61

8.3K 301 5
                                    

Mit meinen Beinen wippte ich etwas nervös gegen das Autoamaturenbrett, sodass sich Tyler zu mir drehte.
Mein Blick richtete ich auf die Straße vor uns.
Es war lange her, dass wir zwei in einem Auto gefahren sind, doch ich merkte, wie ich es vermisst hatte. Vieles kam einfach dazwischen, sodass wir nicht einmal Zeit für solche kleinen Dinge hatten.
Tyler schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, dass ich unsicher erwiderte.
Auch, wenn wir vielleicht nicht so eng miteinander waren wie andere, hatte die Aufdeckung von Moms Geheimnis - so absurd es auch klang - irgendwie zusammengeschweißt.
Tyler fuhr in eine Parklücke, schaltete den Motor ab und nickte mir zu.
"Falls irgendetwas sein sollte, ich bin ein Anruf entfernt. Ich hol' dich sofort ab", erklärte er mir und ich lächelte dankend.
"Ich weiß", flüsterte ich und schnallte mich ab.
"Viel Glück", murmelte Tyler und ließ mich aussteigen, dann fuhr er langsam davon.
"Danke", wisperte ich dem Auto hinterher und drehte mich zu dem Cafe um.
Ich legte meinen Kopf in den Nacken und betrachtete das Gebäude.
Etwas klein und rustikal, aber süß und gemütlich.
Meine Nervosität stieg ein wenig mehr und mein Puls beschleunigte.
Unruhig kaute ich auf meiner Lippe rum und betrat die Stube.
Mein Blick wanderte durch den kleinen Raum, bis er bei einem Platz stehen blieb.
Michael lehnte mit seinen Ellenbogen auf dem Tisch auf und sah etwas Gedanken versunken durch das Fenster.
Es war komisch ihn so zu sehen, oder ihn so zu treffen, wie richtige Bekannte, dabei kannte ich ihm vor ein paar Wochen nur von sehen.
Es wirkte alles so unreal meinem echten Vater zu begegnen, denn eigentlich begleitete mein anderer Vater mich mein ganzes Leben lang. Jemanden in mein Leben zu lassen war herausfordernd.
Ich lief zu dem Tisch, bis Michael mich entdeckte. Sein Blick hellte sich augenblicklich auf und er stand auf, um mir den Stuhl zurecht zu rücken.
Ich lächelte dankend und setzte mich.
"Ich bin so froh, dass du angerufen hast, Sirina", meinte er sofort und ich nickte.
Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, klang irgendwie ungewohnt.
"Möchtest du etwas trinken?"
Ich sah auf seine dampfender Tasse.
"Ich nehm dasselbe, wie du", murmelte ich und er gab eine Bestellung auf, die ich nach ein paar Minuten bereits bekam.
Eine Stille schien sich auszubreiten, aber ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen. Ich hatte so viele Fragen und doch fiel mir keine Einzige in diesem Moment ein.
Ich spürte, wie Michael mich beobachtete, sodass ich meinen Blick hob.
"Tut mir leid", lachte er. "Ich bin nur so überrascht und gleichzeitig gespannt darauf, meine Tochter kennenzulernen."
Ich lächelte. "Ja, das kann ich verstehen." Ich atmete kurz ein und räusperte mich. "Du kannst mich alles fragen, was du möchtest."
Er nickte entschlossen.
Die ersten Sachen waren lediglich das Oberflächliche, aber ich beantwortete jede seiner Fragen. Egal, was ich ihm auch erzählte, er saugte jedes kleinste Wort dabei auf. Sein Gesichtsausdruck verriet dabei Neugierde und Begeisterung, was mir ein gutes Gefühl gab.
"Und was macht dein Freund und du?", lächelte er mich an und ich fror für einen kurzen Augenblick ein.
Ich hatte jetzt ihn schon Tage nicht mehr gesehen, oder seine Stimme gehlrt. Die letzten Tage waren schwer. Schwerer als ich annahm, dass der Trennungsschmerz verweilen würde. Aber irgendwie schaffte ich es jeden Tag ohne ihn klar zu kommen, ohne ihn zu leben. Auch, wenn ein kleiner Teil von mir ihn nicht loslassen wollte, spürte ich wie meine Herz langsam heilen würde. Zumindest hoffte ich das sehr. Ich konnte schließlich nicht für immer einem Jungen hinterher trauern, dem ich anscheinend egal war. Deshalb beschloss ich, zuerst meine Familie in Ordnung zu bringen, bevor ich mich der großen Herausforderung stellte. Adrien zu vergessen.
"Wir ... ähm ... sind nicht mehr zusammen", murmelte ich und sah dabei auf meine bereits leere Tasse.
Michael nickte. "Tut mir leid, ich wollte nicht -"
"Nein, schon in Ordnung", meinte ich mit einem schwachen Lächeln.
Auch, wenn es schmerzte, über ihn zu reden, half es mir irgendwie meine Trennung zu verarbeiten. "Wir haben uns ... schon vor zwei Wochen getrennt."
Ich unterdrückte es, mein Gesicht dabei zu verziehen.
Zwei Wochen waren für manche viel, für mich aber eher nicht. Ich konnte nich die Worte hören, die mir Adrien an den Kopf geworfen hatte. Ich war noch lange nicht über ihn hinweg.
Michael nickte erneut und beobachtete mich unterbewusst.
"Darf ich fragen, wieso eure Beziehung in die Brüche ging?"
Ich schluckte, denn ich musste selber überlegen.
"Ich denke, wir beide sind irgendwie Schuld daran, dass wir nicht an unserer Beziehung gearbeitet haben, aber das ist schon okay so."
Ist es wirklich. So absurd es auch im ersten Moment klang. Natürlich hätte ich ich mir gewünscht, dass er von Anfang an ehrlich zu mir war, aber es sollte wohl nicht so sein.
Ich glaube an Schicksal. Und wenn es hieß, dass Adrien und ich nicht zusammenbleiben sollten, dann war es eben so.
"Warum hat es mit meiner Mum und dir nicht geklappt?", fragte ich stattdessen und Micheal blickte nachdenklich an mir vorbei. Anscheinend hatte ich alte Wunden wieder aufgerissen.
"Deine Mutter hat schon immer nicht so viel von uns gehalten", meinte er. "Deine Eltern waren einfach schon immer ein Traumpaar. Auch, wenn sie eine Zeit lang mir mir zusammen war, war sie nie so glücklich, wie mit deinem Vater, also ließ ich sie gehen, weil ich wusste, dass er sie glücklicher machen kann als ich."
Ich atmete aus. So wie Michael von meinem Dad sprach, war für mich unbegreiflich und so wunderschön. Beide liebten dieselbe Frau und beide kämpften um ihr Herz, und einer von ihnen hatte sie freiwillig gehen lassen, damit sie das Leben leben konnte, was sie sich immer erträumt hatte. Denn auch nach Mom schaffte Michael es nicht, eine andere Frau zu finden, die ihn so glücklich machen konnte, wie meine Mutter es tat.
"Ich weiß nicht, was ich sagen soll", schluckte ich und sah ihn vorsichtig an.
Michael zuckte mit seinen Schultern, und lächelte. "Manchmal muss man Entscheidungen treffen, die einem nicht gefallen, aber erst im Nachhinein versteht man, dass es die richtige Wahl war."
Dieser Satz ließ mich nicht los. Es war, wie ein Lehrsatz, der sich auf meine ganze momentane Lage prägte, besonders auf meine gescheiterte Beziehung.
Sicher, die Trennung war schwer. Schwerer als alles, was ich durchmachen musste, denn das, was ich für Adrien empfand, kann ich nicht einfach abschalten. Aber langsam erkannte ich, dass es besser war, sich von ihm zu trennen. Wer weiß, wie weit wir noch gegangen wären, wie sehr ich noch hätte verletzt werden können?
Mein Handy summte auf und unterbrach meine Gedanken.
"Geh ruhig ran", meinte er und ich nickte dankend.
Zügig stand ich auf und lief zu den Toiletten.
"Dad?", murmelte ich lächelnd.
Ich konnte mich noch kaum an seine Stimme erinnern. So lange hatte ich ihn nicht mehr gehört oder gesehen.
"Spätzchen? Wie geht es dir? Stör ich gerade?", fragte er liebevoll und ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand.
"Du störst nie", entgegnete ich und mein Vater lachte auf.
"Das freut mich zu hören. Wie geht es dir?"
Ich schluckte und überlegte etwas.
"Besser. Und dir?" Meine Stimme klang vorsichtig und zurückhaltend.
"Auch besser. Ich habe viel nachgedacht, das hatte ich gebraucht."
Ich nickte verständnisvoll und sah auf meine Schuhe runter.
"Wie ist er so?"
"Hm?"
"Michael, wie ist er?", erklärte er und ich stutzte. "Tyler hat mir erzählt, dass ihr euch heute trefft."
Mein Blick wanderte zu unserem Tisch. Michael schaute aus dem Fenster, während er sich abstützte.
"Er macht sich wirklich gut", meinte ich und hielt inne. "Fällt es dir schwer, das zu hören?"
Auch, wenn ich meinen Dad vernachlässigt hatte, sorgte ich mich unheimlich um sein Wohlergehen.
"Schwer ist es auf alle Fälle, und wird sicherlich nich so bleiben. Aber er ist jetzt ein Teil unseres Lebens, da kann ich nicht einfach wegsehen."
Tief atmete ich aus und nickte.
"Wie wäre es, wenn wir uns morgen mal treffen?", fragte er mich und ich lächelte auf.
"Nur, wenn du deine berühmten Pfannkuchen machst", schmunzelte ich und mein Vater lachte in der anderen Leitung auf.
"Schön, dann sehen wir uns morgen", meinte er. "Bis dann!"
"Bye, Dad", flüsterte ich und ging mit einem Grinsen an meinen Tisch zurück.

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt