38. Kapitel

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Ganz außer Atem, rannten wir den Gang vom Krankenhaus entlang. Beinahe wäre ich in Gemma herein gelaufen, die neben ihrer Mutter Anne und Louis stand.
"Niall, Liam", murmelte Anne, als sie uns bemerkt hatte. Tränen liefen ihre Wangen hinab.
"Endlich", rief Louis und fuhr sich über die Stirn. Liam legte ihm den Arm um und meinte mit zittriger Stimme: "Ich bin so schnell gefahren, wie ich konnte"
"Wo ist er?", fragte ich laut und schaute in die Runde.
"Da drin", murmelte Louis und deutete in das Zimmer, welches mir nach den letzten Tagen ziemlich vertraut vor kam.
"Die Geräte haben plötzlich angefangen zu spinnen und da habe ich Hilfe gerufen!", meinte Louis und erwiderte Liams Umarmung. "Der Arzt sagt…", flüsterte Gemma leise. Ein Schluchzen verließ ihre Lippen. "Es wäre ein Wunder, wenn…"

Eine Weile schwiegen alle. Ich hörte einzig das schnelle Klopfen meines Herzens. Die Angst ließ eine unangenehme Übelkeit in mir aufkommen. Der Gedanke, dass Harry nicht durchkam, war einfach unvorstellbar. Seit ich sechzehn Jahre alt war, kannte ich ihn. Er hatte mich immer unterstützt und mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute war.
Mein Kopf pochte stark. Harrys Familie und Freunde verblassten vor meinem Sichtfeld. Einen Moment vergaß ich sogar, dass ich im Krankenhaus war.

"Schnelle Reanimation!", riss mich eine Stimme aus den Gedanken und versetzte mich entgültig in Panik.
Ein klägliches Laut verließ meinen Mund. "Harry", rief ich und lief Hals über Kopf zur Tür.
"Sie haben derzeit kein Zutritt", entgegnete eine Ärztin und versperrte mir den Weg.
"Derzeit?", rief ich verzweifelt. "Was ist wenn es hinterher zu spät ist!"
Louis packte mich am Arm und zwang mich, ihn anzusehen.
"Wir haben alle Angst, okay? Aber damit, kannst du die Situation nur noch verschlimmern", zischte er.
Ich zuckte zusammen. Mühsam kämpfte ich mit den Tränen. Nur leider war ich diesem Kampf nicht gewachsen und legte letztendlich die Waffen nieder.

Tränen füllten meine Augen und machten mein Blickfeld einen Moment unscharf. Langsam lief ich zur Wand und lehnte meinen Kopf dagegen. Die Ungewissheit war eine Qual. Nur wusste ich, dass das Ergebnis um einziges schlimmer sein konnte. Diese Tatsache verschlimmerte jedoch wiederum das Warten, was das Ergebnis ebenfalls beeinflussen konnte.
Die Gedanken drehten sich in meinem Kopf. Hätte es eine Austaste für zu undurchdachtes und seltsames Denken gegeben, wäre das der richtige Zeitpunkt gewesen, um sie zu betätigen.

Ich sah hinüber zu den anderen. Gemma und Anne hielten sich im Arm und redeten aufeinander ein. Louis und Liam hingegen schwiegen sich an, ohne sich auch nur dabei anzusehen. Es verstrichen einige Minuten. Ärzte liefen auf und ab. Dann war es plötzlich still. Es war nicht diese angespannte Stille, die zuvor geherrscht hatte. Sie schien die stillste Stille zu sein, die ich je in meinem Leben gehört hatte. Das konnte zweierlei bedeuten. Es war die Ruhe nach einem erkämpften Sieg oder es war das bedrückende Schweigen nach einer Niederlage.

Auf Umwegen zu dir (Narry) Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt