog ich meine Hand zurück und blickte direkt auf seinen Ehering. Dieser Anblick war noch schlimmer, als diese Worte von gerade eben. Mir stockte der Atem und Tränen stiegen wieder in mir hoch, welche ich gekonnt zurückhielt. Mein Blick war auf diesen Ring fixiert. Er bemerkte dies, und sah mir traurig in die Augen. Gerade drehte ich mich um und wollte abhauen, es wurde mir zu viel, da zog er mich unsaft am Handgelenk zurück und in diesem Moment bebte wieder alles in mir drin. Es war, als würde es in meinem Inneren brodeln und als wäre ich kurz vor dem Explodieren.
"Jedes einzelne Wort aus deinem Mund war gelogen. Jeder einzelne Kuss war nicht echt. Jedes einzelne Versprechen war leer. Burak, ich will dich nie wieder sehen."
Ich versuchte, mich freizurütteln, doch er packte mich zu stark.
"Das war es nicht, Özge! Ich wurde Zwangsverheiratet, verstehst du das nicht?"
"Du hast nicht um unsere Liebe gekämpft, es war dir egal!", schrie ich Tränenüberströmt, während ich Blicke der Passanten auf mir spürte.
"Wegen dir, Burak, habe ich Angst. Angst zu leben und Angst zu lieben. Du hast mir das Leben ruiniert."
Er senkte seinen Kopf.
"Ich will nur dich, ich liebe dich!"
"Du lügst!", schrie ich ihm mitten ins Gesicht.
"Die Einsicht kommt spät, das weiß ich. Ich war mit Zeynep glücklich. Das dachte ich, ich dachte, ich liebe sie. Doch die Zeit hat mir das Gegenteil bewiesen. Ich habe in meinem Leben nur dich geliebt und tue das immernoch!"
Als er diesen Namen sprach, wurde mir klar, dass es zu Ende war. Er hatte eine Frau in seinem Leben, mit der er glücklich zu sein schien.
"Ohne ein Wort bist du abgehauen. Und das, weil dein Vater mich nicht wollte! Schäm dich!"

Burak und ich wussten von Anfang an, dass es schwer werden würde, aufgrund der politischen Probleme. Doch nichts kam unserer Liebe in die Quere. Dieser Tag, an dem ich glücklich sein Elternhaus betrat voller Hoffnung auf ein schönes Leben zusammen mit ihm. Doch als ich mich seinem Vater vorstellte, sprach er diese Worte aus, welche ich niemals vergessen hatte. Er nannte Burak einen Serefsiz (ehrenloser/anstandsloser) und war am Ausrasten.
"Wie kannst du nur eine Türkin in unser Haus lassen?"
Ja, richtig. Alles zerbrach an der Nationalität. Burak war Kurde und ich war eine Türkin. Erst wollte er die Reaktion seiner Familie nicht akzeptieren, doch schlussendlich zog er ohne ein weiteres Wort weg und irgendwann erfuhr ich, dass er verheiratet war. Ich war am Ende. Am Boden zerstört, gekränkt. Diese Worte seines Vaters würde ich niemals vergessen. Zu dieser Zeit war mein Vater noch am Leben, doch schwer krank. Er war der einzige mit meinem Bruder, dem ich von Burak und mir erzählt hatte. Mein Vater war glücklich, er mochte Burak sehr. Alles war so schön, sogar mein Bruder kam damit klar. Wir dachten an Heiraten.. Doch die Trennung machte alles kaputt.

"Ich liebe dich!"
Dieser Junge war fixiert darauf, mich am Boden zu sehen. Diese Worte brannten in mir wie ein endloses Feuer.
"Das tust du nicht.", sprach ich fest entschlossen zu ihm.
Nun schwieg er erst, danach zog er seinen Ring aus seinem Finger und warf ihn mit großem Schwung in den See. Baff war ich allemal, ich sah ihn mit großen Augen an.
"Es war Zwangsheirat, Özge. Bitte, gib mir noch eine Chance. Ich werde mich von ihr scheiden lassen. Verstehst du das nicht, Zwangsheirat!? Ich musste. Ich hatte keine andere Wahl. Keine Chance, irgendwie mit dir in Kontakt zu treten, alles wurde mir weggenommen. Ich habe mich selber dafür gehasst, deswegen wollte ich dich nicht suchen. Ich hatte Angst, du würdest mich auch hassen, mich regelrecht verachten und das würde mir meinen letzten Nerv rauben. Ich dachte wirklich, ich könnte dich vergessen, doch jeden einzelnen Tag seit zwei verdammten Jahren habe ich an dich gedacht. Ich habe Zeynep nicht ein einziges Mal einen Kuss gegeben, geschweigedenn sie angefasst. Ich hätte mich vor mir selber geekelt. Ich habe mich so sehr nach deiner Nähe gesehnt, doch ich habe mich selber gehasst und hatte diesen Mut dazu nicht, dich wieder zu sehen. Irgendwann wurde es mir zu viel und ich wusste: Ohne dich werde ich niemals glücklich."
Gespannt lauschte ich seinen wunderschön formulierten Worten. Er hatte mich wieder einmal in seinen Bann gezogen und nun näherte er sich mir. Mein Verstand sagte Nein, doch mein Herz erwiederte seine Umarmung.
"Ich liebe dich.", flüsterte er mir ins Ohr.
"Du bist meine Welt, mein Ein und mein Alles.", er gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn, welcher meinen ganzen Körper zum glühen brachte und meine Lippen, sie bebten. Ich spürte seinen Atem auf meine Lippen prallen und unsere Gesichter waren nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt. Ich schloss meine Augen und wollte es geschehen lassen, doch mein Verstand ließ es nicht zu.

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Wie findet ihr die Wende? Ich würde mich sehr über eure Kommentare freuen. Mfg, cankurban58 ♥️

Ömür Boyu (Ein Leben lang)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt