Kapitel 40

4.8K 199 27
                                    

"Bring mir auch einen Löffel mit!", rief ich meiner besten Freundin heulend zu, während ich gierig auf das Vanilleeis blickte. "Hier.", sprach sie und reichte mir somit den Löffel. Wir begannen nun das Eis still und genussvoll zu löffeln, während ich immer wieder schniefte. Ich wollte ihr in der Sache mit Bugra nicht Recht geben, obwohl sie von Anfang an Recht mit ihrer skeptischen Art hatte. Ich konnte mich und meinen Stolz dazu nicht überwinden, doch ich musste mir das übliche Gerede von wegen "Ich hab's dir doch gesagt" anhören, zu meinem Leid. "So ein Arschloch!" hörte ich sie fluchen, woraufhin ich bloß gelangweilt mit den Schultern zuckte. Sobald ich an das Geschehene dachte, kamen mir immer wieder tausende von Tränen hoch, welche sich aufgestaut hatten, und sie schossen förmlich aus meinen Augen. Als sie ein leises Schluchzen von mir zu Ohr bekam, wandte sie sich sofort von ihrem Eis ab und nahm mich liebevoll in den Arm. "Er hat dich definitiv nicht verdient, was machst du dir überhaupt einen Kopf darüber? Ich verstehe das n-" In diesem Moment überkam uns das Schweigen, da ich ein Geräusch wahrnahm, welches offensichtlich das Öffnen meiner Haustüre war. Ich sprintete förmlich zur Tür und als ich am Türrahmen meinen Bruder zusammen mit Tuna und einer riesengroßen, gepackten Tasche und einem fetten Grinsen im Gesicht erblickte, waren meine negative Stimmung und das Leid von eben plötzlich wie weggeblasen. Freiheit. Er war frei. Mein Bruder, Umut Kaya, war ein freier Mensch?! Ich ließ einen unheimlich lauten Freudesschrei aus tiefster Kehle heraus und sprang in seine Arme. Mich überkam diese plötzliche positive Energie, diese freudige und überaus gute Laune. Keine Spur von meinem vorherigen depressiven Trip war noch zu erkennen. "Kommt sofort rein!", forderte ich die beiden auf und riss ihm die Tasche aus der Hand. Ich schmiss sie auf mein Bett und sprang in Richtung Wohnzimmer. All diese grauen und düsteren Tage gerieten augenblicklich in Vergessenheit. Alles was zählte war, dass er da war. Wir hatten einen Grund um glücklich zu sein, nach all diesen schlimmen und grausamen Tagen, die wir durchstehen mussten. Das Schicksal meinte es endlich gut mit uns, das Schicksal.. Was war mein Schicksal? Hatte das Schicksal etwa nicht gewollt, dass etwas aus Bugra und mir wird?

"Hört zu, es wird eine zweite Verhandlung geben. Die findet in zwei Tagen statt. Es lief heute sehr gut und deshalb wurde ich auf Kontrollbasis freigelassen. Ich muss mich sozusagen wieder auf das Leben im Freien vorbereiten. Der zweite Prozess könnte natürlich schief laufen und ich könnte endgültig in den Knast kommen, aber daran wollen wir nicht denken." Er zwinkerte mir leicht zu und nippte währenddessen an seinem Tee, welchen ich zubereitet hatte. Behutsam legte er seinen Arm um meine Schulter und verpasste mir einen schmatzigen Kuss auf die Wange.
"Muss ich dabei sein?", wollte ich anschließend wissen. "Musst du natürlich nicht, aber es wäre natürlich gut als Unterstützung." "Ich werde da sein.", gab ich entschlossen von mir. Ich müsste also Bugra nochmal sehen, es kam nichts anderes in Frage. Ich wollte ihn jedoch nicht sehen, die Enttäuschung saß tief. "Özge?" "Efendim, Abi? (Ja, Bruder?)"
"Ich muss mal mit dir unter vier Augen reden." Ich wusste was kommen würde, und ich wollte es nicht. Tuna und Aylin erhoben sich sofort von ihren Plätzen und verschwanden aus dem Wohnzimmer, nicht ohne die Tür zu schließen. "Du wirst mir alles erzählen, was es mit Bugra Ates auf sich hat." Ich hatte mir bereits überlegt was ich ihm letztendlich dazu sagen sollte, doch die Wahrheit kam am ehesten in Frage.
"Abi, ich habe ihn vor einigen Monat kennengelernt. Ich habe dich auch mal auf ihn angesprochen und ich wollte mich nach deiner Warnung wirklich von ihm fernhalten, doch es klappte einfach nicht. Tuna hat es mir auch nicht erlaubt, aber ich mochte Bugra. Wenn ich gewüsst hätte, dass er nur Böses im Schilde führt, dann hätte ich mich niemals auf diese Freundschaft eingelassen und das weißt du auch!" Ich versuchte ihn so gut wie möglich davon zu überzeugen, dass ich nichts Falsches getan hatte. "Freundschaft also?" Ich nickte und sah ihm dabei tief in seine wundervoll glänzend grünen Augen. "Ist da nicht mehr als Freundschaft? Ich meine, so wie es dich mitgenommen hat und wie du gerade aussiehst, so verheult."
"Abi, wir waren sehr gute Freunde und haben so tolle Sachen miteinander unternommen. Woher sollte ich wissen, dass er Böses für mich will? Du musst mir glauben, es ist nichts zwischen Bugra und mir. Hätte ich nur auf euch gehört, dann hätte ich jetzt weniger Schmerzen zugefügt bekommen. Es tut mir Leid."
"Es muss dir nicht leidtun mein Engel." Somit drückte er mir einen sanften Kuss auf die Stirn und umarmte mich herzlich. "Ich würde ihm jetzt gerne schlimme Sachen zufügen, aber Gefängnis ist scheiße." Somit fingen wir an zu lachen und herumzualbern. Mein Held, mein großer Bruder, meine treuste Seele, mein Ein und mein Alles. "Ich werde immer für dich da sein.", flüsterte er mir ins Ohr. "Auch wenn unsere Familie nicht für dich da ist." "Ich weiß.", murmelte ich vor mich hin und sah dabei auf meine Finger herab. "Ich hab Tickets für uns gebucht, nächste Woche." Seine Augen rissen sich plötzlich enorm auf. "Von welchem Geld, bist du irre?" "Von meinem Geld. Das habe ich mir verdient, schließlich habe ich das Semester mit Bravur gemeistert und bestanden." "Du hast..?" Ich nickte. Im nächsten Moment ließ er einen Freudesschrei heraus und nahm mich ziemlich doll in seine Arme. Wir lachten gemeinsam und waren glücklich, so sollte das immer sein. "Wohin geht's?" "In die Türkei natürlich, zu unserer Familie, zu Baba.. an sein Grab.", dabei lächelte ich leicht, am meisten freute ich mich auf meinen Vater, mich bei ihm ausreden zu können. Ihm von meinem Leid zu erzählen und mein Herz bei ihm ausschütten zu können, ich freute mich so! "Krass, du bist einfach die Beste!" So einen tollen Bruder hatte ich, er war meine Familie. Er allein und sonst niemand, außer natürlich Tuna, Aylin und die Familie meiner Vaterseite. Er war mein Herz, meine Seele. "Was ist denn hier los?", sagte Tuna im Hereinspazieren und Aylin kicherte bloß. "Was hier los ist? Ich habe die beste Schwester der Welt!" "Schleimer!", rief Tuna ihm zu und schon boxte Umut ihm meines Erachtens nach zu stark auf die Brust, welcher nur gequälte Blicke von sich gab. Aylin und ich lachten und auch die Jungs schienen zufrieden zu sein. Dieses Szenario war toll, konnte es nicht immer so bleiben? Wir waren eine Familie, schon von kleinauf. Es war wundervoll, es war magisch.
Mittlerweile war es schon etwas später, Tuna und Aylin waren bereits weg. Ich schlich mich leise ins Wohnzimmer, da ich dachte, dass mein Bruder schlief, doch er saß reglos auf der Couch und sah ins Leere. "Ist was?", fragte ich ihn vorsichtig und setzte mich leise neben ihn. Er schüttelte bloß den Kopf. "Erzähl es mir.", forderte ich ihn auf, während ich ihm über den Hinterkopf strich. "Ich habe Angst um dich." "Angst um mich? Was? Wieso?" "Tolga, er hat dich verfolgt. Er hat dich bedrängt, sie sind überall. Sie wollen dich dazu benutzen, dass ich zu ihren Gunsten aussage.Sie drohen mir." Aber, woher wusste er all das, dass Tolga mir gefolgt war? Als ich ihm in seine glasigen Augen sah, lief plötzlich eine Träne sein Gesicht herunter, welche ich ihm kurzerhand wegwischte. "Jetzt bist du doch bei mir." "Aber für wie lange, Prensesim? (meine Prinzessin) Was denkst du? Sie werden mit allen Mitteln versuchen mir die Schuld in die Schuhe zu schieben und wenn sie dich einmal aufgreifen, dann muss ich die Schuld auf mich nehmen. Ich bin so ein schlechter Bruder. Siehst du nicht, in was für eine Scheiße ich dich hereinreite? Wieso töten sie mich nicht einfach? Wieso drohen sie mit deinem Tod?" Diese Aussagen schockierten mich zutiefst, seine Stimme klang zerbrechlich, das war ich nicht von ihm gewohnt. "Du bist der allerbeste Bruder, den es gibt! Ich kann mir keinen besseren Bruder vorstellen, weißt du das? Die sollen es versuchen, sie werden mich nicht drankriegen. Du solltest nicht so reden. Wir sind unfassbar stark und das wissen wir beide, wir sind unschlagbar. Da kann uns keiner was anhaben. Du wirst die Wahrheit sprechen und nicht für sie lügen. Außerdem haben sie bereits ein halbes Geständnis hingelegt, sie werden nicht davonkommen. Eine Bestrafung ist mehr als gerechtfertigt. Du darfst niemandem trauen, das habe ich jetzt dazugelernt." Ich schluckte kurz und dachte dabei an die wundervolle Zeit gemeinsam mit Bugra. War das alles gelogen? Jedes Wort, jede Geste, einfach alles? Der Kuss? Unsere tollen Ausflüge? Das war also alles eine mächtige Lüge? Es zerriss mich bei Leib und Seele, so viel war klar. Ich wollte ihm nie wieder in diese atemberaubenden Augen sehen, ich wollte ihn verabscheuen. Doch, konnte ich es? Konnte ich ihn hassen, konnte ich ihn verachten, den Mann, welchen ich liebte?

_________

Hallo ihr lieben Leser,
ich habe mir für dieses Kapitel sooooooo
viel Mühe gegeben und ich hoffe nur, dass ihr diese Mühe mit einigen nette, aufbauenden und motivierenden Kommentaren belohnt :-) Ihr könnt mich auch kritisieren, so lange es mir weiterhilft. Außerdem danke ich euch allen, dass ihr diese Geschichte überhaupt lest ♡♡♡.  Ich wünsche euch ansonsten noch schöne Sommerferien und einen tollen Urlaub. Mfg, cankurban58 ❤️❤️❤️❤️

Ömür Boyu (Ein Leben lang)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt