Missverständnisse

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Kapitel 9

Es war lange still zwischen ihnen. Sie wartete offenbar ob dieser Vortrag etwas bei ihm bewirkt hatte und er hätte nichts lieber getan, als sie dahingehend zu enttäuschen, doch das wäre eine Lüge gewesen. Er verstand sie gut, kannte das Bedürfnis nach Gerechtigkeit und den Drang, es einfach nicht auf sich beruhen lassen zu können. Und er hasste sich für das, was er gleich sagen würde.
Sie würde ja sowieso keine Ruhe geben. Der Fahrstuhl endete in der Tiefgarage und als er hinaustrat hob er ergeben die Hände.
„Fein", begann er und hatte allerdings nicht vor, sein Einverständnis nicht an Bedingungen zu knüpfen. Und wenn es nur dafür sorgte, ihr dieses optimistische Grinsen aus dem Gesicht zu kehren. Wie konnte jemand, der offensichtlich so missmutig und Feindselig war, gleichzeitig ein Optimist sein? Sollte das nicht ein Widerspruch in sich sein? „Aber...," begann er mit seinen Bedingungen, „Sie halten sich zurück und stehen niemanden im Weg, verstanden?"
Das Lächeln blieb und er fluchte wieder, als sie einfach nickte.
„Gut. Einsteigen!" Er deutete auf seinen schwarzen SUV, den er bereits seit Jahren fuhr und der definitiv seine besten Tage hinter sich hatte. Doch genauso mochte er es: Gewohnt, ruhig und nicht zu quirlig. Noch ein Grund, warum Selene ihm auf die Nerven ging.
Dieser Name. Selbst in seinem Kopf hörte er sich an als würde man ihm in einen sinnlichen Traum locken wollen.
„Sie wollen fahren?", fragte sie geradezu entsetzt und Ethan konnte es sich nicht verkneifen, an ihrer Stelle nun ein boshaftes Grinsen aufzusetzen und demonstrativ die Beifahrertür zu öffnen um in einer verhöhnenden Geste den Zuvorkommenden zu spielen. Sie bemerkte den Sarkasmus sofort und ihre Nase wackelte trotzig. Niedlich. Ein richtiges Rümpfen würde sie mit dieser Stupsnase wohl niemals hinbekommen. Eines Tages würde er ihr das auch Mal sagen und sie würde ihn dafür verfluchen.
„Wieso denn nicht? Angst, dass ich Sie entführen könnte?" Der Vorstellung erlag er tatsächlich für einen kurzen Augenblick und diese war genauso sexuell aufgeladen, wie es alle Vorstellungen mit ihr zu sein schienen.
„Sie haben ein Bier getrunken." Wieder verschränkte sie die Arme unter ihrer Brust, doch diesmal sah er rechtzeitig weg. Selbstgeißelung war noch nie ein Hobby von ihm gewesen.
„Ein halbes und selbst wenn ich zehn Bier getrunken habe, bin ich ein besserer Autofahrer als die meisten anderen." Sie verengte ihre Augen, ging hocherhobenen Hauptes an ihm vorbei und nahm neben dem Fahrersitz Platz. So erhaben, wie nur sie es zustande bringen konnte. Er schloss die Tür, ging zu Fahrerseite und setzte sich hinter das Steuer.
„Sie sind ziemlich überheblich, hat Ihnen das schon einmal jemand gesagt?", meinte sie mit einem zynischen Seitenblick. Wieder dieses Wackeln ...
„Und Sie sind ziemlich nervig, hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?" Sie prustete tatsächlich amüsiert, verkniff sich aber eine weitere Erwiderung. Und er konzentrierte sich auf die Fahrt zu seinem Büro. Zumindest die meiste Zeit.

Das Büro war, trotz des späten Abends, hell erleuchtet und als Ethan in das Großraumbüro kam, in dem sein Team normalerweise arbeitete, war er auch nicht überrascht seine Stellvertretende-Teamleiterin Lindsey Hall und Derek immer noch am Schreibtisch zu sehen. Wie immer wenn er lange am Computer arbeitete, trug Derek eine Lesebrille, die so weit auf der Nase saß, dass er nur mit einer leichten Kopfbewegung über den Rand blicken konnte und ihn damit immer an einen Großvater erinnerte. Genauso wie er es jetzt tat.
Im Gegensatz zu ihm schien Derek mehr als verwundert Ethan hier zu sehen – insbesondere mit weiblichem Besuch. Der alte Agent runzelte die Stirn und räusperte sich lautstark, um auch Lindsey auf ihren Chef aufmerksam zu machen. Nur widerwillig hob sie ihre dunklen, tief schwarzen Augen die selbst in ihrer Kaffeebrauen Haut wie schwarze Seen aussahen.
Sie blickte erst Ethan, dann die feingliedrige Gestalt neben ihm an und wie Derek blieb ihr Blick auf Selene, alias Alice, liegen. Lange. Zu lange um nicht unangenehm zu werden.
„Ist Croffort in seinem Büro?", fragte Ethan sofort und hatte nicht vor, seine beiden Partner mit Selene bekannt zu machen. Doch das galt ganz offensichtlich nicht für Selene selbst. Sie lächelte breit und dennoch etwas nervös und ging unverblümt auf die Beiden zu.
„Hi, ich bin Selene James, ich freue mich sehr euch endlich kennenzulernen." Meinte sie und streckte Derek die Hand hin, die der alte Mann, ganz alte Schule, umfasste und das Lächeln erwiderte.
„Hallo, Selene." Dereks Stimme traf sofort die richtige Aussprache, was in Ethan einen verheerenden Flächenbrand auslöste und ihn dazu antrieb, Derek die Zunge herausreißen zu wollen.
„Wieso ‚endlich'?", fuhr Lindsey weniger höflich dazwischen und ließ ihren kühlen, finsteren Blick langsam zwischen ihr und Ethan hin und her wandern. Selene geriet kurz ins Stolpern.
„Ähm, ich habe nur schon viel von euch gehört", versuchte sie ausweichend zu erklären und Ethan war kurz davor einzugreifen, als Derek sich blitzschnell erhob und sein Gesicht sich vor vermeintlicher Erkenntnis aufhellte.
„Oh. Ethan, du hast nicht erwähnt, dass du eine Freundin hast und eine so hübsche dazu." Selenes Gesichtsfarbe färbte sich leicht rot und einzig und allein das ausdruckslose Gesicht von Lindsey sorgte dafür, dass es wieder verschwand. Sie wirkte sofort betrübt.
„Bitte? Du und eine Freundin? Das ist doch ein schlechter Scherz. Wo hast du die her, aus dem Kindergarten?" Das waren die Worte, die Selene einen solchen mentalen Schlag versetzten, dass ihre Fröhlichkeit erstarb und sie sich emotional zurückzog. Verdammter Mist, Ethan hätte wissen müssen, dass Lindsey so reagieren würde.
Lindsey Hall war eine unglaublich fähige Agentin und eine gute Stellvertreterin soviel musste man ihr lassen, aber sie reagierte irrational eifersüchtig,wenn es um Ethan ging, seit sie vor drei Jahren ein einziges Mal zusammen im Bett gelandet waren. Keiner von ihnen hatte einen großen Wirbel darum gemacht und sie waren sich einig, dass der Job über so etwas stand.
Doch immer wenn sich eine schöne Frau in seiner Nähe befand, hinterließ sie solche Kommentare. Manchmal war es so schlimm, dass sie von Befragungen abgezogen werden musste. Doch in der Regel überging Ethan ihr Verhalten, weil ihm die Frauen, die sie an zickte, tatsächlich egal waren. Er machte seinen Job, nichts weiter. Es war albern, dass kurz der Wunsch in ihm aufkam Lindsey für ihre Worte zu erwürgen. Es war irrational und wenn ihn jemand gefragt hätte, hätte er es geleugnet.

Beta: Zitronenlimonade

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Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt