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"Grüß deine Mutter von mir, ja?", lächelte Chery zum Abschied und drückte mich nochmal herzlich.
Ich hatte heute wieder im Kindergarten ausgeholfen, weil Chery unbedingt tatkräftige Unterstützung von mir anforderte und da ich eh Liam und Mia vermisste, hatte ich zu gestimmt.
"Mach' ich, bis dann!", rief ich über die Straße nochmals, da sie bereits zu ihrem Auto gelaufen war.
"Soll ich dich wirklich nicht mitnehmen?", fragte sie laut und legte den Kopf schief.
Kurz schaute ich mich um und dann nach oben in den Himmel. Er sag sehr grau aus und wirkte ziemlich dunkel, abgesehen davon, dass es aus Eimern schüttete und es kein Anzeichen gab, dass es jemals aufhören wird, zwang ich mich zu einem Lächeln.
"Nein, nein! Meine Mom kommt bestimmt gleich", entgegnete ich und winkte ab.
Nickend stieg Chery ein und fuhr kurze Zeit später davon. Traurig schaute ich ihr hinter her, da ich wusste, dass weder meine Mom, noch mein Dad oder Tyler hier aufkreuzen würde um mich abzuholen.
Seufzend setzte ich mir meine Kaputze auf und ging los. In kurzer Zeit durchnässte der hartnäckige Regen meine Klamotten, sodass ich mein Gesicht tiefer unter die Kaputze steckte.
Als ich den Wald erreichte und hinein ging, wurde es noch dunkler, als es eh schon war, was mich erschaudern ließ.
Allerdings sorgten die Bäume dafür, dass ich vor dem Regen etwas geschützt wurde.
Wenigstens eine positive Sache!
Schweigend lauschte ich den Tropfen, die auch den Boden fielen und auf die Blätter prasselten, und dem Knirschen von den kleinen Steinchen unter meinen Schuhen, was mir bei dieser Stille lauter vorkam als sonst.
Ich erreichte die Kreuzung, bei der der eigentliche Weg nach links führte, doch die kleine Abzweigung nach rechts sorgte bei mir für Neugierde.
Schon seit Wochen ging ich diesen Weg und immer wieder konnte ich mich nicht überwinden, anzubiegen - vermutlich weil ich es immer auf meinen strengen Zeitplan schob - aber heute hatte ich irgendwie doch den Mut dazu.
Kurz atmete ich tief ein, dann bog ich fest entschlossen nach rechts ab. Der Weg führte tiefer in den Wald rein, sodass es immer dunkler wurde, doch ich riss much zusammen und stapfte trotzdem weiter.
Vor mir tauchte plötzlich zwei riesige Felsen, die parallel zueinander standen, auf, zwischen dem ein kleiner Spalt tief in die Erde stand.
Sollte ich umdrehen?
Allerdings war ich schon so weit gekommen, da wollte ich auch noch tiefer in den Wald.
So gut, wie es ging hielt ich mich an den beiden Felsen fest und versuchte rüber zu hüpfen, da rutschte ich ab und schlürfte mich an meiner rechten Handinnenfläche auf.
Zischend sog ich dir Luft ein und betrachtet die tiefe Wunde, aus der immer mehr Blut floss.
So viel Glück, dass ich in meinem Leben besaß, hatte ich natürlich kein Erste-Hilfe-Set oder ähnliches dabei.
Ich setzte mich auf einen der nassen umgefallenen Baumstämme und kramte mit meiner gesunden Hand in meiner Tasche und suchte irgendetwas Brauchbares, womit ich die Wunde verbinden konnte.
Plötzlich bewegte sich etwas rechts von mir, sodass ich zusammen zuckte und mich umschaute. Erst jetzt bemerkte ich, trotz des Regens, den wunderschönen Ausblick, den man hier hatte. Ich sah einen See im Hintergrund und tatsächlich einen kleinen Wasserfall, die zusammen unglaublich schön wirkten.
Doch ich wurde aus meiner Staunerei gerissen, als sich wieder etwas hinter den Büschen dieses Mal links von mir bewegte.
Unruhig stand ich auf und sah mich erneut um, allerdings konnte ich nichts entdecken.
Irgendwie bekam ich ein ungutes Gefühl, was mich dazu brachte, meine Tasche über die Schulter zu ziehen und mich langsam nach hinten zu den Felsen zu bewegen.
Wieder raschelte etwas, dieses Mal von hinten.
Mein Herzschlag erhöhte sich und mein Atem ging schneller. Aus Angst.
Nochmal bewegte sich was, aber jetzt von links.
Meine Panik stieg nun unermässlich in die Höhe, was mich dazu brachte mein Schritttempo zu erhöhen.
Aber ich stieß mit meiner Schulter gegen ein Baum, wodurch meine Tasche von meiner Schulter fiel und versuchte so schnell wie möglich meinen Kram einzupacken. Im Augenwinkel bemerkte ich eine dunkle Gestalt und drehte mich langsam um.
Geschockt drückte ich mich an den Baum und atmete stoßweise ein und wieder aus.
Was vor mir war, war definitiv keine Person, sondern ein Tier. Groß, wirklich sehr groß.
Es war ein zwei Meter langer Wolf.
Gab es wirklich so große Tiere?
Naja, immerhin sah ich die Realität gerade vor mir.
Sein Fell war dunkel, fast schwarz, aber es sah sehr gepflegt aus, und die scharfen Krallen und gefährlichen Zähne waren auch nicht zu übersehen.
Das, was mich faszinierte, war nicht sein Maul oder das Fell, sondern seine Augen.
Bernsteingelb
- gefährlich und geheimnisvoll und doch sanft und lieblich.
Obwohl sie mich gerade böse anstarrten, konnte ich die Vertrautheit in ihnen sehen.
Oh, Gott! Was rede ich da?
Ich blinzelte wieder und schlug mir mit der linken Hand auf meine Stirn.
Vermutlich bin ich krank geworden ...
Der Wolf knurrte mich an, sodass ich mich weiter an den Baum drücke, obwohl ein kleiner Ast sich gerade in meinen Rücken bohrte.
Langsam schien er auf mich zu zu kommen, aber immernoch mit einem gefährlichen Zähnefletschen.
Ich schloss meine Augen, da ich nicht weinen wollte, obwohl sich bereits Tränen angesammelt hatten.
Meine Leben zog in einzelnen Bildern an mir vorbei, denn ich vermute gleich meinen schmerzhaften Tod.
Mein erstes Wort, mein erster Schritt, der erste Kindergarten- und Schultag, mein erster heftiger Streit mir Claire, meine erste Periode, meine erste Schwärmerei, mein erster Freund, mein erster Kuss.
Das war's, mehr hatte ich nicht erlebt! Ich war immerhin gerade erst einmal 17 Jahre, was sollte schon spannendes passiert sein?
Wieso war ich nur so dumm, und bin tiefer in den Wald gegangen?
Da, wo mein Tod erst Tag oder sogar Wochen später entdeckt werden würde.
Ich konnte meine Tränen nicht mehr aufhalten und so kullerten sie über meine Wange und vermischten sich mit dem Regen, der auf mein Gesicht prasselte.
Nochmal tief einatmen, dann wartete ich auf den Schmerz der scharfen Krallen oder der gefährlichen Zähne, die sich on meine Haut bohren werden.
Ich hielt meine Augen immernoch geschlossen, da die Angst, dem Wolf ein letztes Mal mit seinem mordlustigen Blick in die Augen zu blicken, zu groß war.
Da stand ich nun.
Im Angesicht zum Tod, und ich war noch nicht bereit zu gehen.
Aber ich musste, oder?

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt