18. Vergangenheit II

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"Mit meinen toten Eltern neben mir und einer Schussverletzung ließ mich der Handlanger im Wald zurück, warf jedoch noch ein Prepaid-Handy hin, mit dem ich Hilfe rufen konnte. Und das habe ich getan. Ich wurde in ein Krankenhaus gebracht und operiert. Als ich das nächste Mal aus der Narkose aufwachte, waren bereits zwei Ermittler da, um meine Aussage aufzunehmen.... Tja, und nach einigen Besprechungen kam es dann dazu, dass ich ins Zeugenschutzprogramm gesteckt wurde. Ich..." Langsam bahnten sich wieder Tränen ihren Weg über meine Wangen. Lucy beugte sich zu mir und wischte sie sanft mit ihrem Daumen weg, weshalb ich sie dankbar anlächelte. 


Ich nahm mir die Zeit, die ich brauchte, um weiter erzählen zu können. Geräuschvoll atmete ich noch einmal aus. "...Ich durfte nie wieder zurück. Ich durfte mich nicht von Niall oder Liam oder Harry verabschieden. Verdammt, ich durfte noch nicht einmal zurück in unser Haus, um persönliche Gegenstände mitzunehmen. Kein Foto, nichts. Es war so schrecklich. Die Beerdigung meiner Familie habe ich verpasst, niemals durfte ich deren Grab besuchen, in dem ja angeblich auch ich liege... wie absurd... Meine Welt zerbrach. Mein Herz zerbrach. Wusstest du, dass tatsächlich die Erinnerungen an die Gesichter der geliebten Menschen mit der Zeit verschwimmen? Es ist menschlich, aber es ist furchtbar. Ich hasse mich selbst dafür, dass mein Gehirn sich nicht mehr alle Gesichter perfekt vorstellen kann.

Naja, das ganze ist jetzt elf Jahre her. Seitdem lebe ich hier und diese elf Jahre kennst du ja." Lucy nickte: "Das... das ist furchtbar. Sowas sollte kein Mensch erleben. Das tut mir so leid. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, lass es mich bitte wissen." Dankbar lächelte ich sie an, schwieg jedoch.


Nach einer Weile schaute Lucy mich dann aber doch wieder nachdenklich an: "Alex, gab es denn irgendein Ereignis, dass dich so sehr an das Geschehene erinnerte? Denn so aufgelöst habe ich dich noch nie gesehen. Oder war es dein...'Todestag'?" 


Gequält lächelte ich sie an: "Es gab einen Moment, der alles wieder aufkommen ließ. Und das heftiger als je zu vor... Als Harry in unser Hotel eincheckte, um Urlaub zu machen." Scharf zog Lucy die Luft ein. "Oh scheiße..." Ohja, das konnte sie laut sagen. "Am Anfang dachte ich, ich habe mich verguckt, doch als ich seine Stimme hörte und seine Schwester sah, war es nicht mehr abzustreiten... Ach Lucy, ich war nicht mehr Herr meiner Handlungen. Ich wollte doch nur wissen, wie es ihm geht und was er so macht. Bei einem Gespräch der beiden habe ich herausgefunden, dass es sich für ihn nie so anfühlte, als wäre ich tot. Ich wurde unvorsichtig, doch wurde von beiden nicht erwischt. Bis dann der Abend von vor ein paar Tagen kam..."


Ich sah sie an, doch sie schien nicht zu verstehen, denn sie runzelte die Stirn. "Du warst dabei Lucy.", hauchte ich ihr zu. Kurz überlegte sie, doch dann weiteten sich ihre Augen. "Warte. Nein. Sag mir nicht, dass es dieser kleinkarierte Typ war?" - "Doch, das war Harry. Glaub mir Lucy, seinen Charakter habe ich selbst nicht erkannt. Denn früher war er nicht so. Er war der liebste Kerl, den ich kannte und er konnte nicht mal eine Fliege beleidigen." - "Oh. Okay. Ja, dann hat er sich verändert.... Okay, die ganze Geschichte erklärt sein plötzliches Verhalten, als er dich sah. Er hat dich erkannt, ich meine er hat deinen Namen... also deinen richtigen Namen gesagt. Verdammt, wie konntest du in diesem Moment so die Fassung behalten?" - "Hm, ich denke, dass er glaubte mich zu erkennen, doch da ich so hartnäckig war, dann doch glaubte, dass er sich irrte."


"Das... ist gut oder?" - "Nichts ist gut...", flüsterte ich nun. "...das Schlimmste kommt noch, Lucy." Ich schloss die Augen, denn langsam fing das Brennen wirklich an weh zu tun. "Was kann denn jetzt noch kommen, Alex?" Ich verzog mein Gesicht, als ich an den gestrigen Tag dachte. "Du weißt doch noch, als du mich gestern gefragt hast, ob ich einen Geist gesehen hätte oder?" - "Jaaa?!" - "Wir sind uns zufällig im Vorraum der Duschen nach dem Sport begegnet. Scheiße, mir war sofort klar, dass ich aufgeflogen war. Harry war mein Freund, er kannte jeden Millimeter meines Körpers und fast alle Tattoos hatte ich damals auch schon. Sie haben mich verraten. Ich zog ihn in eine Duschkabine, um ihm klar zu machen, dass er es geheim halten muss und wollte ihm erklären, was vorgefallen ist, doch dazu kam ich nicht." - "Jetzt sag mir nicht, dass er abgehauen ist."


Kurz musste ich auflachen. "Schön wäre es gewesen Lucy. Nein... Wir..." Ich schluckte und Lucy hob skeptisch eine Augenbraue. Sie ahnte es, das war mir klar. "... wir... haben ungefähr drei Wörter gesagt und sind dann wie Tiere übereinander hergefallen. Verdammt, mein Verstand hat völlig ausgesetzt. Es war grob und ... okay, ich erspare dir Details. Es war verhasster, wilder Sex, danach hat er mir noch Beleidigungen an den Kopf geworfen und ist verschwunden."


"Das ist nicht dein Ernst, Alex." Lucy war wohl etwas empört über mein Verhalten. "Also, ich weiß ja, dass du gerne Sex hast, aber sollte man nicht mit einem Typen, den man seit elf Jahren nicht gesehen hat, erstmal... reden oder sowas." - "Lucy, das ist jetzt nicht das, was ich hören wollte. Mir ist das selbst klar, aber... ach verdammt. Ich war heute nochmal bei ihm und wollte wirklich mit ihm reden, ihm alles erklären. Aber er glaubt mir nicht. Er nannte mich einen Lügner und warf mir ziemlich üble Dinge an den Kopf..." 


Ich stand auf und ging im Wohnzimmer auf und ab. "Lucy, halte mich für verrückt, aber... aber... Fuck, ich habe mich schon wieder in ihn verliebt oder nie aufgehört ihn zu lieben. Dieser Mann treibt mich in den Wahnsinn. Mein Verstand setzt bei ihm aus und ich kann nicht mehr klar denken, deswegen konnte ich das gestern auch nicht abbrechen. Ich war einfach nicht in der Lage dazu. Und seine Wörter gestern und heute... Scheiße, es tat so weh.", schrie ich nun schon fast.


Bemitleidend sah Lucy mich an. "Er hasst mich..." Ihre Augen veränderten sich und sie sprang auf, um mich zu umarmen. "Hey, alles wird gut, Alex." Ich wusste, dass sie es nur gut meinte, aber nichts wird gut. Harry lebte auf der anderen Seite der Erde und hatte einen Freund - beste Voraussetzungen für eine glückliche Zukunft.


Zwischenzeitlich saßen wir wieder auf der Couch und Lucy grinste mich an. "Was ist?" Sie streckte eine Hand aus und streichelte mir über die Wange. "Ich denke nicht, dass er dich hasst. Er ist nur verwirrt." - "Pff, das sagst du so einfach." - "Glaub doch mal an Schicksal, wenn du deinen Seelenverwandten wieder triffst."


Blinzelnd blickte ich sie an. "Schicksal? Seelenverwandten? Wovon redest du bitte." - "Also entschuldige mal bitte, aber was du mir jetzt alles von ihm erzählt hast, also von eurer Vergangenheit... Und dann macht er Urlaub. Hier. In Deinem Hotel. Meinst du nicht, dass es Schicksal ist? Und euer Gespür, wenn es um den anderen geht, er hat gefühlt, dass du nicht tot bist. Trefft euch quasi täglich in unserem riesigen Hotel. Sagt das nicht schon alles für Seelenverwandte?!"


Stirnrunzelnd blickte ich sie an. "Ich wäre ja manchmal gerne so optimistisch wie du, aber du weißt, dass ich nicht an so einen Kram glaube. Lucy, er hasst mich, lebt in Großbritannien und hat einen Freund. Das alles spricht nicht unbedingt dafür, dass ich mal wieder glücklich mit ihm werden könnte."


"Alex, gib ihm etwas Zeit. Er hasst dich nicht, das verspreche ich dir." 


Seelenverwandte? Gibt es sowas wirklich? Eigentlich hatte ich nie an so einen Quatsch geglaubt, aber wenn Lucy davon sprach, hörte sich alles so logisch an. Ich hatte schon vor unserer ersten Begegnung im Hotel, ein komisches Gefühl im Bauch. Mehrmals hatte ich das Gefühl, dass Harry meine Anwesenheit gespürt hatte.


Naja, ich werde es im Auge behalten.


Lover or Liar - Part II - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt