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Ich zögerte jede kleinste Bewegung hinaus. Langsam packte ich meine Tasche zusammen, dann ging ich noch zusätzlich zu meinem Spind, um Bücher ein- und auszusortieren, obwohl ich das hätte erst morgen erledigen müssen, dann verschlug mich der Weg zur Toilette, bis ich schließlich als wirklich Allerletzte aus dem Schulgebäude kam.
„Malone", rief Adrien über den Schülerparkplatz und machte auf sich aufmerksam.
Mit schnellen Schritten ging ich zu seinem Wagen.
„Black", sagte ich lächelnd und wollte schon die Tür aufmachen, doch die Verrieglung hielt mich davon ab.
„Sag mal, wo warst du? Wir sind die Letzten, die das Schulgelände verlassen", meinte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
Es ist nicht so, als würde ich das extra gemacht haben, damit kein Schüler mich mit Adrien sieht, aber ein paar Fakten könnten darauf hindeuten. Ich wollte einfach nicht riskieren, Gerüchte entstehen zu lassen.
„Ich hatte noch wichtige Sachen zu erledigen, okay? Können wir jetzt einsteigen?", murmelte ich schnell und sah ihn auffordernd an.
Als Antwort brummte er etwas unverständliches und entriegelte schließlich die Tür. Wir beide stiegen ein und Adrien fuhr los.
Warum wir uns trafen, war ganz simpel: die Präsentation für Deutsch und Literatur.
Wir waren vorgestern nicht so weitgekommen, und außerdem war es eine wichtige Präsentation, also trafen wir uns lieber öfter, als zu wenig.
Adrien fuhr sicher die Straßen entlang, bis er irgendwo in den Wald bog und geradeaus fuhr.
Stirnrunzelnd sah ich mich um. Ich erkannte nichts, nur Bäume und Blätter.
Wollte er mich etwa kidnappen?
Doch als Antwort sah ich um die dreizehn Häuser, die wie in einem Kreis standen, mit einem vierzehnten Haus, das eher einem Palast ähnlich sah als einem Haus, ganz vorne an der Spitze.
Adrien hielt an und wir stiegen direkt vor der Villa aus.
Ich musste meinen Kopf in den Nacken legen, so hoch war das Gebäude.
„Und hier wohnst du?", fragte ich beeindruckt.
Adrien schmunzelte über meine Frage, was mehr als genug Antwort war.
Er öffnete mir die Tür und ließ mich zuerst rein. Automatisch sah ich mich um. Die Eingangshalle war riesig und vermutlich aus echtem Marmor. Elegante Möbel und ein Kronleuchter zierten den Raum, links und rechts befanden sich jeweils eine Treppe, die in die nächsten Stockwerke führten.
„Und wo sind eure Butler?", fragte ich sarkastisch nach und zog und Jacke aus.
„Beim Einkaufen", zwinkerte er mir zu und nahm mir meine Jacke ab.
Keine Ahnung, ob das jetzt ein Witz war, oder nicht. Zu gerne hätte ich nachgefragt, aber ich schwieg.
Adrien ging voran, die Treppe nach oben bog er links ab in einen Flur und öffnete die Türen des hintersten Zimmers. Wieder ließ er mir den Vortritt und wieder staunte ich nicht schlecht.
Sein Zimmer war vermutlich so groß, wie unser gesamtes oberes Stockwerk. Das Bett stand links, ein Schreibtisch gegenüber der Tür, ein Sessel und Sofa rechts, der Schrank an der Wand. Zusätzlich sah ich eine Tür, die vermutlich ins Bad führte.
Ich hätte mich stundenlang mit der Einrichtung beschäftigen können, aber deshalb war ich nicht hier. Trotzdem warf ich einen kleinen Blick auf seinen Schreibtisch.
Bücher, Zettel und ein Laptop standen darauf, nichts ungewöhnliches, doch was mir ins Auge stach, waren seine Zeichnungen.
Ich hätte nie gedacht, dass in Adrien ein Künstler schlummert ...
Ich nahm mir eine und sah sie mir genauer an. Es war ein Mädchen, die ihre Hand in das Fell eines Wolfes vergraben hatte. Die Stimmung schien sehr fröhlich und ausgelassen zu sein.
Die Zeichnung erinnerte mich ein bisschen an den Wolf, den ich Wald getroffen hatte. Er war irgendwie genauso lieb gewesen.
Ich hörte, wie die Türen zugingen, und legte das Bild wieder hin.
„Du bist gut", meinte ich zu Adrien. „Sehr gut sogar."
Adrien sah mich fragend an und legte die Gläser und die Wasserkaraffe auf dem Glastisch ab.
„Ich meine die Zeichnungen."
Ich hielt eine in die Höhe und lächelte.
„Ich bin kein Meister", schmunzelte er und fuhr sich durch die Haare. „Wollen wir dann anfangen?"
„Warte", fuhr ich dazwischen und sah mir weitere Zeichnungen an. „Du willst mir sagen, dass du nicht talentiert bist? Du solltest mich mal malen sehen."
Adrien grinste bei dem Gedanken. „Fände ich gar nicht so schlecht", schlug er vor.
Ich lachte auf. „Bei mir würde nichtmal etwas zu erkennen sein, bei dir hingegen ..."
Ich machte ein Pause, weil mir die richtigen Worte fehlten.
„Adrien, ich glaube nicht, dass ich schon mal so etwas gutes gesehen habe."
Lächelnd blickte er an mir herab, sodass ich automatisch wegschauen musste. Ich merkte, wie mir eine leichte Röte hochstieg. Innerlich verfluchte ich mich bereits.
„Ich denke, wir sollten beginnen", räusperte ich mich schnell und nahm auf dem Sofa platz. Er saß
mir gegenüber, sodass ich ihn perfekt im Blick hatte.
Ich holte meine Notizen raus und legte sie auf das Sofa.
"Also", begann Adrien und wollte bereits loslegen. „Ich habe mich in ein paar Bibliotheken umgeschaut, für passende Bücher, da ich denke, dass so etwas besser ankommen könnte, als das verhasste Internet. Zudem habe ich einige Recherchen gemacht und ich könnte möglicherweise einen Termin bei einem Mediziner anfragen, der sich für uns die Zeit nehmen würde, unsere Fragen zu beantworten."
Ich starrte ihn einfach nur an.
„Was ist?", fragte er grinsend nach.
Ich hatte keine Worte. Egal, um was es sich für ein Projekt handelte, ich musste immer die ganze Arbeit machen, deshalb verwunderte es mich nur noch umso mehr, dass Adrien sich tatsächlich die Zeit genommen hatte, um etwas zu erarbeiten.
„Ich ...", begann ich. „... hatte noch nie einen so engagierten Partner." Ich rümpfte die Nase und überlegte. „Eigentlich hatte ich noch nie überhaupt einen engagierten Partner."
Adrien lachte auf und ich lächelte ihn an.
„Tja, ich bin eben anders", meinte er und lehnte sich zurück.
Ich nickte grinsend und sortierte meine Notizen.
Die restlichen zwei Stunden verbrachten wir damit uns über jedes kleinste Detail der Präsentation auszutauschen. Ich musste zugeben, dass er gar kein schlechter Partner war, denn erbrachte viele tolle Ideen, die mir selber vermutlich nicht eingefallen wären.
"Bist du dir sicher?", fragte Adrien erneut und gab mir meinen Block, den ich in meinem Rucksack verstaute.
Nickend lächelte ich.
"Danke, aber ich denke, ich schaffe es noch alleine nach Hause. Außerdem ist es ja noch hell genug."
Adrien rümpfte die Nase und öffnete die Tür, sodass ich sein Zimmer verlassen konnte.
Ich wollte, dass er sich keine Umstände machen musste, zudem wusste ich nicht, wie das bei meinen Eltern ankam.
Wir stiegen die Treppe hinunter, als uns jemand in der Eingangshalle entgegen kam.
"Adrien, ich dachte, du bist im Training. Du wolltest d-", die Frau stockte, als sie mich sah und musterte.
Ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen, also sah ich hilfesuchend zu Adrien.
"Mom, das ist Sirina", stellte er mich vor.
Die Frau änderte ihren Gesichtsausdruck zu einem Lächeln und nickte langsam.
"Hi", fügte ich hinzu und reichte ihr die Hand, sodass sie Meine schüttelte.
Mrs Black sah zu ihrem Sohn und grinste ihn an.
Oh mein Gott ...
"Ich bin die Mutter von Adrien", meinte sie lächelnd und blickte wieder zu mir.
"Mom."
Mit diesem einen Wort verstand seine Mutter und nickte.
Seine Stimme hatte sich leicht verändert, Dominanz führte seinen Ton an.
"Schön dich kennen gelernt zu haben - Ich muss allerdings die Einkäufe reintragen", murmelte sie und zwinkerte mir zum Abschied zu.
"Ähm ... Ja, fand ich auch", sagte ich etwas unsicher und winkte ihr.
Wow, das war ... komisch.
Adrien räusperte sich und reichte mir meine Jacke, die ich dankend anzog.
"Sorry", meinte er leise und kratzte sich am Hinterkopf.
"Eltern", grinste ich und zuckte mit meinen Schultern, während ich meine Haare aus der Jacke zog.
Ich nahm mein Rucksack und öffnete die Tür.
Als ich hinaustrat, strömte mir kühle Luft ins Gesicht. Automatisch zog ich meine Jacke fester um mich.
"Ähm ... also wir sehen uns", verabschiedete ich mich von Adrien und lächelte ihn unsicher an.
Er nickte und sah mich kurz intensiv an.
"Und du bist dir sicher, dass du mein Angebot nicht annehmen willst?", hackte er nach, doch ich winkte ab und ging die erste Stufe bereits hinunter, als ich mich umdrehte.
"Ich schaff das, ich bin ein großes Mädchen", grinste ich ihn an, sodass auch seine Mundwinkel sich hoben.
Schließlich setzte ich meinem Weg fort und steuerte auf den Wald zu.
Der kalte Wind blies ab und zu durch den Wald, aber sonst war es absolut still.
Ich konnte mir schon vorstellen hier zu wohnen. Es war die Stille, die die Atmosphäre angenehm machte.
Als ich das Gefühl hatte weit weg von den Häuser zu sein und von der Straße, sah ich mich um.
"Wolf", flüsterte ich hinein.
Das Bild von Adrien hatte mich nicht in Ruhe gelassen, sodass ich beschlossen hatte nach dem Tier zu sehen.
Ich sah mich um, aber nichts rührte sich.
"Wolf", wiederholte ich etwas lauter und ging ein paar Schritte weiter.
Hätte man mich jetzt beobachtet, würde man mich direkt in die Psychiatrie einweisen.
Plötzlich tuschelten die Blätter und ich sah mich automatisch genauer um.
Und tatsächlich, ich erkannte ein schwarzes Tier, dass langsam auf mich zu kam.
Innerlich fühlte ich noch immer etwas Unbehagen, es war einfach der menschliche Instinkt, aber genauso fühlte ich auch Harmonie und Vertrauen. Vertrauen, dass er mich nicht gleich umbringen würde.
Der Wolf begrüßte mich, indem er meine Finger ableckte und seinen Kopf in meinen Hände vergrub.
Sofort strich ich über sein weiches dunkles Fell und kraulte ihn am Ohr.
"Hi", flüsterte ich und lächelte.
Ich nahm meinen Rucksack ab und setzte mich auf einen Baumstamm. Der Wolf nahm neben mir Platz und legte seinen Kopf auf meine Oberschenkel.
Sanft streichelte ich über seinen Pelz.
"Ich glaube, du brauchst einen anderen Namen", schlug ich vor und das Tier hob fragend seinen Kopf.
Ich überlegte.
"Wie wäre es mit Bello?", fragte ich schmunzelnd, doch der Wolf sah mich verwirrt an.
"Okay, schon gut."
Wieder überlegte ich.
"Scàth."
Der Wolf hob erneut sein Kopf.
"Es bedeutet Schatten auf Irisch", ergänzte ich schnell, aber ich wusste nicht einmal, ob er mich verstehen konnte.
Allerdings drückte er einen Kopf gegen meine Brust, sodass meine Hand sich wieder in seinem Fell vergrub.
Offensichtlich gefiel ihm der Name ...
Die Ruhe wurde durch das Klingeln meines Handys unterbrochen.
Komischerweise störte es Scàth kein bisschen oder fand es fremd, stattdessen hob er kurz seinen Kopf, senkte ihn aber wieder.
"Joe, hi", begrüßte ich sie gelassen. "Was gibt's?"
"Hey, störe ich gerade?", fragte sie nach, immer im Hinterkopf, dass Adrien neben mir sein könnte.
Ich schmunzelte und strich über das Fell.
"Nein, ich bin nicht mehr bei Adrien, ich ..." Kurz überlegte ich. "... laufe gerade nach Hause."
Scàth sah mich an, als ob er mir zuhören wollen würde.
"Und wie war's? Was habt ihr gemacht?"
Joe war wirklich eine der neugierigsten Menschen, die ich kannte.
"Joe", murmelte ich und rollte meinen Augen. "Es lief absolut gar nichts. Wir haben einfach gearbeitet, mehr nicht."
Auf der anderen Leitung gab es keinen einzigen Ton.
"Schön", seufzte ich und gab nach. "Er hat mich in seinem Auto mitgenommen und mich zu ihm gefahren ..."
"Und?", hackte sie nach.
"Joe, ich glaube, die leben in einem Palast", lachte ich und sah den Wolf an, der mir lauschte. "Ihr Haus ist riesig, das Zimmer von Adrien genauso groß und einfach traumhaft schön."
Scàth legte seinen Kopf etwas schief.
"Ich würde gerne selber dort leben", gab ich grinsend zu und Joe lachte.
"Und was noch?"
Kurz dachte ich nach.
"Ich habe seine Mutter kennen gelernt", erzählte ich unsicher.
"Ich dachte nicht, dass es bei euch so schnell gehen würde", lachte meine Freundin und ich seufzte.
"Du bist echt unmöglich!"
"Erzähl schon, wie ist sie!", forderte sie mich endlich auf.
"Sie ist sehr nett", meinte ich. "Aber ihre Blicke zu Adrien konnte ich nicht wirklich deuten."
"Ich wusste es! Selbst seine Mutter spürt, dass etwas zwischen euch ist."
Ich rollte meine Augen und strich mir meine Haare nach hinten.
"Joe, er hat eine feste Beziehung -", begann ich, aber Joe unterbrach mich. "Die übrigens am seidenen Faden hängt."
"Okay, können wir das Thema wechseln?", probierte ich. "Bitte."
Nach kurzer Stille räusperte sie sich.
"Schön, was ist mit deinem Armband?"
"Mein Goldarmband?"
Plötzlich richtete sich Scàth auf, drehte sich um und rannte in die andere Richtung.
Ich stand auf und sah ihm nach.
"Das, das du gesucht hast, ja."
"Ähm ... ich ..." Die abrupte Reaktion von Scàth irritierte mich etwas. " Nein ... also noch nicht. Ich hoffe, ich finde es noch."
"Ist alles okay bei dir?", fragte Joe nach.
"Mhm, ja klar", meinte ich und sah mich um. "Ich denke, ich muss auflegen."
"Ähm okay ... bis dann", verabschiedete sich Joe unsicher.
Super!
Ich hatte die einzige Freundin vergrault, die ich hatte.
Schnell tippte ich die rote Taste und nahm meinen Rucksack.
Vielleicht hatte Scàth etwas wichtiges gehört.
Als ich den ersten Schritt machte, hörte ich Blätterrascheln. Sofort sah ich mich um, aber ich erkannte nichts. Langsam kam ein schwarzes Tier auf mich zu getrottet, Scàth.
Er schob mir erneut seinen Kopf unter meine Hand, sodass ich über sein dunklen Pelz strich.
Als er seinen Kopf hob, blitzte etwas helles in seinem Mund. Ich streckte meine Hand aus und Scàth ließ es fallen.
Ich riss meine Augen auf und schluckte.
Er hatte mir mein Armband gebracht und jetzt war ich mit zu hundert Prozent sicher, dass er jedes einzelne Wort verstehen konnte.

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