45. Ohne ihn

1.9K 216 61
                                    


Es vergingen 5 Minuten, es vergingen 20 Minuten und es vergingen zwei Stunden, doch Harry kam nicht zurück. Sein Flug musste schon längst abgehoben sein. 

Ich musste hier raus, ich schnappte mir meine Sachen und stürmte über den Flur und die Lobby raus ins Freie. Irgendwie muss ich meinen Kopf frei bekommen. "Fuck, fuck, fuck...", hastig schloss ich mein Range Rover auf und stieg ein. Die Musik drehte ich bis auf Anschlag auf und ließ dann meinen Motor aufheulen, ehe ich vom Parkplatz rauschte. Wie konnte ich ihn gehen lassen? Ich war so ein Idiot... Warum habe ich es nicht geschafft?

Mit einem Kopf voller Fragen doch ohne Antworten kam ich an der Sporthalle an, nahm meine Tasche und eilte in die Umkleiden. Meine Trauer war in den letzten zwei Stunden in Wut umgesprungen. Wut auf mich, Wut auf Harry, Wut auf die Welt.

Als ich die Turnhalle betrat, schlug mir stickig warme Luft entgegen. Ich nahm meine Boxhandschuhe, ging den Gang entlang und landete im großen Raum mit den Boxringen. Ich wollte niemanden verletzten und nahm mir daher lieber den schweren Boxsack vor und schlug direkt drauf ein. "Scheiße!", fluchte ich, mir war dabei sowas von egal, was die anderen im Raum von mir dachten. Der Boxsack kassierte einen Schlag nach dem anderen, in dem ich meinen sämtlichen Frust abließ, bis ich eine Hand auf meiner Schulter spürte.

"Warum so aggressiv heute, Miller?" Tom stand hinter mir und ich warf ihm einen giftigen Blick zu. "Wow, sorry Mann..." Entschuldigend hob er seine beiden Hände "...brauchst du einen richtigen Gegner? Ich stehe dir gerne zur Verfügung." - "Lieber nicht, ich will dich nicht verletzen." - "Ach, deine Wattebäuschenschläge steck ich doch locker weg." Er zwinkerte mir zu und drehte sich dann einfach um, zum gehen. Wattebäuschenschläge? Der kann was erleben. Ich wischte mir einmal über das Gesicht und ging ihm dann hinterher. 

"Ich wusste, dass ich dich kriege.", sagte er zu mir, obwohl er mich noch gar nicht gesehen haben konnte. "Na warte Tom. Heute hättest du mich lieber nicht provoziert." Darauf bekam ich keine Antwort mehr. Tom zog die Boxhandschuhe über und stellte sich dann in Position. Mit einem Nicken gab er mir ein Zeichen, dass wir starten konnten.


Nach einer 90-minütigen Session war ich dann auch wirklich fix und fertig. "Puh, Alex. Heute hast du mich wirklich hart rangenommen." - "Rede nicht so, als hätte ich dich gefickt." Auch wenn ich körperlich ausgepowert war, waren meine Gedanken sofort wieder voll gegenwärtig. "Mensch Alex, welche Laus ist dir nur über die Leber gelaufen." Ich seufzte einmal und fuhr mir durchs Gesicht. "Ist egal. Tut mir leid, ich wollte meine schlechte Laune nicht an dir auslassen. Nimm es bitte nicht persönlich. Und danke, dass du trotzdem mit mir geboxt hast." - "Kein Problem, Kumpel." Und tatsächlich konnte ich ihm ein kleines, aber ehrliches Lächeln entgegenbringen. "Na komm, lass uns duschen gehen."

_____


Auch wenn das Kickboxen wirklich gut tat und meine Wut etwas milderte, konnte ich es einfach nicht lassen, an Harry zu denken. Es würde jetzt sicherlich wieder Ewigkeiten dauern, bis ich mich in eine Beziehung stürzen konnte. 

Seufzend stand ich auf und stellte mich etwas planlos in die Küche. Lucy hatte bald Feierabend und würde dann nach Hause kommen. Sie stand mir wirklich die ganze Zeit bei, gab mir Ratschläge und Tipps, sprach mir gut zu und doch hatte ich Volltrottel es geschafft, dass Harry ging. Ich sollte mich bei ihr bedanken. Kurzerhand schnappte ich mir mein Portemonnaie, um etwas einkaufen zu gehen. 


Als ich wieder zu Hause war, breitete ich die Lebensmittel aus. Ich war schon immer eine Niete im Kochen und hatte mich daher für eine einfache Gemüsepfanne mit Hähnchen entschieden. 

Gerade als ich die ersten Zutaten in die Pfanne schmiss, hörte ich die Haustür aufgehen. Nur kurze Zeit später stand Lucy im Türrahmen und sah mir fragend an. "Hey... alles okay?" - "Ach Lucy, du weißt, dass gerade nicht alles okay ist. Aber... ich wollte mich bei dir bedanken, dass du mich bei allen Dingen unterstützt und einfach immer da bist und daher... koche ich heute für uns." - "Wow... du kochst. Dass ich das mal erleben darf." Ich lachte kurz und wunderte mich noch nicht einmal, dass sie zu meinen Sätzen davor gar nichts sagte.


"Das schmeckt gar nicht mal so schlecht, Alex.", grinste meine beste Freundin mich an, als sie die ersten Bissen runtergeschluckt hatte. Und ich musste ihr tatsächlich Recht geben und mich selbst loben. Aber dennoch wird Lucy die Chefin in der Küche bleiben, das war definitiv eine Ausnahme. "Sag mal Lucy, meinst du ich habe richtig gehandelt?" - "Hm, was meinst du?" - "Na... mit Harry." Lucy hob ihre Augenbrauen und schluckte das Essen in ihrem Mund runter, ehe sie ihr Besteck beiseite legte und sich mit verschränkten Armen im Stuhl zurücklehnte. "Nein, ich denke, du hast falsch gehandelt und das weißt du auch. Du kennst meine Meinung, ich habe sie dir oft genug gesagt." Ich schluckte und nickte. Ja, ihre Meinung hatte sie mir oft genug gesagt und trotzdem hatte ich nicht auf sie gehört. "Aber jetzt ist es zu spät. Ich werde versuche müssen, damit klarzukommen. Er ist weg und hat Jake. Er hat sich für ihn entschieden." - "Ach hat er das wirklich? Warum bist du dir da so sicher, Alex?" - "Sonst wäre er hier." 

Lucy runzelte die Stirn, nahm wieder ihre Gabel und stocherte in ihrem Essen rum. "Hast du ihm eigentlich mal gesagt, dass du ihn liebst? Also so richtig 'ich liebe dich' gesagt und nicht nur Taten wie Küsse und Sex sprechen lassen?" - "Was?! Natürlich nicht. Das hätte ihn entweder vergrault oder unter Druck gesetzt."

"Natürlich nicht... ", wiederholte sie leise meine Worte. "... weißt du... mir ist da vorhin noch ein blöder Gedanke gekommen." - "Wovon redest du Lucy?"

Sie fuhr sich einmal durch die Haare und sah mir dann intensiv in die Augen. "Es war wirklich nur ein Gedanke, keine Ahnung, ob es sein könnte. Du hast mir erzählt, dass du ihm gesagt hast, dass du dein Single-Leben genießt. Er weiß also, dass du dich... sorry für den Ausdruck aber, dass du dich durch die Weltgeschichte vögelst. Vielleicht denkt er, dass er für dich nur eine Herausforderung war, die Herausforderung der verflossenen Liebe oder die Herausforderung einen vergebenen Typen ins Bett zu kriegen."

"Was?! Harry war doch keine... " Ich stoppte und schluckte. Konnte das wirklich sein? Ich unterbrach unseren Blickkontakt und starrte auf meinen Teller vor mir. "So... habe ich das noch nicht betrachtet."

Lover or Liar - Part II - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt