36 | *3 | Was kommt nach dir?

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Schwarze  Kleidung.

Tränen.

Du bist weg.

,,Ich bin weg gerannt, wegen dir. Weißt du das?"

Yoongis Stimme ist noch sanft, doch den ganzen ruhig Schlafenden um ihn herum könnte dennoch das Beben in seiner Stimme nicht entgehen. Es ist der Neue, der vor Kurzem dazu gestoßen ist. Sein Einschlafen war so plötzlich, aber sie haben ihn aufgenommen. Haben ihn akzeptiert. Aber es gibt Menschen, die haben was auf der anderen Seite noch nicht akzeptiert. Und einer dieser Menschen steht jetzt hier, im Regen. Seine Haare hängen schlaff und nass von seiner Stirn und die Wut ist groß.

,,Wieso redest du jetzt nicht mehr so schlau?"

Seine Stimme? Trifft wieder ins Leere. Steht dort, auf der Station der ewig Schlafenden. Ja. Er ist weg gerannt. Konnte diese ganzen Tränen nicht ertragen. Das Gefühl in seiner Brust. Er musste herkommen, her rennen, um ihm zusagen, dass das alles seine Schuld ist, dass sie weinen.

Auch, wenn er jetzt schläft. Er war doch schon immer so ein unglaublich frecher Typ gewesen. Einer der Gründe, da ist sich Yoongi sicher, warum seine Mutter eben seine Mutter und seine Frau ist.

,,Sonst hattest du immer was zu sagen!"

Wieder keine Antwort. Nur der Regen, der auf die großzügig gepflegte Wiese, sowie die Grabsteine prasselt, ist zuhören. Aber keine Worte. Kein Atmen. Nicht mal die erhobene Stimme seines Sohnes weckt ihn auf.

,,Du bist so ein egoistisches Arschloch! Das ist alles deine Schuld!"

Hält die Stille nicht mehr aus und macht schnelle Schritte auf diesen weißen, glatten Stein zu, der es tatsächlich wagt, sich mit dem Namen, Geburtsdatum und einem vor Kurzem vergangenem Tag zuschmücken.

,,Das sieht dir wieder ähnlich! Wenn ich schlauer bin, dann grinst du mir frech entgegen und tust so, als hätte ich gar nichts gesagt!"

Stille. Er ist so unfassbar müde, wie soll er da antworten.

,,Und wenn dir das Hobby nicht mehr gefällt, hast du gesagt, dann suchen wir wieder ein neues! Deine verdammten Worte! Ich möchte jetzt kein Klavier mehr spielen, Papa! Ich will nicht mehr, weil du mir alles versaut hast! Allen Schwachsinn hast du immer von dir gegeben! ALLEN SCHWACHSINN", schreit er in die Stille und schmeißt sich wütend auf die Knie, vor dem Stein.

,,ABER WARUM HAST DU MIR NICHT GESAGT, WAS NACH DEM PIANOSPIELEN KOMMEN KANN?"

Das Gesicht verzogen, weil die so lange, weggesperrten Tränen endlich nach draußen wollen. Er will nicht mehr der Starke sein. Er will jetzt die dummen Kommentare seines Vaters hören, mit ihm Basketball spielen und sich frech fühlen, weil er doch vor einiger Zeit rausgeschmissen wurde und nun trotzdem spielt.
Aber jetzt ist da keine Wärme und er vergräbt sein Gesicht in seinen Händen.

,,Benehme dich nicht, als wüsstest du nicht, wie es weitergeht", murmelt er schluchzend in diese. Das Schlucken ist so schwer und das Atmen brennt. Und der Regen fühlt sich plötzlich so widerlich an, wie er die Klamotten an seine Haut kleben lässt. Langsam löst er seine Handflächen von dem mit Tränen überfluteten Wangen und starrt auf den Namen. Aber leider steht da immer noch Min Donghae, der Name seines Vaters. Ungläubig kriecht er genau vor den Grabstein und fährt die Konturen der Eingravierung seines Namens entlang, sein Mund dabei in Schock geöffnet.
Dann kneift er die Augen zusammen, weil die Buchstaben nicht vom Regen, oder seinen Tränen weggewaschen werden. Gebrochen ruht er seine Stirn gegen den Grabstein seines Vaters. Die Schluchzer entkommen wieder viel zu anstrengend seinem Körper.

,,Es tut mir Leid, dass ich, an dem Tag an dem du zugedeckt wurdest, nach Hause gerannt bin. Ich kann es nicht mal aussprechen, weil du mir immer gezeigt hast, wie viel besser man die schlimmsten Sachen umschreiben kann. Wie viel besser man damit umgehen kann und wie viel stärker man sein kann. Aber das hier? Das hier ist was ganz anderes und ich kann keine besseren Worte dafür finden...", die weinerliche Stimme legt sich über all die ewig Schlafenden und belebt den Ort schon fast. Wäre es nur kein Weinen, um jemanden der leider viel zu früh schlafen gehen musste.

,,Hast du irgendwas vor, da oben? Hast du Pläne da oben? Wieso bist du ins Auto gestiegen? Oder bist du sauer, weil ich dir die Schuld gegeben habe? Kommst du deswegen nicht, und umarmst mich, gibst mir Wärme.."

Alles was er seiner Mutter nie sagen konnte...

,,Es ist nicht deine Schuld, Papa.."

..das konnte er immer nur ihm sagen.

,,Ich weiß, dass das meine Schuld ist."

Mit diesen Worten setzt er sich mit dem Rücken an den Grabstein Donghaes und lehnt seinen Hinterkopf gegen diesen.

,,Ist dein Papa auch sauer auf dich?"

Die Stimme eines kleinen Jungen lässt Yoongi leicht hochschrecken. Einige Jahre jünger und da steht er. Seine Augen sind rot, glasig, seine Haare durchnässt und hinter seinem Rücken scheint er etwas zuhalten.
,,Was macht so ein kleiner Junge wie du hier auf einem Friedhof", fragt der sichtlich Ältere nach einigen Augenblicken des puren Anstarrens. Bis der Junge langsam seine Hand hervorholt, welche einen Blumenstrauß hält. Ohne weitere Worte geht er zu einem anderen Grabstein und legt die mitgebrachten Blumen vor diesem nieder. Yoongi schaut ihm nur zu, rührt sich jedoch nicht. Dann starrt der Junge einen Moment auf den Stein vor ihm, dreht sich zu Yoongi um und dann wieder zurück. Schließlich nimmt er sich eine Blume aus dem Strauß und geht nun auf Yoongi zu.
Dann steht er vor Yoongi, der eines seiner Beine ausgestreckt, das andere angewickelt hat. Auf dem Knie des angewinkelten Beines ruht sein Arm. Seine andere Hand liegt kraftlos neben ihm in der Wiese.
Sein Blick, leicht gehoben, während er dem Jungen vor ihm zuguckt. Wieder sagt er nichts und legt stattdessen die Blume vor Yoongi ab, für dessen Vater.

Dann rennt er weg.

Kurz schaut Yoongi zu dem Grabstein rüber, an dem der anscheinend schüchterne, aufgelöste Junge soeben einen selbst gemachten Blumenstrauß abgelegt hat. Doch bevor er einen weiteren Gedanken fassen kann, wird Yoongi mit einer Taschenlampe geblendet.

,,Wir haben ihn gefunden!"

*

RAIN | YoonminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt