Die restliche Zeit in Istanbul verging leider sehr schnell, doch erfreulicherweise auch sehr entspannend für mich. Dieser erholsame Urlaub war wohl genau das gewesen, was ich gebraucht hatte. So waren auch unsere letzten Tage in dieser fabelhaften Stadt nähergerückt und noch immer war ich meinen Vater jeden Tag am Besuchen, wie auch an diesem Tag.
Der Wind striff meine Haare unsanft, weshalb ich für einen kurzen Moment fror und mich mit schweren Schritten dem Grab näherte. Mittlerweile hatte ich aufgehört am Grab zu weinen. Es war dieses unbezahlbare Gefühl, als würde mein Vater gegenüber von mir sitzen und mir aufmerksam zuhören. Mir bei meinen Problemen helfen, indem er mir beruhigende Worte zuflüsterte und sang.. Er besaß die Stimme eines Engels. Solche Szenarien spielten sich in meinem Kofp ab, wenn ich bei ihm war. Es war mein Lieblingsort in Istanbul, weil ich hier seine Nähe spüren konnte. Es gab kein schöneres Gefühl, als die Liebe eines Vaters in Empfang zu nehmen, es machte mich unfassbar glücklich. Ich hatte mit der Zeit gelernt, dass das Trauern mir nicht half. Ich musste es aus dem positiven Winkel sehen. Mein Vater war am schönsten Ort überhaupt und wachte dort über uns, allein der Gedanke brachte mich zum Schmunzeln. Der Gedanke, dass er uns mit jedem Mittel beschützte, mein Engel von Vater.Umut hatte mir gelehrt, dass es ihn nur trauriger machen würde, wenn wir weinten. Seit meiner Kindheit hatte mein Vater mir in den Kopf gesetzt gehabt, dass nur schwache Menschen weinen würden und ich eine sehr starke Person war, deshalb sollte ich niemals eine Träne vergießen, das taten starke Mädchen wie ich nicht. Damit würde ich nur meine Mitmenschen traurig machen und mich selber runterziehen. Ich hatte das so gut ausgehalten, doch nach seinem Tod brach ich vollkommen zusammen. Ich zerbrach innerlich, doch ich versuchte es so gut wie möglich zu verbergen, ich trug eine Maske. Eine falsche Fassade. Ich war schon lange nicht mehr dieses energische, starke Mädchen. Seit seinem Tod hatte es für mich überhaupt keinen Grund gegeben, stark zu sein. Mein Vater war nämlich der einzige Grund gewesen, er hatte mir das gelehrt, er hatte mich zu diesem Mädchen gemacht und ohne ihn an meiner Seite wollte ich dieses Mädchen nicht länger sein. Die Leere in meinem Herzen war groß, zu groß. Vielleicht vergoss ich auch keine Tränen mehr, weil ich bereits alles aus mir herausgeweint hatte. Liebevoll verabschiedete ich mich von meinem Vater mit einem "Hab dich lieb Baba, bis Morgen." und einem zärtlichen Kuss auf den Schriftzug mit seinem Namen. Ich besiegelte das ganze mit dem weißen Rosenstrauß, welchen ich mitgebracht hatte und betrachtete sein Grab, welches mittlerweile voll mit weißen Rosen war. Ich lächelte. "Und das ist mein Geschenk an dich, Babacigim. Ich kann dir zwar niemals so viel geben, wie ich von dir bekommen habe.. Doch meine Liebe zu dir ist unendlich und ich weiß, dass du dich damit zufrieden gibst. Ich liebe dich, du bist der beste Vater der Welt." Im nächsten Moment erwischte ich mich dabei, wie ich mir eine Träne aus dem Gesicht strich.
Als ich zu Hause angekommen war, begrüßte mich Tuana außergewöhnlich fröhlich und vorfreudig. "Hab super Nachrichten!", schrie sie mir beinahe ins Ohr. "Was denn?", sprach ich in einem traurigen Tonfall, während ich die Schlüssel auf den Tisch legte und mir meine Schuhe auszog. Ich ging wortlos an ihr vorbei und ließ mich im Wohnzimmer auf einer Couch nieder, während sie mir hinterhertippelte. "Wir dürfen heute Abend raus.", sprach sie zu mir und legte einen kleinen Freudestanz ein, welcher einfach nur bekloppt aussah und mich aus diesem Grund zum Lachen drang. Dieses Mädchen war verrückt und ich liebte sie. WIe konnte sie mich in so einem Moment zum Lachen bringen, wie schaffte sie das? Kennt ihr diese Menschen, die einen selbst dann zum Lachen bringen, wenn man sich in der beschissensten Situation befindet? Genau so ein Mensch war Tuana, sie war mit einem Wort wundervoll. "Wohin geht's?", stimmte ich schlussendlich mit ein und beobachtete noch immer ihre Show, mittlerweile hüpfte sie aufgeregt auf der Stelle herum. Gerade wollte sie anfangen zu reden, da unterbrach ich sie. "Warte mal, wieso dürfen wir überhaupt raus?" "Ach, ich hab Dogus überredet. Er meinte, dass er uns vertraut und, dass ihr sowieso nur noch zwei Tage lang hier seid. Seitdem ihr da seid, waren wir überhaupt nicht abends draußen, ich hab ihn so ein bisschen umgestimmt." Ihr Grinsen war unschlagbar, sie freute sich wohl sehr darauf. Dogus war sehr streng und vor allem mit Tuana. Er konnte ihre Freundinnen überhaupt nicht austehen, weshalb er sie sowieso nie rausschickte, er vertraute ihnen nicht. Sie durfte nur raus, wenn ich da war..Und das war zu ihrem Leid, wenn überhaupt, ein paar Wochen lang im Sommer. Nicht einmal vorher hatte er es uns erlaubt, obwohl ich dabei gewesen wäre.
Wie dem auch sei, sie freute sich wie bereits genannt einem Kleinkind ähnelnd und zauberte mir somit ebenfalls ein breites Grinsen ins Gesicht. "Wohin gehen wir?" "Pass auf, ich hab uns das beste Shisha-Café der Stadt ausgesucht. Es gehört zu einem sehr bekannten Hotel, aber es ist öffentlich." "Das ist bestimmt überteuert Tuana.." "Nein, das ist doch das Gute. Es ist total bekannt, angesagt und überhaupt nicht überteuert. Ich war dort schon öfters, aber das darfst du Dogus nicht sagen!", befahl sie mir. Erneut musste ich kichern, was für ein durchgeknalltes Mädchen. "Und wann gehen wir?" Hektisch blickte sie auf ihr Handgelenk und musste feststellen, dass sie keine Armbanduhr umgeschnallt hatte. Als nächstes sah sie sich im Raum um und starrte eine ganze Weile lang auf die Uhr. "Also, wir sollten uns jetzt richten und gehen. Wenn es zu spät wird, dürfen wir doch nicht." Sie hatte Recht. Es war nun 19 Uhr und wenn wir zu lange warten würden, dann würden unsere Brüder es uns wohl doch verbieten. "Wir fahren doch nicht völlig aufgestylt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, oder?", fragte ich unsicher und bekam sofort die Antwort darauf, was mich zugegeben belustigte. "Darum habe ich mich auch schon gekümmert, wir kriegen Babas Auto." "Du bist die Beste!", lachte ich los und sie stimmte mit ein. "Ich weiß.", gab sie gespielt höchnäsig von sich.Ich betrachtete mich im Spiegel und musste feststellen, dass meine Haare wirklich sehr gewachsen waren. Ich sah sie mir eine Weile an und versank in Gedanken, bis Tuana mich aus ihnen herausholte. "Trödel' nicht rum, auf!" Und schon griff ich zu meiner Schminktasche, wo ich mir das nötigste Zeug herausgriff. Ich hatte mich zwar nicht dezent geschminkt, doch auch nicht zu sehr. Ich war ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis und ich fand nicht, dass ich so aussah, als würde ich auf eine Hochzeit gehen. Heutzutage liefen die Mädchen nämlich überall so rum, ob in der Schule, auf der Arbeit, in der Stadt oder zu Hause. Wie Tuana mir erzählt hatte, war dieses Shisha-Café ziemlich edel, weshalb ich mir möglichst schöne Klamotten heraussuchte. Ich entschied mich für einen schwarzen Bleistiftrock, welcher mir bis etwas über die Knie ging und eine schlichte Bluse, welche ich in den Rock hineinstopfte. Ich entschied mich nicht für hohe Schuhe, da ich das überhaupt nicht gewohnt war und sie meine Füße förmlich töten würden. Ich betrachtete mich im Spiegel und war der Meinung, dass das Outfit mir gelungen war. Anschließend fiel mein Blick auf die ebenfalls zu Ende gerichtete Tuana, doch ich konnte vor lauter Begeisterung nur ein "Wow!" aussprechen. Sie war solch eine Schönheit, das konnte man kaum in Worte fassen. Das dezenteste Make-Up reichte aus und so konnte ich bei ihr nur etwas Rouge und Wimperntusche erkennen. Ihre langen schwarzen Haare ließ sie sich gerade über den Rücken fallen, während ich meine gelockt hatte. Sie trug ein unglaublich schönes Kleid, welches schlicht und edel zugleich war. "Und?", wollte sie gespannt von mir wissen. "Wow!", kam es erneut mit der vollsten Begeisterung von mir, woraufhin sie begann zu kichern. "Also du bist ja der Star des Abends, mit deinem wunderschönen Aussehen. Bugra lässt sich echt was entgehen!", sprach sie mir euphorisch zu und schon wieder musste ich an ihn denken. Es zog meine Laune etwas runter, wieso musste sie ihn jetzt erwähnen? "Oh Özi, das wollte ich doch gar nicht.", sprach sie entschuldigend und nahm mich in den Arm.
Als wir die Shisha Bar betraten, kam ich gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Es war alles so faszinierend eingerichtet. Alles wirkte so orientalisch und makellos. Der Kellner brachte uns zu einem freien Tisch mit zwei Sitzen, wo wir uns wie vorgegeben niederließen. Ich blickte mich immer wieder um und musste feststellen, dass es hier wohl wirklich sehr angesagt sein musste. Das war ein negativer Punkt, da es hier einfach zu voll war. Die Leute mussten fast aufeinander sitzen und so kam es, dass sich direkt neben uns zwei junge Männer platzierten. Es störte uns ehrlich gesagt, doch wir konnten nichts sagen, da es wohl so kommen musste. Immerhin hatten wir hier keine Rechte auf Extrawünsche und müssten nun damit klarkommen. Als erstes bestellten wir uns Getränke und anschließend ließ ich Tuana die Wahl für die Shisha. Sie entschied sich für Traube-Minze und ich stimmte zu. "Sehr gute Wahl.", kam es zwinkernd von den Jungs nebenan, was wir gekonnt ignorierten. Stattdessen redete ich mir mit Tuana die Zunge Wund und wir lachten viel miteinander. Glücklicherweise hatten die Jungs aufgehört uns anzusprechen und so fühlten wir uns nun auch wieder wohler. Ich war gerade dabei, mich zu erheben und meinen Rock zurechtzustreifen, da blickte ich unbedacht an den Eingang, wo ich eine Person erblickte, mit der ich niemals gerechnet hätte. War das gerade real oder doch ein Traum? Ich wollte es nicht wahrhaben und starrte reglos zu den zwei jungen Männern, welche sich mit dem Kellner unterhielten und als sich plötzlich unsere Blicke striffen, da war alles vorbei. Ich wollte weg, ich konnte das nicht.
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Ömür Boyu (Ein Leben lang)
Romance"Rede doch mit mir.", sein Atem prallte auf mein Gesicht, wodurch sein ekelhafter Mundgeruch in meine Nase einzog. Mein Herz raste wie wild, was wollte er von mir? Die Angst stieg immer weiter in mir auf. Er kam immer näher und immernoch versuchte i...