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Ich sah, wie der Regen gegen meine Fensterscheibe prasselte, es hörte sich unglaublich harmonisch an.
Der Himmel wurde von einzelnen Blitzen durchleuchtet, dann verschluckte ihn wieder die Dunkelheit.
Es war so ruhig und still, dass ich selbst den tropfenden Wasserhahn von meinem Bad aus hören konnte.
Heute war einer dieser Tage, an denen man in seinen Gedanken versunken aus dem Fenster starren musste. Das Wetter lud mich dazu ein, meine Aufmerksamkeit meinen Problemen zu widmen, die ich seit Tagen aufschob.
Meinen Kopf lehnte ich gegen die Wand der Fensterbank und atmete tief aus.
Ich konnte an nichts anderes als Adrien denken. Sein Geheimnis war etwas, dass man nicht auf die leichte Schulter nehmen konnen. Es stellte meine komplette Weltansicht auf den Kopf, denn so etwas wie Werwölfe gab es normalerweise nicht. Die Verwandlung bei Ruby und Tristan sah schmerzhaft aus, so schmerzhaft, dass es mir selbst die Haare aufstellte, wenn ich darüber nachdachte.
Ob es bei Adrien genauso war?
Natürlich war es das. Knochen brechen und verrenken sich.
Sorgte ich mich etwa um ihm?
Ich biss mir auf die Lippe und zog meine Decke höher.
Es war nicht leicht, es zuzugeben, aber mir lag eben doch noch etwas an ihm. Egal, ob er mich ansah oder mich zufällig berührte, ich fühle immernoch diese ganz spezielle Verbindung zwischen uns. Es ist anders als alle, die ich kenne. Mit ihm fühlt sich alles richtig an, alles war so leicht und einfach. Das konnte ich nicht einfach ignorieren.
Sein Brief an mich sagte dasselbe.
Mein Blick wanderte auf die große Fensterbank, wo er vor mir lag.
So viel Gefühl, so viel Emotionen gab er Preis, und ich weiß genau, dass es ihm schwergefallen sein musste, Gedanken aufzuschreiben.
Ja, er hatte mich verletzt, er hatte mich gebrochen. Ich kann nicht einfach vergessen, dass er mir solche schrecklichen Dinge angetan hatte. Dinge, die mich, weiß Gott wie lange, verfolgen und erinnern würde, wie sehr er mir weh getan hatte.
Und dennoch konnte ich die Worte in seinem Brief nicht ignorieren.
'Ich liebe dich.'
Er wusste, dass diese Worte mir viel bedeuten. Es hatte immerhin einen Grund, warum keiner von uns dieser drei Worte gesagt hatte: Zum Lieben muss man ehrlich und aufrichtig sein, aber dieses Gehemnis stand immer zwischen uns und diesen drei kleinen Worten.
Mit meinem Fingern strich ich über seine Handschrift.
Ich wünschte, ich könnte fühle, ob er es auch wirklich ernst meinte. Die Chance bestand immer, dass er mich nochmal verarschen würde, aber wieso hatten sie mir dann ihr Geheimnis anvertraut?
Ich konnte einfach nicht glauben, dass das alles wieder nur ein Trick war.
Es klopfte an der Tür und meine Mom steckte ihren Kopf durch die Tür. Ich faltete den Brief zusammen, legte ihn weg und setzte mich auf.
"Hey, Mäuschen", murmelte sie und kam langsam rein. Ich lächelte zur Begrüßung und machte Platz, indem ich meine Beine zu mir zog, sodass sie sich neben mich setzten konnte.
Sie übergab mir eine Tasse Tee und sah mich vorsichtig an. Sie wusste genau, wenn es mir schlecht ging, half meistens eine Tasse Tee um darüber zu reden.
Doch in diesem Falle bezweifelte ich das stark.
"Wie geht's dir?", fragte sie besorgt und ich zuckte mit meinen Schultern.
"Keine Ahnung."
"Ist alles in Ordnung?"
Sie wusste ganz genau, dass ich bemerkt hatte, wie sie meine geröteten Augen an dem Tag mit Adrien gesehen hatte, doch sie blieb bis heute still.
"Ich weiß nicht", hauchte ich und sah sie an. Ich konnte ihr das Geheimnis der Blacks natürlich nicht erzählen, aber ich brauchte einfach Rat. "Ich habe nur einen kleinen Teil der Wahrheit erfahren, aber selbst das hatte mich verletzt. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, Adrien nochmal zuzuhören."
Meine Stimme war heißer, denn das Thema war für mich sehr emotional. Ich wollte Adrien nicht aufgeben, dafür empfand ich einfach zu viel für ihn, aber gleichzeitig konnte ich nicht schon wieder verletzt werden.
Meine Mutter nickte und legte ihre Hand auf mein Knie.
"Ich war noch sehr jung als dein Vater und ich zusammen gekommen sind. Vielleicht zu jung für Andere, aber ich war eben abenteuerlustig und neugierig was diese Liebe zu bieten hatte", begann sie zu erzählen und ich sah sie an. "Deine Großeltern waren zuerst gar nicht begeistert, sie sahen deinen Vater als unwürdig an, mich zu haben."
"Wieso?" Es war völliger Blödsinn, denn mein Dad konnte meiner Mutter viel bieten, sie hatten ja selber bereits ein Kind zusammen.
"Ich hatte dir doch erzählt, dass sie mich immer mit jemanden anderen sahen", erklärte sie und ich nickte. "Es war Micheal."
Stirnrunzelnd sah ich sie an.
"Deinen Vater belastete das wirklich sehr. Er kämpfte immer darum, dass deine Großeltern ihn akzeptieren würden, bis es ihm eines Tages zu viel wurde und er mit mir eine Pause einlag. Für mich war das unglaublich schwer, denn ich liebte deinen Vater so sehr und zu wissen, dass er sich von mir abwand, brachte mich fast um."
Ich schluckte. Meine Mutter hatte also sowas ähnliches durchgemacht, es war gut, dass ich mich nicht alleine damit fühlte.
"Diese Pause ging monatelang. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, ob wir überhaupt noch einmal miteinander reden würden, denn er zog sich komplett zurück." Sie machte eine Pause und senkte ihren Blick kurz. "Du musst verstehen, dass Michael mir in dieser Zeit eine unglaubliche Stütze war, ich aber gleichzeitig auch für ihn."
"Wieso das?", fragte ich neugierig nach und meine Mutter lächelte traurig.
"Er hatte seine Verlobte bei einem Unfall verloren", hauchte sie und ich schluckte.
In so jungen Jahren einen so großen Verlust zu erfahren war sicherlich nicht einfach.
"Immer, wenn wir zusammen waren, konnten wir uns gegenseitig ablenken", erzählte sie mir weiter, doch stoppte abrupt. "Bis wir einen Schritt zu weit gingen."
Ich wusste, was das hieß, denn aus ihrem Missgeschick wurde ich.
"Also war ich ein Fehler?"
Die Augen meiner Mutter weiteren sich.
"Niemals wieder will ich so etwas von dir hören, Sirina Malone", entgegnete sie und ich zog die Beine näher an mich. "Micheal und ich waren schon immer gute Freunde, aber seit diesem Tag war alles anders. Natürlich hatte ich nicht gedacht, dass ich sofort mit dir schwanger werden würde, aber es war eben passiert", meinte sie und ich atmete tief aus. "Ich weiß, es war nicht richtig, dass ich deinem Vater und dir nichts davon gesagt hatte, aber meine Angst war einfach zu groß, dass ich euch beide verlieren könnte."
"Und du wusstest wirklich erst seit kurzem, dass Dad nicht mein echter Vater ist?", fragte ich nach.
Sie überlegte. "Jein. Wirklich mit Sicherheit wusste ich es erst nach dem Test, aber ich schätze eine Mutter weiß so etwas einfach im Inneren. Trotzalledem bist du die Tocher deines Vaters."
Ich nickte und lächelte. "Die Lüge mit dem Postboten ging schon seit Jahren nicht mehr auf."
Sie lachte und nickte. "Nicht mein bester Einfall, das gebe ich zu."
Micheal war seit Jahren unser angeblicher Postbote, da er an jedem meiner Geburtstage auftauchte und ich irgendwann anfing, fragen zu stellen.
Sie wurde wieder etwas ernster und sah mich an.
"Was ich dir damit sagen möchte, ist, dass auch wenn es schwer ist die Wahrheit zu hören, es manchmal einfach besser ist. Unsere Familie hat einen Rückschlag erlitten, ja, aber die Klarheit hält uns jetzt mehr zusammen, als vorher", fügte sie hinzu und ich nickte.
Tief atmete ich aus. Es war richtig, was meine Mutter sagte, denn durch die Wahrheit herrscht einfach viel bessere Klarheit, so sehr sie auch weh tun kann.
"Danke, Mom", flüsterte ich und lächelte.
Sie nickte und drückte mein Knie, stand auf und verließ das Zimmer.
Auch wenn sie es nicht direkt gesagt hatte, wusste ich, dass sie mir geraten hatte, Adrien weiter und diesmal bis zum Ende zuzuhören. Ja, vielleicht wird die Wahrheit mir nicht gefallen, doch dann würde ich ihn wenigstens etwas besser verstehen können.

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt