Kapitel 49

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Als wir letztendlich in Deutschland angekommen waren, vermisste ich die täglichen Besuche bei meinem Vater sehr. Er war nun auf dem neusten Stand, ich hatte ihm alles von Bugra und mir erzählt. Er sollte es wissen. Er sollte wissen, dass seine kleine Prinzessin groß geworden war und sich verliebt hatte. Ich konnte mein Glück kaum fassen und so kam es, dass ich außergewöhnlich gute Laune hatte.

Im Nachhinein hatte ich mit Tuana über die ganze Sache gesprochen und sie hatte mich über das kurze Gespräch von den beiden im Café aufgeklärt. Er hatte sie darum gebeten, mich kurz 'entführen' zu dürfen und diese Sache mit mir zu klären. Wir beide konnten noch immer nicht fassen, wie das Schicksal uns in Istanbul zusammengeführt hatte, doch es war eben ein unfassbar schöner Moment, welcher uns für immer in Erinnerung bleiben würde. Ja, Bugra und ich waren nun ein richtiges Paar und all die Missverstände hatten sich in Luft aufgelöst, ich war so ein fröhlicher Mensch an seiner Seite.

Der erste Tag in Deutschland war ungewohnt kühl und so ging ich meine treuste Seele Aylin besuchen, welche nicht besonders große Neuigkeiten für mich hatte. Bei Tuna und ihr lief wie erwartet alles super, das freute mich natürlich sehr. Als ich ihr schließlich auch von der Versöhnung mit Bugra und generell allem, wovon sie noch nicht Bescheid wusste, erzählte, kam sie überhaupt nicht mehr aus dem Staunen raus. "Ihr habt euch einfach so in dieser riesigen Stadt ausgerechnet in diesem Shisha-Café getroffen? Ich glaube es nicht.. und es ist wieder alles in Ordnung zwischen euch?" Stolz nickte ich und kam überhaupt nicht mehr aus dem Schwärmen von meinem Bugra raus, welcher auch in zwei Tagen von seiner Geschäftsreise nach Deutschland zurückkehren würde, ich erwartete ihn sehnsüchtig. Wir plauderten noch eine ganze Weile, bis ich mich am Nachmittag von ihr verabschiedete, da ich noch einige Sachen zu erledigen hatte, wie einkaufen zu gehen. Gerade, als ich in mein Auto stieg, klingelte mein Handy und so nahm ich ohne zu Überlegen einen Anruf meiner Mutter in Empfang. "Ja, hallo?", sprach ich in den Hörer. "Hosgeldiniz, kizim. (Willkommen, meine Tochter) Denkst du, wir können uns heute treffen?" "Heute ist es etwas schlecht, ich muss noch einkaufen gehen-" "Du kannst auch nach dem Einkaufen kommen, das ist kein Problem für mich. Kommt doch mit deinem Bruder zusammen zum Abendessen vorbei, es geht um Özlems Hochzeitsplanung und sie möchte euch gerne dabei haben." Es war ein schönes Gefühl, von der eigenen Familie wieder anerkannt zu werden und so nahm ich das Angebot dankend an, doch vorher sagte ich noch Umut Bescheid, dass er sich für diesen Abend nichts vornehmen sollte. Als er schlussendlich bejahte, machte ich mich auf den Weg in den Supermarkt und besorgte alle möglichen Lebensmittel von Bedarf. Zu Hause angekommen sortierte ich die frisch gekauften Sachen in die Schränke ein und sah anschließend auf die Uhr, welche mir bestätigte, dass ich noch einige Stunden Zeit hatte, bis wir meine Mutter besuchen würden. In dieser Zeit machte ich mir über alles Mögliche Gedanken und das Schöne daran war, dass ich plötzlich dank der Versöhnung mit Bugra sämtliche Lust am Leben wiedergefunden hatte. Liebe von einem geliebten Menschen zu bekommen war solch ein unbeschreiblich schönes Gefühl, er sollte so schnell wie möglich zurück nach Deutschland kommen.

Der Empfang unserer Familie fiel ungewohnt freundlich aus, wir waren anscheinend sehr willkommen. Allerdings hatten wir uns fest vorgenommen, sie zappeln zu lassen und nicht direkt zu vergeben, auch wenn wir das im Interesse unseres Vaters zukünftig vorhatten. Die Hochzeitsplanungen meiner Schwester waren so ziemlich der einzige Grund, weshalb ich mich hatte zu diesem Besuch überreden lassen. Eine Sache saß nämlich noch gewaltig tief in mir drin, was ich so schnell wie möglich loswerden musste. "Wieso wurden wir denn nicht zu Kiz isteme (Um die Hand des Mädchen anhalten) und zu Söz (das Eheversprechen) eingeladen? Da fandet ihr noch nicht, dass wir zu eurer Familie gehören, nicht wahr?" Ich sprach das Thema vor allen möglichen Leuten an und es war mir egal. Was meinten sie, was sie abziehen könnten? Dachten sie, wir würden ihnen still dabei zusehen und am Ende ohne zu überlegen verzeihen? Da hatten sie wohl mächtig falsch gedacht. Eigentlich waren nicht besonders viele Gäste da. Özlem, ihr Verlobter, mein gehasster Onkel mit seiner Familie und meine Mutter waren da. Es ärgerte mich, dass sie den Platz meines Vaters mit seinem Bruder zu ersetzen glaubte, es machte mich wütend. Er hatte in unserer Familie nichts zu suchen, er hatte meinen Vater zu Lebenszeiten nur gedemütigt und jetzt versuchte er unsere Vaterrolle einzunehmen, das konnte ich nicht hinnehmen. "Kizim, müssen wir denn über das-" "Ja, müssen wir.", meldete sich mein Bruder zu Wort, während er in seinem Putensteak herumstocherte. "Was war denn der Grund dafür? War es die Tatsache, dass ich ihm Gefängnis saß und niemand an meine Unschuld geglaubt hat? Dass ihr mich stattdessen hinter meinem Rücken beschimpft habt? Glaubt mir, wenn wir unseren Vater nicht über alles lieben würden, dann würden wir hier jetzt in diesem Moment nicht sitzen. Wir würden niemals den Frieden mit euch suchen, aber Baba hätte nichts anderes gewollt als das. Alles was wir tun, tun wir für ihn. Ich kann euch so leicht nicht wieder als Familie ansehen, ihr wart nicht an meiner Seite, als es mir schlecht ging. Stattdessen wurde ich als mieser, dreckiger Krimineller und als Ehrenloser beschimpft, von meinem Onkel. Was hat er eigentlich zu sagen?" Diese Worte müssten bei allen tief sitzen, "Jackpot!", rief ich meinem Bruder innerlich zu. "Umut, pass auf wie du mit mir redest! Dein Vater ist nunmal nicht mehr da, dafür bin ich da." "Du wirst niemals die Stelle meines Vaters ersetzen können Amca (Onkel), merkst du das nicht? Du könntest nicht mal der Fingernagel meines Vaters sein, du warst nicht einmal bei seiner Beerdigung! Du hast uns nichts zu sagen, nichts, verstehst du?", mischte ich mich mit ein. "Umut, Özge, es reicht! Wir reden ein anderes Mal darüber, seid leise! Es geht hier um Özlem und Cenk, nicht um euch." "Indirekt geht es hier um uns. Ihr habt uns eingeladen, weil ihr auf eine Versöhnung hofft. Insgeheim wollt ihr mich vergessen lassen, dass ihr keine gute Familie seid. Ihr wollt das wieder gut machen, aber das werdet ihr niemals schaffen. Ich muss mir nicht länger anhören, dass ich leise sein soll. Özge, wir gehen." Wutentbrannt stürmten wir aus dem Haus, während meine Mutter uns doch noch versuchte, davon abzubringen. Es war uns egal, auf so eine Show konnten wir verzichten. Sie beriefen uns zu nichts, weder zu dem Versprechen meiner Schwester, noch als um ihre Hand angehalten wurde. Ich hatte nicht geplant, dass das so ausarten würde, doch es war nunmal geschehen und erneut bekam ich zu Gesicht, wie sich meine Mutter auf die Seite meines Onkels stellte, weil sie ihn so sehr respektierte. Seine Worte hallten immer wieder in meinem Kopf und ich konnte nicht fassen, mit welchem Recht er solche Unverschämtheiten von sich zu geben wusste. Umut fuhr das Auto und ich blickte bloß starr aus dem Fenster. "Ich hätte ihnen wirklich für Baba verziehen, aber nicht solange sie so einen dreckigen Kerl verteidigen." Ich stimmte ihm zu, während wir still durch die dunklen Straßen Münchens fuhren. Wir aßen schließlich in einem chinesischen All-You-Can-Eat-Restaurant namens 'Majestic' zu Abend und gingen anschließend nach Hause, wo wir uns einen gemütlichen Filmabend machten.

Ömür Boyu (Ein Leben lang)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt