Kapitel 2

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~ Hazel ~

Kurze Zeit später standen wir vor dem London Eye. Es war wundervoll, denn bis jetzt hatte ich es nicht einmal geschafft damit zu fahren. Trotz der recht langen Zeit, die ich schon hier lebte.     

The Night of the Eye  stand in geschwungenen Buchstaben auf einem Schild vor dem Eingang. Beinahe wäre ich dabei wieder in alten Gefühlen für Anthony versunken, wäre da nicht dieser Gedanke an die widerliche Schlampe, mit der er vorhin ausgiebigen Speichelaustausch begangen hatte. Trotz der eisigen Kälte, dich sich in meinem Herzen ausgebreitet hatte, seit ich sie gesehen hatte, wurde mir mulmig zumute bei dem Gedanken daran, dass ich schon am nächsten Tag keinen Freund mehr haben würde. Ich bin kein Mensch, der um Himmels Willen immer einen Partner an seiner Seite haben muss, dennoch war es ein schönes Gefühl zu wissen, dass es jemanden gibt, der einen liebt und bedingungslos gern hat.

Nach einer knappen halben Stunde Wartezeit kamen wir dran, stiegen in die stabile Gondel und waren tatsächlich alleine. Wieder machte mich der Gedanken an den nächsten Morgen etwas traurig, doch vorerst wollte ich den Moment genießen- und Anthony mit meiner aufgesetzten Miene in die Irre führen, es ginge mir gut und vor allem, dass ich nichts von seinem Seitensprung wusste. Langsam ging es nach oben und obwohl ich London schon oft durchforscht und erkundet hatte, war es ein überwältigender Ausblick. Die vielen Lichter erhellten die Stadt und man konnte in der Ferne deutlich einige Lichtstrahle der umliegenden Konzerthallen beobachten. Mein mieser Betrüger-Freund kam von hinten an mich heran und umarmte mich an der Taille. Ich liebte es, wenn er das machte und um den Schein zu wahren, lächelte ich auch jetzt zu ihm hoch. "Das ist wirklich eine tolle Überraschung. Danke vielmals", flüsterte ich und ließ mich zu einem sanften Kuss zu ihm umdrehen. Seine Lippen übten mit einem Mal wieder dasselbe wohlige, warme Gefühl auf mich aus, das sie auch sonst hatten. Er lächelte  leicht in den Kuss hinein und legte seine Arme um meine Taille. Erst nach einigen Minuten lösten wir uns wieder voneinander und er lehnte seine Stirn an mein. Ich ließ meinen Blick weiter über die Stadt wandern, beobachtete die von hier oben kaum zu erkennenden Autos, wie sie in ihrer Hektik auch zu dieser Zeit zu ihrem Ziel rasten. Von hier oben wirkte die Welt so unbedeutend klein. Alle Probleme lösten sich wie in Luft auf. Selbst der Gedanke an den am nächsten Tag anstehenden Arztbesuch schaffte ich zu verdrängen. Der Grund war ein immer wiederkehrender Schwall an Müdigkeit, der mich zusätzlich auch frieren ließ. Das Ganze ging teilweise so weit, dass mir ganz schwindelig wurde.

Durch diese Gedanken schlich sich der Arztbesuch doch wieder in meinen Kopf und ich zog aus Nervosität Anthony etwas näher an mich heran. Es mag sein, dass er mich betrügt, das heißt aber nicht, dass er mir ab sofort nichts mehr bedeutet. 

"Du denkst gerade an Morgen, nicht wahr?", fragte er. Ich nicke und vergrub schnell mein Gesicht in seiner Jacke. Meine aufkommenden Tränen sollten unbemerkt bleiben, sonst würde ich es nicht schaffen, ihn am Ende noch zu verlassen. 

"Mach dir keine Sorgen, dir wird nichts passieren. Ich werde mitkommen und dir Mut machen, wenn du ihn brauchst. Niemand kann dir was tun, wenn ich da bin." Seine Worte kamen gedämpft und brummend bei mir an, mein Ohr lag ruhig an seiner Brust. Regelmäßig und beruhigend klopfte sein Herz und ich fühlte mich für den Hauch eines Moments sicher bei ihm. Vielleicht konnte ich das Beenden der Beziehung auch um ein paar Tage verschieben?

"Nein, Hazel", sprach meine innere Stimme zu mir, "Das wirst du nicht! Er hat dich betrogen und das nach zwei Wochen Beziehung! Was denkst du, hält er wohl von dir, hm?!"  Ich seufzte und ließ den Kopf hängen. Diese Welt ist nicht fair.

Die Gondel blieb stehen. "Sieh mal, wir haben den höchsten Punkt erreicht", lächelte Anthony und sah mich mit diesem unschuldigen Blick an und ich fand mich an der Grenze zwischen Hass und Liebe wieder. Hätte ich doch nur vorher gewusst, dass diese Grenze so verdammt leicht zu überqueren ist, dann wäre ich von vornerein gegangen, sobald ich ihn mit Clarince gesehen hatte. 

Den ganzen Abend über hatte ich einfach nur die Stille vor dem Sturm genießen wollen, doch es war mir einfach nicht gelungen- und zu allem Übel ging es mir nach einiger Zeit plötzlich nicht mehr gut. Übermüdung, Schwindel und Übelkeit griffen meine Besinnung an und ließen mich hier und da völlig weggetreten wirken, wie ich an erschrockenen Barkeepern und Passanten zu erkennen meinte. Mittlerweile fieberte ich nur noch dem Ende des Dates entgegen und beschloss nachdem wir auch noch einige Fotos in einem Fotoautomaten gemacht hatten, endlich einen Schlussstrich zu ziehen- er hatte richtig Geld für mich ausgegeben, also musste ich das Date nicht länger hinauszögern.

Ein Blick auf den Big Ben verriet mir, dass es bereits vier Uhr morgens war und ich holte tief Luft. Wir gingen gerade spazieren, da überkam mich erneut eine Welle des Schwindels und ich klammerte mich ängstlich an meinem (noch) Freund fest. Er verstand das etwas falsch und hielt mich fest. Also nahm ich all meine Kraft und meinen Mut zusammen und begann mein fieses Spiel. "Anthony? Weißt du, was ich jetzt gerne machen würde?", fragte ich vielsagend und legte mein Kinn auf seiner Brust ab. Er sah freudig in meine Augen und küsste mich auf den Mund. "Du bist also doch schon bereit für so etwas?", erwiderte er unsicher. Ich nickte, nahm seine Hand und er führte mich zum Auto, man konnte ihm die strotzende Geilheit förmlich ansehen. Das Schlimme war, dass ich mir in diesem Moment nur wünschte, dass es genauso in der Realität wäre. Ohne das Schlussmachen. Angewidert von mir selbst schnallte ich mich an und sah zu, wie Anthony vorne um das Auto ging und sich dann neben mir auf den Sitz fallen ließ.

Wir fuhren zu ihm und gingen in seine Wohnung. Meine eigene war etwa zwanzig Minuten Autofahrt von hier entfernt, ich würde mir wohl später ein Taxi nehmen müssen. Mein Herz klopfte wild und meine Hände zitterten. Er nahm mir den Mantel ab und fing an mich zu küssen. Ich erwiderte den Kuss mit offenen Augen, was er nicht bemerkte, denn seine waren geschlossen. Doch schon nach kurzer Zeit konnte ich sie nicht mehr offen halten und blinzelte ein paar Mal, bevor ich sie geschlagen schloss. Ein Schrei aus meinem tiefsten Inneren unterbrach diese Stille und Ruhe, denn meine Beine wurden von einem stechenden Schmerz durchzuckt, der mir kurz den Atem raubte. Glücklicherweise war Anthony so in den Kuss versunken, dass er nicht merkte, wie alles vor meinen Augen zu verschwimmen begann. Schnell erholte ich mich wieder von den eben erlebten Schmerzen und öffnete die Augen. Dieser Kuss wurde ungenießbar und bitter, also richtete ich ein letztes Mal den Blick an die gegenüberliegende Wand. Dort hing für gewöhnlich ein Bild von ihm und mir, wie wir vor drei Monaten meinen Geburtstag gefeiert hatten. Zu dem Zeitpunkt waren wir nur befreundet gewesen.

Doch was ich jetzt sah, waren nicht wir, sondern er und Clarince. Scheinbar hatte er sie hier gehabt, da ging es natürlich gar nicht, dass ich noch an der Wand hing. Ich drückte ihn mit einem Mal von mir weg und schüttelte den Kopf. Danke, Anthony, dass du mir diesen Abschied so leicht machst.  Ich sagt nichts und nahm die Kette, die er mir vor einer Woche geschenkt hatte, ab. Er staunte und neigte seinen Kopf zur Seite.  "W-warum hörst du auf?", fragte er. "Weißt du", sagte ich und wandte mich zum Gehen, "den Grund überlasse ich dir." Dann nahm ich meinen Mantel vom Hacken und ging zur Tür. Ein letztes Mal drehte ich mich um. "Dir und Clarince meine ich." Im nächsten Moment verschwand ich wortlos aus der Tür.

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