Ganzer Prolog:

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Dies ist nicht meine Geschichte... Es ist seine. Nur kann er sie nicht mehr erzählen. Er ist tot. Also werde ich es tun. Soweit ich das kann.
Jetzt bin ich auf dem Friedhof. Es sind viele Menschen versammelt hier. Ein eiskalter Schauer läuft mir über den Rücken. Früher bin ich hier immer durchgelaufen auf den Weg zur Schule. Hab mir eigentlich nichts dabei gedacht. Jetzt ist alles anders.
Vor mir stehen zwei Wege, die zur zwei Gräbern führen.
In einem liegt das Opfer und in dem anderen sein Mörder.
Ich kann mich nur nicht entscheiden, wer welche Rolle spielt.
Die anderen haben es leichter. Sie wissen nicht so viel, wie ich weiß. Sie urteilen über das Offensichtliche, das Gesehene, das Gehörte. Ich hingegen habe es nicht so leicht. Für mich ist es nicht Offensichtlich. Ich hab es weder gesehen noch gehört....
Ich habe es miterlebt.
Den ganz normalen eines ganz normalen Schulmädchens. Ich war dabei, als die ersten Schüsse fielen. Ich saß oben in Frau Habermanns Klassenzimmer und wünschte die Mathestunde endlich vorbei. Mein Wunsch sollte in Erfüllung gehen aber ganz anders als ich je hätte träumen können.
Ich saß an meinem Stammplatz gegenüber von der Tür und kritzelte irgendwelche Kreise auf mein Block, während ich überlegte was ich später anziehen könnte. Merkwürdig über was ich mir damals alles so Gedanken machte und wie viel ich noch weiß. Ich weiß noch, wie ich mir im Kopf ausmalte, wie ich in dem grünem bauchfreien Top aussehen würde.
Burak war an der Tafel und rechnete irgendwas aus. Von hinten tuschelten Leonie und Merve. Und dann wurden alle ganz Still.
Es passierte blitzschnell aber ich weiß noch alles. Wie Frau Habermanns Augen sich vor Schreck weiteten, wie sogar Merve und Leonie ihr Tuscheln unterbrachen.
Das einzige Geräusch kam von der Kreide die Murat fallen lies.
Dann kam der zweite, dicht gefolgt vom dritten Schuss.
Merve fing an zu kreischen, während Burak kreideblass war. Frau Habermann jedoch stand auf und sagte wir sollen rausrennen. Aber ich konnte nicht. Ich war gelähmt vor Angst.
Es ging nicht nur mir so.
Allgemeine Unruhe machte sich breit. Merve hatte aufgehört zu kreischen. Selbst Frau Habermann saß auf ihren Platz.
Was soll man, denn groß machen, wenn man weiß, dass es keinen Ausweg gibt?
Als die Schüsse immer näher kamen und immer öfter, fing ich an zu weinen. Ich hatte Angst.
Mehmet stand auf und befahl uns, uns zu verstecken. Unter die Tische zu gehen wenigstens. Es war etwas lahm. Aber die Angst trieb mich dazu und wir setzten uns alle mucksmäuschen Still unter die Tische und weinten. Das Emo weinte, die Schlampe weinte, der Muskelprotz weinte, der Streber und die Lehrerin. Es war egal wer wir waren. Wir würden sterben.
Als sich die Tür öffnet, keucht Mand neben mir. Ich sehe den Schützen und mir ist klar, was ich eigentlich, wenn ich ehrlich bin vom ersten Moment an wusste.
Er ist es.
Der erste Schuss trifft Leonies Bein.
Sie ist übrigens heute hier. Auf der Beerdigung. Sie wird nie wieder eines ihrer geliebten Higheels tragen können. Ist gefesselt auf einem Rollstuhl.
Der zweite Schuss wird wahllos abgefeuert.
Und dann... kreuzen sich unsere Blicke. Du richtest die Waffe an meine Schläfe und schaust mir dabei in die Augen. Ich schaue zurück. Ich schließe sie nicht. Es ist eine endlose Minute in der du mich zappeln lässt.
Es ist deine Art mich zu strafen. Ich verdiene es.
Aber dann entfernt sich das kalte Metall von meiner Schläfe und ich bin ein klein wenig überrascht, dass du es nicht getan hast.
Es ist der Fehler deines Lebens. Das Leben, welches du mir erneut geschenkt hast, werde ich nämlich schon in etwa fünfzehn Minuten wegwerfen.
Aber jetzt schaust du mir in die Augen, grinst etwas verbittert und flüsterst nur:
„Renn!"
Und ich renne.... renne... renne....
In mein Verderben.


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Eure Hati :****

Renn!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt