Kapitel 21

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Schockiert blickte er mir entgegen und selbst ich war entsetzt über meine Worte. Es war, als wäre nun alles aus mir raus, was sich aufgestaut hatte. Ich liebte ihn nicht? Konnte ich mir da so sicher sein? Ich war verwirrt, sehr verwirrt. Verwirrt über meine eigene Äußerung und verwirrt über meine eigenen Worte. War es denn nur aus mir herausgeplatzt oder war tatsächlich etwas wahres an diesen Worten dran? "Ich liebe dich nicht", Diese Aussage brannte unterträglich in mir und es hörte nicht auf. Ich war das sicher nicht, diese Worte hatte offensichtlich mein Herz ausgesprochen. Ich musste in sein verständnisloses Gesicht blicken. Eine gewisse Enttäuschung war herauszulesen, doch so wollte er dies nicht hinnehmen. "Özge, das bildest du dir ein!" Ich schüttelte den Kopf, während ich spürte, wie die Tränen förmlich aus mir heraus strömten. "Sag mir, dass das ein Scherz ist." Ich wollte ihm die letzte Hoffnung nicht nehmen, denn ich war mir meinen Gefühlen unbewusst. Zu unbewusst, um zu sagen, dass ich ihn liebte. Doch ebenfalls zu unbewusst, um zu sagen, dass ich es nicht tat. "Ich weiß es nicht.", sprach ich kühl. Immernoch blickte er mir tief in die Augen und nun näherte er sich mir. Er strich behutsam über meine Wange und seine Verzweiflung konnte man sich aus seiner Haltung erschließen. Er seufzte auf. "Wie, du weißt nicht? Du hast doch gesagt, dass du etwas gefühlt hast."
"Ich weiß aber nicht, ob es das richtige Gefühl war. Meine Emotionen sind gemischt und ein riesiges Chaos herrscht in mir, ich kann dir nicht sagen, ob ich dich noch liebe. Du bist so plötzlich wieder in mein Leben getreten und stellst jetzt alle meine Gefühle auf den Kopf."
Ich senkte meinen Blick, doch sofort hob er meinen Kopf, indem er mit zwei Fingern vorsichtig an meinem Kinn ansetzte. "Ich gebe dir so viel Zeit, wie du nur willst. Die Hauptsache ist, dass wir am Ende glücklich miteinander werden. Ich habe für dich alles aufgegeben, den Kontakt zu meiner Familie, die Zwangsehe, meinen Job- "
Er wollte weiter sprechen, doch ich ließ es nicht zu. "Das habe ich niemals von dir verlangt! Du kannst auch schön deine Ehe weiter führen." Ich war nun aufgebraust, denn für mich klang es so, als wäre ich nun an allem Schuld. Erhobenen Hauptes wollte ich mich zu meinem Auto begeben, doch er hielt mich zurück. "So war das nicht gemeint, versteh es doch nicht falsch! Ich habe das für uns getan, damit wir glücklich werden. Ömür Boyu sen ve ben.. (Ein Leben lang du und ich)"
Ömür Boyu.. Als er diese zwei Worte aussprach, bildete sich eine unschöne Gänsehaut auf meinem gesamten Körper. Sie durchzog jede einzelne Stelle und anschließend lief mir ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. Ein Leben lang.. war das realistisch? Zumal ich ihm gerade gesagt hatte, dass ich ihn nicht liebte. Würde unsere Liebe kämpfen, gewinnen und ein Leben lang andauern? Burak zog mich zurück auf die Bank. "Du kannst doch alles nicht einfach so hinschmeißen, was wir alles zusammen erl-" Weiter kam er nicht, denn diese Aussage brachte mich zum Glühen. "Du konntest aber alles einfach hinschmeißen oder? Dir geht es echt zu gut."
Mit diesen Worten, welche ich provokant lachend aussprach, verabschiedete ich mich flüchtig von Burak, welcher keine andere Wahl hatte, als das so hinzunehmen und es hierbei zu belassen. Ich hatte ein Bedürfnis. Ein Bedürfnis, Bugra zu sehen. Ich begab mich zu meinem Auto und musste festellen, dass ich seine Nummer nicht hatte. Ich wollte mit ihm reden, sein kaltes Verhalten konnte ich nicht nachvollziehen. Ich wollte nicht, dass er sauer auf mich war, weshalb ich ihm eine Facebook Nachricht schrieb.

Hast du Zeit?
- Özge Kaya

Nun saß ich im Auto und wartete auf eine Nachricht, welche ich nach qualvollen Minuten noch immer nicht erhielt. Nun versank ich in Gedanken und dachte nach. Das Gefühl, welches ich während des Kusses hatte, es war nicht das alte. Es war nicht wie früher und komischerweise war ich in seiner Nähe nicht geblendet gewesen. Ich hatte mich ihm nicht vollkommen hingegeben und ich war auch nicht in seinen Bann gezogen worden, wie es früher war. Ich hatte früher in seiner Anwesenheit keinen klaren Gedanken mehr fassen können, ich war immer durch den Wind gewesen. Doch während des Kusses hatte sich plötzlich mein Verstand zu Wort gemeldet und mein Herz hatte es ebenfalls nicht erwidern wollen. Deutete dies alles nicht darauf hin, dass ich ihn nicht mehr liebte? Eine gefühlte Ewigkeit dachte ich nach, bis mich schließlich der unsanfte Handyton aus meinen Gedanken riss.
Ich blickte auf den Display, woraufhin ich eine Nachricht von Bugra erblickte.

Am Marienplatz in 10 Min.
-Bugra Ates

Es war unglaublich, wie sehr eine bloße Nachricht solch eine unertragbare Kälte vermitteln konnte. Mich durchzog plötzlich ein unangenehmer Wind, da das Fenster heruntergekurbelt war und ließ mich am gesamten Körper zittern. Ohne zu zögern fuhr ich los. Angekommen, konnte ich weit und breit keinen Bugra erblicken, weshalb ich mich auf einer niedrigen Mauer, die bis kurz über den Boden reichte, niederließ. Kurze Zeit später spürte ich, dass sich jemand neben mich gesetzt hatte und als ich meinen Kopf zu ihm drehte, trafen sich unsere Blicke, weshalb ich in diese faszinierenden Augen sah, welche einen Hauch von einem Blauton angenommen hatten. Hasserfüllt sahen sie mich an, diese Augen, es konnte einen so dermaßen zerstören, dieser Blick. Ich begriff nicht, was er hatte. "Bugra-", sprach ich, doch er ließ mich nicht ausreden. "Deshalb wolltest du nicht, dass ich mich dir nähere, stimmts? Macht es dir Spaß? Spaß, mich zu demütigen? Hättest du mir nicht von Anfang an die Warheit sagen können?"
Verständnislos musterte er mein Gesicht. Seine markanten Gesichtszüge waren unfassbar schön, doch was hatte er?
"Was meinst du?" Ohne zu zögern redete er mir ins Wort hinein. "Der Kuss, wofür hältst du mich?" "Bugra, wovon redest du?" "Der Kuss mit deinem Freund verdammt nochmal. Vor einigen Stunden im Stadtpark, dieser scheiß Kuss man!"
Diese Aussage schockierte mich zutiefst und ich kam ins Grübeln. Er hatte den Kuss gesehen? Aber das hatte doch nichts zu bedeuten. Hatte er mich beobachtet? Ich war entsetzt. Ekelte mich vor mir selber, ich verachtete mich in diesem Moment. Ich hatte ihn offensichtlich gekränkt, unabsichtlich, doch das wollte ich nicht. Ich schwieg, doch er sprach für mich weiter. "Du hättest es mir sagen können und ich hätte dich in Ruhe gelassen.", er lachte auf, "Stattdessen lügst du mir mitten ins Gesicht und spielst mir was vor. Ich hätte so etwas nicht von dir erwartet." Seine Worte waren für mich wie tausende Messerstiche direkt in mein zerbrechliches, zierliches Herz. Ich wollte nicht, dass er etwas falsches von mir dachte, doch ich hatte diesen Mut nicht. Diesen Mut, etwas zu sagen. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen und schließlich redete ich. "Du hast es falsch verstanden, ich-" Erneut ließ er mich nicht aussprechen. "Ich habe alles richtig verstanden, du hältst mich für dumm." Erneut lachte er leicht provokant auf und schüttelte dabei unwillkürlich seinen Kopf. "Lass mich ausreden."
"Um mir deine sinnlosen Ausreden zu geben?"
"Nein, hör dir die Wahrheit an."
"Was soll es an dieser Sache bitte für eine Wahrheit geben? Die Wahrheit steht doch offensichtlich geschrieben-"
Dieses Mal unterbrach ich ihn, indem ich dazwischen redete. "Er ist mein Ex-Freund."
"Achso, den küsst man heutzutage." Die Ironie in seinem Wortfall war nicht zu überhören. "Nein, ich schäme mich dafür. Ich würde es dir gerne genauer erzählen, hörst du mir dabei zu?" Er nickte, doch ich konnte seine Enttäuschung nach wie vor aus seinem Gesichtsausdruck erschließen. Wieso vertraute ich ihm so sehr? Wieso traute ich ihm so viel an? Wieso war ich bereit, mich einem Menschen zu öffnen, den ich erst seit einiger Zeit kannte? Wieso fühlte ich mich wohl dabei, ihm mein Herz zu öffnen? Wieso genoss ich seine Nähe so dermaßen? Was war diese unerklärliche Vertrautheit zwischen uns?
Ich wollte beginnen zu reden, da klingelte sein Handy. Er nahm es gezwungenermaßen aus seiner Hosentausche heraus und ging genervt ran.
"Rojbas? (Hallo auf Kurdisch)"
Verwundert war ich darüber, dass er plötzlich mit der Person am anderen Ende der Leitung kurdisch sprach. Ich riss meine Augen auf und wartete gespannt darauf, dass er auflegte. Doch eine gefühlte Ewigkeit redete er mit der Person am Telefon auf kurdisch.. auf kurdisch. Es erinnerte mich so sehr an Burak. Würde Bugra mich auf irgendwann loslassen, weil ich eine Türkin war? Würde er sich einfach so aus dem Staub machen und nicht mehr so liebevoll mit mir umgehen, wie er es sonst immer tat? Würde ich irgendwann keinen Bugra mehr an meiner Seite haben, dem ich vieles anvetrauen konnte? Eine gewisse Angst plagte mich, ich selber war verwundert über diese unerklärliche Angst. War es eine Angst, Bugra zu verlieren? Ich lauschte dem Telefonat bis zum Ende und seiner unfassbar schönen Sprache, erst recht dieser wunderbaren rauen Stimme, welche seine Männlichkeit unumstritten zierte, bis er schließlich auflegte. "Entschuldige, war wichtig", murmelte er vor sich hin. Ich riss erneut meine Augen auf. "Los.", kam es kühl von ihm. Doch ich war nach wie vor auf ihn fixiert und sah ihn erwartungsvoll an. "Du bist Kurde?", sagte ich mit zittriger Stimme.

Ömür Boyu (Ein Leben lang)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt