36. Abendessen

1.9K 217 37
                                    


Skeptisch hob ich eine Augenbraue, obwohl Harry dies gar nicht mehr sehen konnte, ehe ich mich erhob und zum Kühlschrank ging. Ich würde ihn einfach nicht darauf ansprechen. "Willst du was trinken? Vielleicht..." Ich öffnete die Kühlschranktür und scannte eben die Inhalt ab, bis ich fand, was ich gesucht hatte. "... eine Pepsi?" Harry ließ das Messer langsam auf die Arbeitsfläche sinken und schaute mich mit einem 'Das-ist-nicht-witzig-Blick' an, was mich auflachen ließ. "Tut mir leid, Harry, aber das musste sein." - "Witzig. Aber ja ich nehme eine." 


Harry die Zicke. Grinsend nahm ich zwei Gläser und schenkte uns etwas ein, während ich Harry zögerlich anblickte. "Darf ich dich was fragen?" Nun doch sichtlich überrascht schaute Harry mich an. "Klar. Was ist los?" - "Nun... bevor... du mich in der Lobby das erste Mal gesehen hast, habe ich euch schon im Biergarten einmal gesehen. Du... bist etwas ausfallend einem anderen Gast gegenüber geworden. Du kannst da ja noch gar nicht wütend auf... mich gewesen sein. Was war los?"


Harry seufzte einmal, schnitt aber weiterhin das Gemüse klein. "Ich kann es dir nicht wirklich erklären. Schon bevor wir uns begegnet sind, warst du in diesem Hotel nicht mehr aus meinen Gedanken wegzukriegen, immerzu warst du präsent. Als hätte... mein inneres Ich gespürt, dass du in der Nähe bist. Und dann saß da so ein Typ im Hoodie, der... aber da du im Hotel ja nur Anzüge... du kannst es nicht gewesen sein... aber ich musste ihn...ich konnte noch nicht mal sein Gesicht erkennen... seine Kapuze...Oh Gott, was laber ich hier eigentlich. Das muss sich ja total bescheuert für dich anhören. Vergiss es einfach.", stammelte der Lockenkopf vor sich hin. Von der Seite aus konnte ich erkennen, dass sich seine Wangen leicht rosa färbten und ich musste schmunzeln, denn ich hatte ganz genau kapiert, was er mir sagen wollte.


"Das war ich.", gab ich schulterzuckend von mir und versuchte mein Grinsen zu unterdrücken. "Was!?", nun löste Harry doch sein Blick von den Lebensmittel und starrte mich überrascht an. "Ja, das war ich." - "Nein... das... wäre verrückt." Ohne ihm eine Antwort zu geben, huschte ich schnell zu meinem Kleiderschrank und holte den besagten Hoodie raus, um diesen Harry zu zeigen.


Als ich ihm das Kleidungsstück unter die Nase hielt, weiteten sich seine Augen und er fuhr sich seufzend durch die Haare. "Heilige Scheiße... das kann nicht sein.", murmelte er eher zu sich selbst und blickte nachdenklich zum Fenster. Was war denn nun mit ihm los? Plötzlich fielen mir Lucys Worte 'Seelenverwandte' und 'Schicksal' wieder an, doch Harry glaubte ganz sicher nicht an so einen Kram. Ich tat es ja selbst nicht. 


Bevor wir unser Gespräch weiterführen konnte, ertönte plötzlich der Klingelton meines Handys. Ich fischt es aus meiner Hosentasche und schaut aufs Display. Meine Chefin. Hatte ich etwas vergessen? Ohne Umwege wurde ich etwas nervös, nahm dann aber schnell das Gespräch an. "Miller?" - "Hallo Alex, ich bin es. Bitte entschuldigen Sie die Störung, im Hotel sagte man mir, dass Sie heute schon etwas früher Feierabend gemacht haben." - "Ja, das ist richtig. Was gibt es denn?" - "Ich wollte Bescheid geben, dass ich ab Montag wieder im Büro sein werden. Doch ich hätte da noch ein kleines Anliegen. Ich würde Sie gerne um einen Gefallen bitten." - "Kein Problem. Um was handelt es sich?" - "Morgen ist in Melbourne doch dieses Meeting der Hotelleiter unserer Kette. Ich bin noch in Atlanta und schaff es nicht. Könnten Sie dorthin fahren? Nach dem Meeting gibt es noch ein Abendessen." - "Oh... ähm. Ja, natürlich. Wir hatten ja schon über die Details gesprochen. Ich... hätte nur nicht erwartet, dass mich schon so schnell so viel Verant... egal, ich mache es, natürlich." - "Super! Sie sind ein Schatz! Ich schicke Ihnen noch ein paar Informationen wie Ort und Uhrzeit per Mail. In Ordnung?" - "Okay." Schnell verabschiedeten wir uns voneinander, ehe ich schweißgebadet mein Handy beiseite legte und mich erstmal setzen musste. 


"Wer war das?", wollte Harry nach einer Weile von mir wissen. "Mein Chefin. Ich muss morgen nach Melbourne. Meeting und Geschäftsessen." - "Oh...", sagte Harry nur mit etwas trauriger Stimme. Traurig? Nur ein 'Oh'? Mein Kopf schnellte in seine Richtung, doch der Lockenkopf hatte sich schon wieder dem Essen zugewandt, sodass ich nur seinen Rücken sah. Was könnte ihm daran denn nicht passen, dass ich beruflich etwas zu tun hatte? "Was ist?", fragte ich ihn schließlich und dieser antwortete viel zu schnell: "Nichts." - "Harry..." Er gab keine Antwort und stellte stattdessen das Essen in den Backofen.


"Harry...was ist?", wiederholte ich mich. Nun drehte er sich doch zu mir und schaute mich entschuldigend an. "Ich weiß, es steht mir nicht zu, aber ich hatte gehofft, dich morgen noch einmal für mich beanspruchen zu können." Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen und geschockt sah ich ihn an: "Wann fliegst du wieder?" - "Samstagvormittag."

Samstag also.

 Heute war Mittwoch und morgen wäre ich nicht da. "Was ist mit Freitag?", fragte ich ihn mit vielleicht etwas mehr Hoffnung, als ich als 'Kumpel' haben sollte. "Du musst doch arbeiten und hast danach Kickboxen und außerdem...", erwiderte er etwas verwirrt. "Scheiß aufs Kickboxen, Tom wird es schon vertragen." - "Wer ist Tom?" - "Er arbeitet auch im Hotel und geht mit mir immer zum Sport." - "Achso. Naja, ich hatte Gemma schon versprochen, mit ihr zu kommen. Sie wollte sich am letzten Tag noch unbedingt etwas anzuschauen und abends wollten wir Essen gehen." - "Oh... okay." Ich schluckte einmal und versuchte zu realisieren, dass dies der letzte Abend sein könnte, an dem ich Harry sah.

Danach nie wieder.

Nie wieder.


Während wir redeten, ertönte irgendwann die Klingel des Backofens und teilte uns so mit, dass wir endlich etwas zwischen die Zähne bekommen konnten. Natürlich schmeckte es wie immer köstlich, wenn Harry kochte - wie damals. Ich hatte es geliebt, wenn er für mich gekocht hatte. Er konnte es einfach so viel besser als ich. Und nun wäre er bald schon wieder weg. Ein zweites Mal würde er mein Leben verlassen. Wie sollte ich das nur überleben? Wie schaffte ich es, dass mein Herz nicht zerbrechen würde? Wie sollte ich es schaffen, mich jemals wieder in eine andere Person als Harry zu verlieben, während dieser mit Jake sein Leben lebte?


Sollte ich ihn vielleicht nach seiner Handynummer fragen? Nein, lieber nicht, das wäre nur noch schmerzhafter für mich, wenn ich mit ihm in Kontakt bliebe. Kurz kam mir die Erinnerung an damals, wie oft wir es verpeilt hatten, Handynummern auszutauschen, als wir anfingen uns zu treffen. Dieser Gedanke ließ mich ein wenig schmunzeln. Irgendwann hatten wir uns dann zufällig im Park getroffen. Ich war mit ein paar Kumpels Fußball spielen, als ich ihn alleine am Eiswagen sah. Unverzüglich forderte ich eine Pause ein, um mit ihm zu reden. Er sah schon von weitem so gut aus. Nach einem kurz Gespräch schnappte ich mir einen Stift des Kioskbesitzers und kritzelte ihm meine Handynummer auf den Unterarm. Hazza... hieß er in meinem Handy und er hatte mich als Lou eingespeichert. 


"Alex?" Blinzelnd erwachte ich aus meinen Tagträumen. Alex... ich war nicht mehr Lou. Das alles war vorbei. "Was ist?" - "Wo warst du gerade? Ich habe mit dir gesprochen und du hast nicht geantwortet.", gab Harry grinsend von sich, während er mich musterte und die Arme vor seiner Brust verschränkte. Am liebsten hätte ich jetzt 'Egal' gesagt, doch Harry wäre stur und würde weiter nachhaken, bis er seine Antwort bekäme. 

"An einem Tag im September vor 12 Jahren."



Lover or Liar - Part II - Larry StylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt