Draco wollte nach seinem Gespräch mit Hermine unbedingt wissen, was sie so aus der Bahn geworfen hatte. Obwohl er schon immer neugierig gewesen war, passte es nicht zu ihm, sich so in die Angelegenheiten Anderer einzumischen oder sich überhaupt für jemand anderen als sich selbst zu interessieren. Bei Hermine Granger war es irgendwie anders. Er wollte sie nicht weinen sehen, es erinnerte ihn schmerzlich an das, was seine Tante dem Mädchen ein Jahr zuvor angetan hatte. Draco hatte hin und wieder Alpträume von diesem Tag. Er hörte nicht nur Hermines Schmerzensschreie, sondern auch die des Wiesels, die aus dem Keller drangen. Draco konnte sich nicht vorstellen, dass Ron sich von Hermine getrennt hatte. Ihre Beziehung hatte sich schon Jahre zuvor angedeutet und sie hatte immer so stark und unerschütterlich gewirkt.
Langsam machte er sich auf den Weg zu Zaubertränke. Draco wusste nicht genau, ob er Hermine auf den Vorfall ansprechen sollte. Er hatte Angst, dass sie wieder fragen würde, warum er in der ersten Nacht auf Hogwarts geweint hatte. Draco konnte niemandem erzählen, dass er immer noch an jeden einzelnen seiner Mitschüler dachte, der in der Schlacht sein Leben gelassen hatte. Er dachte auch an Dumbledore und an Snape, an seinen eigenen Vater. Draco fühlte sich schrecklich schuldig. Hätte er nicht Ende seines sechsten Jahres die Todesser in das Schloss gelassen, wäre vielleicht nicht alles so ausgeartet. Auch wenn er Angst um sein eigenes Leben und das seiner Familie gehabt hatte, nichts konnte das, was er damals getan hatte, rechtfertigen. Was passiert war, konnte nie wieder rückgängig gemacht werden. Granger durfte nicht wissen, weshalb er geweint hatte. Niemand sollte es erfahren. Draco würde nur noch die Schule beenden und dann würde er hoffentlich nie wieder an das erinnern, was in seiner Vergangenheit vorgefallen war. Sein Plan war es, im Ministerium als Auror anzufangen und so die Menschen von sich zu überzeugen. Vielleicht würden sie, wenn er nur genug Gutes tat, alles Schlechte an ihm vergessen?
Als er in den Kerker kam, saß Hermine schon an ihrem gemeinsamen Tisch. Sie hatte tiefe Ringe unter den Augen, die auch das beste Make-Up nicht verdecken konnte. Draco gesellte sich zu ihr und schwieg. Die anderen Achtklässler betraten den Raum und es wurde laut. Besonders Lavender Brown schien fröhlich und darauf bedacht, dass es jeder, vor allem Hermine mitbekam. "Was ist nur mit ihr? Warum schaut sie Granger mit so einem hinterlistigen Blick an?", fragte Draco sich, aber er traute sich nicht, Hermine ins Gesicht zu sehen, da er vermutete, dass er schon eine einzelne Träne aus den großen, braunen Augen nicht ertragen könnte.
Der alte Slughorn bat um Ruhe und trug ihnen dann auf, einen Trank gegen Alpträume zu brauen. Draco war aufgeregt, sein Trank musste unbedingt gut werden, er würde ihn von seinen schrecklichen Träumen bewahren. Auch wenn Granger heute neben der Spur war, er musste es schaffen, um nachts besser schlafen zu können. Während Hermine sich die Arbeitsanweisungen im Buch sorgfältig durchlas, bereitete Draco alle notwendigen Utensilien vor, die sie brauchen würden, um die Aufgabe zu erledigen. Er wog alle Zutaten genau ab und stellte sie in die Mitte des Tisches, damit seine Partnerin leichter darauf zugreifen konnte. Hermines Bewegungen waren zwar langsam, aber trotzdem sicher. Sorgfältig zerschnitt und schälte sie die seltsam gelbe Frucht, deren Namen Draco noch nie gehört hatte und die er auch sonst nie im Unterricht benutzt hatte. Als wäre jede ihrer Handgriffe einstudiert und als wüsste sie genau, was sie tat, verrichtete sie stillschweigend ihre Arbeit, ohne Draco auch nur ein einziges Mal anzusehen. Erst als ihr Handrücken versehentlich den seinen streifte, blickte sie ihm für einen Moment direkt in die Augen. "Kennst du diese gelben Dinger? Ich habe die noch nie vorher gesehen", Draco hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, um die unangenehme Stimmung irgendwie aufzubrechen. Dankbar für diese Ablenkung sagte Hermine:"Sie nennen sich gelbe Dracheneier, auch wenn sie eigentlich Früchte sind. Ihr Saft läuft leicht aus, deswegen muss man sehr vorsichtig beim Schälen und Schneiden sein. Sie werden meistens für Traumtränke benutzt, was unserer ja auch werden soll." Draco war beeindruckt, dass sie so viel über etwas wissen konnte, von dem er in der Schule noch nie etwas gehört hatte, es geschweige denn jemals gesehen hatte, aber er wollte sich seine Bewunderung nicht anmerken lassen. Stattdessen sagte er mit einem Lächeln:"Meistens ist deine Besserwisserei ziemlich anstrengend, aber ich muss gestehen, dass es seine Vorteile hat, dich als Partnerin zu haben." Da der Trank der meisten noch nicht ganz fertig war, beauftragte Slughorn sie dazu, ihn am nächsten Tag fertigzustellen und entließ sie damit aus dem Kerker.
Als Draco beim Abendessen saß, redete wieder niemand mit ihm und wie immer, störte es ihn nicht im geringsten. Eine Sache war jedoch anders als zuvor: Er saß zwar immer noch abseits von seinen Mitschülern, aber Hermine sah ihn hin und wieder an. Wenn er zurückschaute, lächelte sie sogar ganz leicht. Wenn er die beste Freundin von Potter, die er jahrelang gemobbt hatte, davon überzeugen konnte, dass er sich geändert hatte oder dass er es zumindest versuchte, könnte es bei den Leuten aus dem Ministerium auch nicht allzu schwer werden. Außerdem war es gut, zumindest einen Menschen im Schloss zu haben, der ihn nicht am liebsten in ein altbekanntes Frettchen verwandeln wollte. Auch mit Longbottom kam er immer besser zurecht. Sein Mitbewohner bekam inzwischen nicht einmal mehr Schweißausbrüche, wenn er Draco sah, was bedeuten musste, dass Neville ihm langsam zu vertrauen begann.
Um seine Mutter auf dem Laufenden zu halten, machte er sich nach dem Essen auf den Weg in den Eulenturm und schrieb ihr einen kurzen Brief, in dem er vielleicht etwas übertrieben schilderte, dass er sich mit Longbottom angefreundet hatte und dass seine Partnerschaft mit Hermine richtig ergiebig war. Draco wollte nur, dass seine Mutter sich möglichst wenige Sorgen um ihn zu machen brauchte. Und wenn dies bedeutete, dass er sein Leben etwas ausschmücken musste, dann war es eben so.
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Warum Er?
FanfictionHermine kehrt nach dem Kampf um Hogwarts wieder an ihre alte Schule zurück, um ihr siebtes Schuljahr zu vollenden. Da Harry und Ron beschließen, nicht mit ihr zusammen zu gehen, fühlt sie sich zunächst einsam. Doch dann lernt sie einen ehemals verha...