Kapitel 2

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Als Draco Malfoy sich langsam zum Tisch der neuen Achtklässler begab, spürte er die sensationshungrigen Blicke seiner Mitschüler in seinem Rücken. Hätte seine Mutter nicht darauf bestanden, dass er nach Hogwarts zurückkehrte, wäre er niemals dort. Für ihn war es nicht besonders wichtig, einen Abschluss zu erhalten oder mehr zu lernen. Das Einzige, das für ihn wichtig war, war seine Mutter. Es war ihm schwer gefallen, sie alleine in ihrem großen Schloss zu lassen, um sein letztes Schuljahr anzutreten. Seit sein Vater den Kuss des Dementors erhalten hatte, war sie nicht mehr länger dieselbe. Sie wandelte wie ein Geist durch die Hallen des riesigen Malfoy Anwesens. Draco war verwundert, wie sehr sie das Schicksal seines Vaters mitnahm. Er war davon ausgegangen, dass sie Lucius nicht besonders liebte oder sogar mochte, da es eine arrangierte Ehe gewesen war. Vielleicht erinnerte sie der Verlust seiner Seele nur daran, wie knapp sie und ihr Sohn derselben Zukunft entronnen waren. Sie hatte darauf bestanden, dass Draco wieder zur Schule ging, nicht nur, um seine Ausbildung abzuschließen, sondern auch, um den Namen Malfoy reinzuwaschen und zu zeigen, dass in ihnen mehr steckte, als die dunkle Todesser-Vergangenheit seiner Vorfahren.

Als er am kleineren Tisch Platz nahm, schaute er sich zum ersten Mal um und analysierte die Gesichter seiner neuen Mitbewohner. Kein anderer Slytherin war zurückgekehrt, was auch zu erwarten gewesen war. Pansy war inzwischen mit einem Reinblüter verheiratet, Blaise wurde von seinem Vater in dessen Firma eingelernt. Er war allein, die einzige grüne Krawatte zwischen gelben, blauen und roten. Er sah einige Hufflepuffs, deren Namen er nicht kannte, außerdem Ravenclaws, unter anderem die hübsche dunkelhaarige Sucherin, mit der Potter einst ausgegangen war. "Apropos Potter", dachte Draco und suchte den schwarzhaarigen Jungen mit der auffälligen Narbe auf der Stirn. Doch er konnte ihn nicht finden, auch seinen besten Freund Weasley nicht. Ausschließlich ein schlaksiger Junge mit hellbraunen Haaren und eine kleine brünette Hexe mit wilden Locken trugen die altbekannten Gryffindor-Umhänge. "Granger ist ohne Potter und ihren Liebsten Weasley hier?", Draco war verwirrt, er hätte nicht gedacht, dass sie ohne ihre beiden Bodyguards auch nur einen Schritt tun würde.

Weder McGonagalls Rede noch die Zeremonie mit dem alten Hut interessierten Draco sehr. Er wartete nur darauf, dass alles vorbei war, damit er endlich ins Bett konnte. Es war ein anstrengender Tag gewesen und er wollte, dass alles ruhig war, damit er mit seinen Gedanken allein sein konnte. Am Tisch der Achtklässler wurde nicht viel gesprochen. Granger flüsterte leise mit Longbottom und die Ravenclaws tuschelten und kicherten. Draco wusste, dass dies ein sehr langes Jahr für ihn werden würde. 

Niemand sprach mit ihm. Ab und zu bemerkte er, wie die anderen Achtklässler ihn für den Bruchteil einer Sekunden anstarrten, aber es interessierte ihn herzlich wenig. Er war nicht hier, um Freunde zu finden. Draco wollte ausschließlich seine Mutter zufrieden stellen, weshalb er beschlossen hatte, gute bis sehr gute Noten zu bekommen. Aus diesem Grund hatte er auch überhaupt keine Zeit dazu, sich mit seinen Mitschülern zu befassen. Der Slytherin hatte alle Kurse belegt, die für die spätere Auroren-Ausbildung, die er anstrebte, von Bedeutung waren. Auch wenn das bedeutete, dass er enorm viel zu tun haben würde, es war wichtiger, seine Mutter stolz auf ihn zu machen und der Zaubererwelt zu zeigen, dass ein Malfoy nicht nur die dunklen Künste beherrschen konnte, sondern auch dazu in der Lage sein konnte, die Gesellschaft vor den Übergriffen seiner ehemaligen Kollegen zu beschützen.

Nach dem Festmahl wurden die wenigen Achtklässler von McGonagall zu ihrem neuen Zuhause geführt. Die Schulleiterin blieb vor einem alten Gemälde stehen, das einen alten Zauberer zeigte, der eifrig auf Pergament schrieb. "Das ist Shakespeare. Er gewährt euch den Zutritt zu eurem Gemeinschaftssaal. Das Passwort wird jede Woche geändert und sonntagnachmittags am schwarzen Brett ausgehängt. Wer es nicht weiß, wird wohl oder übel die Nacht auf dem Flur verbringen müssen", sie schaute Neville Longbottom an, "Die Zimmereinteilungen stehen auf den Türen, die zu euren Schlafsälen führen. Es wird nicht getauscht." Draco hatte schon beim Essen registriert, dass kein anderer junger Mann außer Longbottom das achte Schuljahr besuchte. Zunächst war er genervt gewesen, aber da er sowieso nicht vor hatte, viel Zeit in seinem Schlafzimmer zu verbringen, war er schnell darüber hinweg gekommen. Longbottom sah ganz anders aus, mit großen, angsterfüllten Augen schaute er erst zu Draco und flüsterte Granger anschließend etwas ins Ohr. Sie schaute Draco drohend an. "Wie niedlich", schnaubte Draco innerlich, "Er hetzt seine Mami auf mich!"

Draco stellte seinen Koffer auf sein Bett und begann, seine Kleider und Schulbücher in seinen Schrank zu räumen. Leise hörte er hinter sich ein Räuspern:"Malfoy, wir sind wahrscheinlich beide nicht besonders glücklich über unseren Zimmerkameraden, aber ich bitte dich, mir nichts anzutun oder...", Draco unterbrach ihn harsch:"Hör zu Longbottom, ich habe nicht vor, dich zu verhexen oder dich gar zu verprügeln. Ich will nur meine Ruhe haben. Das heißt, solange du mich in Ruhe lässt, werde ich dich in Ruhe lassen. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben." Neville nickte langsam und ging sichtlich erleichtert zu seinem Bett. 

Kurze Zeit später hatte Draco alles ausgepackt, war im Bad gewesen und lag in seinem Bett. Er dachte an seine Mutter und beschloss, ihr am nächsten Tag einen Brief zu schreiben, um ihr zu versichern, dass es ihm gut ging und dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Er nahm sich ein Buch von seinem Nachttisch, las einige Seiten, aber merkte schnell, dass er sich keineswegs auf die Geschichte konzentrieren konnte. Er löschte das Licht, aber konnte nicht schlafen. "Es wird ein langes Jahr", dachte er traurig.

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