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Der Schmerz, den ich in ein paar Sekunden spüren würde, um endlich zu sterben, kam nicht. Er kam einfach nicht.
Minute für Minute verstrich und ich wurde immer nervöser.
Dauerte ein Tierangriff wirklich so lange?
Vorsichtig öffnete ich meine Augen einen kleinen Spalt, doch alles, was ich vorfand, waren die Bäume und Büsche, die von Regen nass waren.
Kein Wolf.
Ich sah mich um und hielt Ausschau nach dem gefährlichen Tier, allerdings war es verschwunden.
Was hatte es verjagt? Der Regen? Wohl kaum.
Doch dann schaltete sich mein menschlicher Fluchtreflex ein, sodass ich mir meine Tasche schnappte und den Weg zurück rannte, aus dem ich gekommen war.
Meine Wunde hatte ich mit ein paar Taschentüchern umwickelt, um die Blutung so gut wie es ging, zu stoppen.
Ich drehte mich nicht nochmal um, denn meine Angst, der Wolf würde mich verfolgen oder auch nur beobachten, war größer.
Der Regen prasselte immernoch auf meine bereits durchnässte Kleidung, die an meinem Körper, wie eine zweite Haut, klebte, aber das war gerade mein kleinstes Problem.
Rennen war das Einzige, woran ich jetzt denken konnte.
Meine Beine brennen bereits, doch ich konnte nicht aufhören, ein Bein nach dem anderen auf den Boden zu setzten, sodass ich es tatsächlich bis nach Hause schaffte.
Zitternd vor Kälte zog ich mein Schüssel hervor, schloss auf und trat in die Wärme.
Keuchend lehnte ich mich gegen die Tür, um erstmal wirklich durchzuatmen, doch dann fiel mein Blick auf die Uhr, sodass ich mich wieder in Bewegung setzten musste.
"Hi, Schatz", begrüßte mich meine Mutter fröhlich aus der Küche, dann summte sie weiter mit dem Radio mit.
Schnell zog ich meine nasse Jacke und meine dreckigen Schuhe aus und schlich leise den Flur entlang, doch kurz warf ich einen Blick nach Rechts und sah meine Mutter glücklich trällernd am Herd stehen, dann rannte ich nach oben und ging in mein Zimmer.
Sofort steuerte ich ins anliegende Badezimmer, wo ich mich komplett entkleidete und mich unter die warme Dusche stellte.
Zischend sog ich die Luft ein, da ich die Wunde vergaß. Sie brannte und zog.
Still betrachtete ich meine Hand und sofort erinnerte ich mich an den Wolf mit den goldenen Augen.
Trotz der gefährlichen Zähne und den angriffslustigen Krallen, konnte ich es in seinem Blick, seinen Augen, die mir so vertraut vorkamen, sehen, dass er nichts bösen will.
Augenblicklich runzelte ich meine Stirn und hielt mein Kopf wieder unter die Wasserdüse.
Was rede ich da eigentlich? Ein Wolf, der lieb ist?
Tief atmete ich ein, dann begann ich mir den Dreck von meinem Körper zu waschen, da das nächste Treffen mit Adrien anstand.
Ich war spät dran.
In rekordverdächiger Zeit föhnte ich mir meine Haare, schminkte mich dezent und rannte rüber zu meinem Schrank.
Meine dreckigen Sachen konnte ich immerhin nicht wieder anziehen, also musst etwas neues her. Es sollte allerdings nicht so aussehen, als würde ich mich extra hübsch machen für ihn, also entschied ich mich für eine schwarze Jeans, ein schwarzes Top und ein kariertes Hemd, dass ich um meine Schulter zog.
Meine Wunde hatte ich mit einem Verband umwickelt, allerdings würden meine Eltern definitiv nachfragen.
Schnell rannte ich herunter zu meiner Mutter in die Küche und stütze mich auf der Kücheninsel ab.
Mein Dad war gerade nach Hause gekommen, da er immernoch ein Hemd und seine Anzugshose trug.
Mit einem Kuss auf die Wange begrüßte ich ihn, dann wandte ich mich wieder zu meiner Mutter.
"Mom, ein Junge wird gleich zu uns kommen", entgegnete ich beiläufig, doch das Gesprächen zwischen meinen Eltern stoppte abrupt. Meine Mutter sah mich von oben bis unten an, während mein Dad seine Augenbrauen überrascht nach oben zog.
"Wir müssen zusammen eine Präsentation machen", seufzte ich und rollte meine Augen. Nach meinem letzten und einzigen Freund hatte ich keinen Jungen mehr nach Hause gebracht.
Genau in dem Moment, als meine Mutter etwas sagen wollte, klingelte es.
Vor Erleichterung atmete ich aus und ging zur Haustür, die ich kurz danach öffnete.
Ich sah Adrien in sein freundliches Gesicht, doch was mich faszinierte war sein gesamtes Auftreten, denn mir kam es so vor, als würde er noch selbstsicherer wirken, als er schon ist. Ganz zu schweigen davon, dass durch sein nassen Haare und die Regentropfen auf seinem Gesicht er noch hübscher aussah.
"Hi", entgegnete Adrien nach ein paar Sekunden, denn offenbar hatte ich ihn zu sehr angestarrt. Sofort schoss mit die Röte in mein Gesicht, doch ich versuchte neutral zu bleiben.
"Komm rein", murmelte ich schüchtern und zog die Tür ganz auf, sodass er passieren konnte. Als er an mir vorbei ging, konnte ich ein Zittern nicht unterdrücken, so viel Stärke strahlte er aus.
Schweigend wartete ich auf ihn, bis er seine Jacke und Schuhe ausgezogen hatte, dann ging ich voraus und steurte auf die Treppen zu.
"Hallo, Mr und Mrs Malone", begrüßte Adrien meine Eltern, während wir an der Küche vorbei kamen.
"Willkommen", strahlte meine Mutter grinsend, genauso wie mein Dad, der seine Freude aber zum Glück etwas zurück hielt.
Ungläubig schüttelte ich meine Kopf und rollte meine Augen, als meine Eltern zwischen uns unauffällig hin und her sahen.
Still gingen wir schließlich die Treppen nach oben, rauf in mein Zimmer, doch ich ließ Adrien den Vortritt.
Interessiert musterte er mein Zimmer bis in jedes kleinste Detail, als wäre er wirklich neugierig. Ich versuchte es mit seinen Augen neu zu sehen: ein Bett links, ein Schrank rechts und zwei kleine Sessel daneben, eine weiter Tür rechts, die ins anliegende Bad führte, ein Schreibtisch und ein Spiegel.
"Schönes Zimmer", lächelte Adrien, doch sah sich weiter um.
"Danke", entgegnete ich neutral, da ich fand, es war, wie jedes andere Zimmer.
Adrien beobachtete mich einen Moment, doch ich tat so, als würde ich es nicht bemerken und richtete mein Hemd.
„Was ist passiert?", fragte er mich mit rauer Stimme.
„Hm?"
Mit seinem Kopf deutete er auf meinen Arm, um den ich schnell einen Verband gewickelt hatte.
Perplex starrte ich ihn an, blinzelte und sah auf meine Hand. Ich suchte immer noch nach den richtigen Worten - die Wahrheit konnte ich ihm ja schließlich nichtsagen.
„Ich bin mit dem Messer abgerutscht", log ich schnell und lächelte gekünstelt, zusätzlich zuckte ich mit meinen Schultern.
"Also", fing ich gedehnt an und setzte mich auf den einen grauen Sessel. "Ich denke, wir sollten erstmal ein Thema finden."
Adrien nickte leicht und nahm auf meinem Schreibtischstuhl platz.
"Ideen?", fragte ich nach und öffnete meinen Block.
Wir hatten keine genauen Angaben, worum die Präsentation gehen sollte, doch sie sollte und ich zitiere 'andere einen anderen Blickwinkel verschaffen und zum Nachdenken anregen'.
"Wie wäre es mit Klimawandel?", fragte ich schließlich. "Das geht jeden etwas an und ist immerhin wichtig."
Adrien rümpfte die Nase.
"Ich denke, wir brauchen etwas originelles, sowas wie Menschenrechte und Bedürfnisse."
Ich nickte.
"Guter Punkt", meinte ich und rieb mir den Hinterkopf mit meinem Stift. "Vielleicht Kinderarbeit in der dritten Welt?"
"Ja, das ist gut", murmelte er und rieb sich sein Kinn. "Aber zu populär. Wie wäre es stattdessen mit so etwas wie Sterbehilfe? Ein Thema, über das nicht jeder gerne spricht."
Je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mit die Idee.
"Warum eigentlich nicht."
Zufrieden sank er tiefer in meinen Stuhl.
"Okay, wie wäre es damit? Wir recherchieren für das nächsten Treffen einfach bisschen und sammeln weitere Ideen."
"Klingt gut."

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt