50. Morgens

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Warme, feuchte Tupfer spüre ich auf meiner Schulter, welche dann langsam und sanft zwischen meine Schulterblätter wandern. Ich seufzte, strecke mich und drückte mich etwas der Berührung entgegen. "Guten Morgen Baby.", raunt mir eine tiefe, aber leise Stimme ins Ohr, die mich sofort grinsen ließ. 

Meinen Körper drehte ich auf den Rücken, um Harry anschauen zu können, dieser lag seitlich, stützte seinen Kopf auf einer Hand ab und beobachtete mich. "Morgen...", murmelte ich noch ziemlich verschlafen und versuchte immer mal wieder meine Augen zu öffnen, welche immer wieder zu fielen. Harry kicherte und legte seine freie Hand auf meinen Bauch, nur um dort kreisende Bewegungen zu machen. "Du streichelst meinen Bauch, als wäre ich schwanger." - "Hey komm, letzten Monat hatten wir ungeschützten Verkehr, also vielleicht..." Harry beendete seinen Satz nicht und blinzelnd öffnete ich ein Auge. Der Lockenkopf tippte sich nun mit dem Zeigefinger immer wieder gegen sein Kinn und starrte an die Decke, als müsste er ernsthaft über etwas nachdenken. 

"Dass ich ein Mann bin, hast du aber schon bemerkt oder?", fragte ich mit gespielt ernster Miene. Völlig übertrieben riss Harry seine Augen auf: "Was?! Gut, dass du mir das noch mal sagst." - "Du Spinner." Und jetzt mussten wir beide lachen. 

Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, schaute Harry mir tief in die Augen und lächelte. Es ging einfach nicht anders, ich musste es umgehend erwidern. Als Harry eine Locke ins Gesicht fiel, hob ich schnell eine Hand, um sie wieder hinter sein Ohr zu schieben. Meine Hand zog ich jedoch nicht wieder zurück, sondern streichelte sanft seinen Nacken, bis sich Harrys Blick plötzlich änderte.

Kurz sah ich noch, wie Harrys Lippen sich zu einem schmalen Strich verzogen, dann drückte er sein Gesicht auf meinen Brustkorb. Nur wenige Augenblicke später spürte ich auch schon ein paar Tränen auf meiner Brust. Oh nein, mein Harry, mein Baby weinte und es zerbrach mir das Herz. Hatte ich Harry während seines Urlaubs einmal weinen gesehen? Erinnern konnte ich mich jedenfalls nicht daran. "Was ist los Harry?"

Zu seinen bisher stummen Tränen, kam nun ein kleines Schluchzen. "Hey, alles ist gut, du brauchst nicht weinen.", flüsterte ich und strich ihm über den Kopf.

Es dauert ein paar Sekunden, doch dann löst er sich vorsichtig von meiner Brust und wir sehen einander an. Meine Hand streicht über seine Wange und erst als ich ihm seine Tränen beiseite wischte, krächzte er leise: "Ich... kann noch gar nicht fassen, dass du wirklich lebst. Dass ich hier bei dir sein darf." Ich lächelte ihn an und gab ihm einen Kuss auf die Wange. "Ich kann dich verstehen. Für mich fühlt es sich auch noch wie ein Traum an, aber... ich lebe. Und du bist hier. Bei mir."

Seine Lippen schmecken etwas salzig, als er sich vorbeugt und mich küsst. Wir lassen den Kuss zärtlich angehen und genießen die Nähe des anderen. Wie konnte ich es nur die letzten elf Jahre ohne ihn aushalten? Ich verstehe es bis heute nicht.


Mein Blick fällt auf sein Handy, als wir kurze Zeit später unseren Kuss wieder gelöst hatten und einfach nur kuschelnd im Bett lagen. "Weißt du eigentlich, dass du beim Buchen deines Urlaubs eine falsche Handynummer angegeben hast?" - "Wie kommst du darauf? Eigentlich müsste die richtig sein." - "Ich habe ein paar Tage nach deiner Abreise versucht dich anzurufen, doch es ertönte nur die Ansage, dass der Anschluss nicht vergeben wäre. Das gleiche bei der Telefonnummer von dem Jeansladen, die ich im Internet gefunden hatte.", gab ich zu und kratzte mich etwas verlegen am Nacken, doch Harry schien es gar nicht zu merken, sondern runzelte nur mit der Stirn. "Also ich kann mich nicht daran erinnern, dass der Laden in den ganzen Jahren, in denen ich dort gearbeitet habe, jemals die Telefonnummer gewechselt hat. Und... da fällt mir mein: meine Handynummer habe ich definitiv richtig angegeben, ich habe vom Hotel eine Bestätigungs-SMS erhalten."

"Das ist merkwürdig...", nuschelte ich eher zu mir selbst. "Ja, allerdings. Naja, aber jetzt brauche ich wirklich bald einen neuen Handyvertrag. Mit meiner britischen Handynummer komme ich hier ja nicht weit." - "Oh Gott...", hauchte ich und stand wie vom Blitz getroffen auf. Nur in Unterwäsche huschte ich durch die Wohnung in die Küche, wo mein Handy lag und ging damit schnell wieder ins Schlafzimmer. "Hast du mich gestern von deinem Handy aus angerufen, Harry?" - "Ja, von welchem denn sonst?", fragte er sichtlich verwirrt. "Du hast mit unterdrückter Nummer angerufen. Sag mir mal bitte deine Handynummer." 

Harry war skeptisch, sagte mir aber trotzdem seine Nummer an. Ich speicherte sie kurz und begann den Rufaufbau. Kein Anschluss unter dieser Nummer. "Sag mir mal bitte die Nummer von Gemma." Auch dieser Bitte kam er mir nach. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Ich holte einmal tief Luft und tippte dann Lucys Handynummer ein - hier ertönte direkt das Freizeichen, sodass ich wieder auflegte. Mein Verdacht hatte sich bestätigt.

"Diese Schweine...", fluchte ich leise und schmiss mein Handy auf die Bettdecke. "Was ist?" - "Die Behörden haben anscheinend die Ländervorwahl von Großbritannien für meine Handynummer sperren lassen. Ich kann dort also nicht hintelefonieren, allerdings angerufen werden." - "Oh...du hattest wirklich keine Möglichkeit irgendjemanden jemals zu kontaktieren. Einreiseverbot, diese Ländersperre im Telefon. Jetzt fühle ich mich schon fast ein bisschen schlecht, dass ich dich nie versucht habe zu finden."

Geschockt drehte ich mich zu Harry, setzte mich auf die Bettkante und nahm sein Gesicht in meine Hände: "Das... darfst du nie wieder denken, okay? Dir wurde von der Polizei erzählt, ich sei tot, es gab eine Beerdigung und so weiter. Natürlich hast du nicht nach mir gesucht, wer sucht schon nach einer toten Person? Also... denk nicht so einen Blödsinn, okay? Und selbst wenn, die Erde ist riesig. Nie hättest du mich finden können." 

Er schmunzelte etwas und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Nase: "Und doch habe ich dich gefunden." Ich nickte lächelnd, stupste dann mit meiner Nase an seiner. "Das stimmt. Wir haben so viel nachzuholen... Ich habe eine Idee." - "Und die wäre?"

"Erst gestern habe ich darüber nachgedacht, mir mal ein paar Tage Urlaub zu nehmen. Ich wollte wegfahren, ins Grüne, Zeit für mich haben. Was hältst du davon, wenn wir das gemeinsam machen? Wir könnten heute zunächst los und alles wichtige erledigen, also dich hier anmelden, eventuell eine neue Handynummer. Naja, eben die Dinge, die man nach einem Umzug machen sollte. Und dann fahren wir los." - "Ins Grüne? Also Campingurlaub?" - "Ja so in etwa." 

Harry schaute mich misstrauisch an, grinste aber dabei: "Mochtest du das früher auch schon? Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich nicht daran erinnern." - "Ich habe noch nie Campingurlaub gemacht. Also kann ich dir nicht sagen, ob ich es mögen werde. Vielleicht kommen wir ja morgen schon wieder zurück." - "Hast du überhaupt ein Zelt, Lou?" - "Nein, aber ich denke, wir können noch eines kaufen."

"Dann... lass uns das so machen." Er wollte das wirklich machen. Ich freute mich so sehr und küsste ihn schnell auf den Mund. "Danke Harry. Dann pack mal deinen Koffer aus und pack ihn wieder ein...", grinste ihn an und streckte meine Zunge raus. "... vielleicht könntest du auch ein paar Sachen für mich einpacken, in deinem Koffer sollte Platz genug sein. Ich gehe eben mit meiner Chefin telefonieren, um den Urlaub abzuklären, ja?" - "In Ordnung."


Ich konnte es gar nicht fassen, heute Nachmittag oder Abend würde ich das allererste mal mit Harry sowas wie Urlaub machen. Nur wir beide. Das hatten wir nicht mal vor elf Jahren. Das werden die besten Tage meines Lebens.

Lover or Liar - Part II - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt