Kapitel 9

4.1K 175 5
                                    

Hermine saß beim Abendessen und versuchte angestrengt, nicht zu Lavender hinüberzuschauen, da sie befürchtete, sofort wieder in Tränen auszubrechen, sobald sie ihr schrilles Lachen in Verbindung mit strahlendem, glücklichem Gesichtsausdruck sah. Stattdessen blickte sie in die andere Richtung des Tisches, wo Malfoy einsam und allein sein Essen zu sich nahm. In diesem Moment sah er hoch und ihre Blicke trafen sich erneut, was Hermine dazu veranlasste, ihm ein leichtes Lächeln zu schenken. Als er sie in Zaubertränke angeschaut hatte, hatte sie darauf geachtet, welche Farbe seine Augen hatten. Sie waren grau. Jedoch waren sie wider Erwarten nicht von Arroganz und Wut erfüllt gewesen, sondern aufmerksam und fast schon fragend. Sie hätte nicht gedacht, dass Draco Malfoy ihr irgendwann ruhig zuhören würde, während sie ihn belehrte. Ebenso wenig hatte sie gedacht, dass Ron sie einmal verlassen könnte. Und wieder musste Hermine an den Brief denken, den ihr Ex-Freund ihr geschickt hatte. Er war die ganzen Tränen eigentlich nicht wert, die sie bisher um ihn geweint hatte. Wenn er wirklich seit ihrem ersten Streit wegen Hogwarts wieder Kontakt zu Lavender hatte, wollte Hermine wirklich nichts mehr mit ihm zu tun haben. Es war nur seltsam, dass Harry sich noch nicht gemeldet hatte. War er etwa auf Rons Seite? Oder wusste er nichts von der ganzen Sache?

Um nicht mehr weiter an Ron denken zu müssen, versuchte sich Hermine abzulenken, indem sie sich in der großen Halle umsah. Ihre Blicke streiften Malfoy, wie er eilig seine Sachen zusammenpackte und zum Ausgang der großen Halle stapfte. Hermine beschloss, in die Eulerei zu gehen, um Harry einen Brief zu schreiben. Sie verabschiedete sich von Neville, den sie während des Essens weitestgehend ignoriert hatte. Er hatte es wohl einfach so akzeptiert, da er wusste, wie schlecht es Hermine im Moment ging. Langsam stand sie auf und war darauf bedacht, nicht in Lavenders Richtung zu schauen, um nicht sofort wieder in Tränen auszubrechen. Als sie in der Eulerei ankam, nahm sie ein Stück Pergament und einen Federhalter aus ihrer Tasche und setzte sich an einen der kleinen Tische, die im Turm aufgestellt waren. 

Lieber Harry,

ich weiß, dass wir in den letzten Wochen nicht besonders viel Kontakt zueinander hatten, aber ich möchte nicht mehr so weitermachen. Du bist mein bester Freund und ich will nicht nur aufhören, mit dir zu reden, weil wir verschiedener Ansicht über Hogwarts sind. Ich hoffe, du nimmst meine Entschuldigung an und siehst das genau so wie ich. Wie gefällt es dir bei deiner Auroren-Ausbildung? Du bist den anderen bestimmt weit voraus, nach meiner Nachhilfe im Sommer. Wie geht es Molly und Arthur? Es ist wirklich freundlich von ihnen, dass du bei ihnen wohnen darfst, bis der Grimmauld-Platz renoviert worden ist. Hast du in letzter Zeit mit Ginny gesprochen? Sie vermisst dich wirklich sehr, auch wenn sie es nicht zugeben will. 

Jetzt noch zu einer anderen Sache... Ich bin sicher, dass du in letzter Zeit mit Ron geredet hast. Hat er dir davon erzählt, dass er sich seit einigen Wochen wieder mit Lavender trifft? Er hat mit mir Schluss gemacht, weil er der Meinung war, mehr Freiraum zu brauchen. Ich kann das einfach nicht verstehen. Ich weiß, dass es gemein ist, dich zwischen die Fronten zu stellen, aber ich muss einfach wissen, was vorgefallen ist. 

In Liebe

Hermine

Nachdem sie das Pergament mit ihrem Namen unterzeichnet hatte, rollte sie es ein und suchte sich eine Eule aus, der sie es ans Bein binden konnte. In diesem Moment hörte sie leise Schritte hinter sich und Malfoy stand vor ihr. Wieder starrte sie in seine sturmgrauen Augen und war sich nicht mehr so ganz sicher, was sie in diesem Augenblick hatte tun wollen. "Verfolgst du mich?", fragte er mit einem winzigen, aber doch eindeutig sichtbaren Lächeln. "Nein, nein auf keinen Fall", stammelte Hermine, "Ich war nur gerade dabei, einen Brief zu verschicken." Malfoy nickte, strich sich die Haare aus dem Gesicht und sah sie dann an:" Nadann, wir sehen uns morgen in Zaubertränke. Geh früh ins Bett, ich erwarte dich in Topform, der Trank muss gut werden." Damit ließ er sie stehen. "Wieso musste der Trank gegen Alpträume denn so dringend gut werden? Welche Schlafprobleme kann Malfoy schon haben?", fragte Hermine sich selbst. Auch sie hatte schon mit dem Gedanken gespielt, dass nur ein hervorragend gemischter Trank ihr dabei helfen könnte, endlich wieder ruhigen Schlaf zu finden. Seitdem sie wieder in Hogwarts war und nicht jede Nacht neben Ron einschlafen und aufwachen konnte, wurden ihre Träume wieder schlimmer. Meistens erlebte sie den Kampf um Hogwarts ein weiteres Mal, nur starben dabei sehr viel mehr Menschen, die ihr wichtig waren. Manchmal träumte sie auch von der Nacht, als Bellatrix sie auf dem Malfoy-Anwesen gefoltert hatte. Hermine lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie spürte die vollkommen verrückte Hexe über sich, hörte Rons Schreie aus dem Kerker und sah angsterfüllte fast gequälte graue Augen. Um nicht weiter daran denken zu müssen, schüttelte Hermine den Kopf. Sie streichelte der Eule, der sie den Brief angebunden hatte, über ihr Gefieder und ließ sie aus dem Fenster fliegen. 

Nachdem sie wieder in ihrem Schlafzimmer angekommen war und glücklich bemerkte, dass Lavender noch nicht vom Abendessen zurückgekehrt war, räumte sie ihre Sachen weg und bereitete ihre Schultasche für den nächsten Tag vor. Da sie alle Hausaufgaben bereits erledigt hatte, nahm sie wie immer die Geschichte Hogwarts zur Hand und blätterte darin herum. Meistens las sie nur einige Zeilen und ließ dann die dünnen Seiten durch ihre Finger gleiten. Das Gefühl, das Bücher ihr gaben, konnte ihr keiner nehmen. Nach einer Weile rappelte Hermine sich auf, da sie auf jeden Fall ihr Zimmer verlassen wollte, bevor ihre Mitbewohnerin auftauchte. Einige Bücher in der einen und ihre Bettdecke in der anderen Hand stieg sie die Treppen zum Gemeinschaftssaal hinunter und setzte sich auf einen der roten Ohrensessel. Sie würde auch diese Nacht wieder hier verbringen, obwohl man hier natürlich keinen wirklich geruhsamen Schlaf finden konnte.

Warum Er?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt