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Warten ist noch nie einer meiner Stärken gewesen und so trommelte ich nervös mit meinen Fingern auf meinem Handy herum.
"Hi, sorry für die Verspätung, ich musste nochmal ins Sekretariat", seufzte meine neue Freundin und lächlte mich erschöpft an.
"Kein Problem, ich bin auch gerade erst rausgelassen worden", murmelte ich schnell und fuhr mir durch mein dunkelbraunes Haar.
Falsch - ich wartete hier bereits zehn Minuten und das, obwohl ich mich nicht mal beeilt hatte.
Schweigend gingen wir nebeneinander her und schauten uns nicht an. Ich tat mich eben einfach schwer mit neuen Menschen in meiner Umgebung, geschweige denn mit einer neuen Freundin.
"Also, wo wohnst du genau, Joe?", fragte ich schließlich in die Stille hinein.
"Die Straße hinunter und dann rechts", erzählte sie, während sie mit ihren Fingern den Weg zeigte.
"Und du?", fragte sie und sah mich mit ihren grünen Augen von der Seite an.
"Gleich kommen wir daran vorbei, siehst du? Das hier", erklärte ich und deutete mit meinem Finger auf das weiße Haus.
"Wir wohnen echt nicht so weit auseinander", stellte Joe fest und grinste.
"Weißt du, was das heißt?", stellte sie mir eine Frage und wackelte mit ihren Augenbrauen, sodass ich anfangen musste zu lachen.
"Ich sage nur zwei Wörter: spontane-" Sie hielt ihren Zeigefinger in die Höhe.
"Aktionen", dann hielt zusätzlich den Mittelfinger nach oben.
"Wow, du weißt, wirklich, wie man jede Situation ausnutzt", schmunzelte ich.
Keine Sekunde später befanden wir uns vor meiner Haustür und schauten uns beide lächelnd in die Augen.
"Dann bis morgen", flüsterte ich und wartete auf ihre Reaktion.
"Ja, bis morgen", strahlte sie mir entgegen.
Unsicher trat ich von einem Fuß auf den anderen unschlüssig, ob wir bereits bei dem Punkt waren uns zu umarmen.
Ich stellte gerade eine Pro- und Kontraliste dafür auf, als Joe einen Schritt nach vorne wagte und mich in eine herzliche Umarmung zog.
Zuerst schien ich überrascht, da ich wirklich nicht damit gerechnet hatte, dann legte ich ebenfalls meine Arme um ihren Oberkörper.
Wir lösten uns voneinander und gingen getrennte Wege, naja, sie ging weiter den Gehweg entlang, während ich die Tür aufschloss und in den Flur trat.
"Bin wieder da!", rief ich zur Begrüßung durch das Haus und zog mir derweil meine Schuhe und meine Jacke aus.
Ich lief weiter und sah zur meiner linken ins offene Wohnzimmer, wo sich mein Bruder offensichtlich nieder gelassen hatte und an seiner PS4 irgendein gewalttätiges Spiel spielte.
"Na, Bruderherz?", grinste ich und schmiss mich neben ihm auf die Coach.
"Was willst du?", fragte er seufzend, während seine Aufmerksamkeit dem Fernseher galt.
"Darf ich mich nicht mit meinem Bruder unterhalten?", lächelte ich unschuldig und piekte ihn in den Arm.
Prüfend hob er eine Augenbraue und sah kurz zu mir rüber, dann wendete er seinen Blick wieder dem Spiel zu.
"Wo sind Mom und Dad?", fragte ich und legte mich auf die Coach, sodass meine Füße auf meinen Oberschenkeln ruhten.
"Dad ist arbeiten, wie immer, und Mom ist, glaube ich, oben. Sie wollte mit dir irgendetwas bereden", murmelte er abwesend und schubste meine Füße runter, sodass ich seufzend aufstand und wieder in den Flur schlenderte.
"Sirina, bist du da, Liebes?", fragte eine weibliche Stimme mich von den oberen Stöcken aus.
"Ja, bin in der Küche", rief ich zurück und setzte mich auf einen Barhocker.
Ich hörte die schnellen Schritte meiner Mom und sah sie kurz danach vor mir stehend.
"Was gibt's?", fragte ich gelangweilt und stützte mein Kinn auf meiner Hand.
"Schätzchen, wir müssen reden", begann sie schließlich und sah mich eindringlich an, sodass ich mich aufrechter hinsetzte.
"Sirina bekommt Ärger", schrie Tyler aus dem Wohnzimmer und drehte sich tatsächlich zu uns um, um das Gespräch vermutlich besser verfolgen zu bekommen.
Kopfschüttelnd drehte sich meine Mutter für etwa zwei Sekunden um, sodass ich meinen Mittelfinger hob und ihn zu meinem Bruder streckte.
"Also, Sirina, ich weiß, du bist schon 17 und als ich in deinem Alter war, hatte ich schon einen festen Job", begann sie endlich mit der Sprache rauszurücken.
Unsicher nickte ich und sah meine Mom skeptisch an.
"Und deswegen wäre es an der Zeit, dass du einen kleinen Nebenjob machen solltest", lächelte sie mich sanft an.
Fast wäre ich von meinem Stuhl gefallen, so sehr hatte mich die Aussage erschreckt. Ich konnte ein herzliches Gelächter von meinem Bruder hören, sodass mich die Wut packte.
"Und was ist mit Tyler? Der musste so etwas auch nichts machen!", rief ich augeregt.
Gerechtigkeit muss sein, Bruderherz ...
"Sirina, Tyler hat im Moment ganz andere Probleme, aber du könntest dich doch mal engagieren", zwinkerte sie mir zu, während ich Tyler hinter ihr mit bösen Blicken durchbohrte.
"Aber ich hab' keine Zeit", sagte ich schnell und warf meine Hände in die Luft.
"Die hast du, Sirina. Du sitzt in deinem Zimmer stundenlang herum und wir wissen beide, dass du nicht die ganze Zeit lernst", hob sie eine Augenbraue und stemmte ihre Arme in die Hüfte.
"Aber ... ich-", wollte ich noch zurecht biegen, da ich einen Nebenjob wirklich nicht brauchte.
"Ich hab' mich schon etwas informiert und das hier gefunden", erzählte meine Mutter einfach weiter und hielt mit die Zeitung von gestern hin. Eine Anzeige wurde mit rotem Edding umkreist, sodass meine Augen automatisch das Angebot durchlasen.
"Im Kindergarten?", fragte ich ungläubig nach.
"Ja, sie brauchen immer neue Erzieher und ich kann mich noch genau erinnern, dass du früher so gerne mit Kindern gearbeitet hast", gab sie lächelnd an.
"Mom, da war ich 12", rollte ich mit meinen Augen und fuhr mir durch mein Haar.
"Ach paper-la-pap! Ich habe dort übrigens auch schon angerufen", verkündete sie stolz.
"Du hast was?", fragte ich zum zweiten mal ungläubig nach.
"Du kannst morgen gleich anfangen", strahlte sie mich an. "Du gehst nach der Schule einfach dorthin."
Danke, dass ich auch was dazu sagen kann!
"Sirina, komm' schon! Tu's für mich!", lächelte meine Mutter mich an.
"Bitte?"
Sie war echt verdammt gut.
"Schön! Ich werde mir das mal anschauen, bist du jetzt zufrieden?", gab ich mich geschlagen.
"Und wie! Mein Baby wird erwachsen", schniefte sie laut und zog mich in eine feste Umarmung.
Na, wenn das mal kein Spaß wird ...

PainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt