Michael Hirsch

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Kapitel 21

Wie schon damals in der Schule war er groß gewachsen, gut gebaut und so unfassbar gut aussehend, dass es sie nie verwundert hatte, warum die Mädchen hinter ihm her gewesen waren. Er war, wie es das Klischee verlangte, der Star des Footballteams ihres Jahrgangs gewesen und war eigentlich nur Polizist geworden, weil er das Sportstipendium nicht erhalten hatte. Aber, verdammt wollte sie sein, dafür machte er in dieser Uniform eine verdammt gute Figur. Er sah fantastisch aus. Der harte Zug um seine Lippen stand ihm hervorragend und sagte ihr deutlich, dass sie längst nicht mehr einen Jungen vor sich hatte.
Seine blonden, leicht welligen Haare hatte er sich schon vor einigen Jahren militärisch kurz geschoren, was bei den Mädchen in NewHollow für eine kleine Trauerphase gesorgt hatte und trotz seiner Attraktivität, hatte er definitiv eine autoritäre Ausstrahlung.
„Pee, ich dachte ich hätte mich klar ausgedrückt, dass wir aus dem Fall raus sind und das einem anderen Büro übergeben werden", meinte Michael ungerührt. Doch der ältere Polizist runzelte nur zornig die Stirn.
„Auf ihrer verdammten Veranda lag eine Kinderleiche. Sie muss verhaftet werden, sie muss..."
„Sie muss gar nichts und wenn Sie den Schnellbericht der Spurensicherung gelesen hätten, wie es ihr Job gewesen wäre, wüsten Sie das auch. Der Junge wurde dort abgelegt und aus offensichtlichen Gründen würde wohl kein Mörder sich die Mühe machen einen Jungen an anderer Stelle zu töten, um ihn dann bei sich selbst auf die Veranda zu legen. Henry, ein Kollege, ist verschwunden und damit sind wir diskreditiert. Wir übergeben den Fall dem FBI, so wie es Gesetz ist und wenn das FBI Unterstützung von den örtlichen Behörden benötigt, werden sie sich an die Nachbargemeinde wenden."
Das brachte das Fass bei Pee zum Überkochen.
„DAS KANNST DU NICHT ERNST MEINEN!", brüllte Pee und deutete wieder auf Selene, die erst jetzt merkte, dass sie als Einzige noch auf der Treppe stand. Die Männer waren zu Lindsey gegangen allen voran Ethan, der aber wie Lindsey Zurückhaltung übte. Aber Michael benötigte auch keinerlei Unterstützung, offenbar kam er mit den Respektlosigkeiten seiner Kollegen sehr gut zurecht, denn noch bevor Pee wieder etwas sagen konnte, fuhr Michael gleichmütig fort. Wie ein Vater, der mit einem ungezogenen Kind sprach. Ruhig, unbewegt und dennoch mit Nachdruck.
„Vorsicht, Debuty Pee. Alles was Sie nun sagen kann dazu führen, dass ich diesen Fall der Dienstaufsicht melde und Sie ihre Marke schneller verlieren als Sie >>Selene James ist schuld << sagen können und ich weiß, wie viel Erfahrung sie mit diesem Satz bereits haben. Man könnte meinen, dass Sie keinen Anderen kennen. Verschwinden Sie sofort und das war, zu Ihrer Information, ein direkter Befehl."
Douglas Pee war eines der größten Arschlöcher von NewHollow, aber der Kerl wusste, wann er verloren hatte. Zwar blieb er noch einige Sekunden länger als seine Kameraden und starrte Michael bitterböse an, aber letztendlich stieg auch er in den Wagen und fuhr von dem Gelände des Flugplatzes.
Michael Hirsch, der aktuelle Sheriff von NewHollow, kam auf Lindsey und die anderen Männern zu, gab ihnen freundlich die Hand und stellte sich vor.
„Ich bin Michael Hirsch. Es tut mir leid, dass meine Kollegen Sie belästigt haben. Wir werden uns selbstverständlich aus dem Fall heraushalten."
„Sie haben die Leiche also gefunden?", fragte Derek, wieder ganz Profi und überging das Szenario von gerade einfach. Was auch besser so war. Michael sah kurz zu Selene herauf, seine Augen hatten ein wässriges blau und Selene war sich sicher ihn nie so schwergängig gesehen zu haben, ganz so als würde ihn die Situation mitnehmen. Er nickte und schluckte hart.
„Als wir vom Gouverneur die Anweisung bekommen haben den Vermisstenfall abzugeben hat mich das misstrauisch gemacht, also haben ich und ein paar Kollegen die Stadt durchsucht."
„Und natürlich habt ihr bei mir als Erstes gesucht", brach es bitter aus Selene heraus. Sie zwängte sich an Ethan vorbei, dessen Finger sich um ihr Handgelenk schlossen als befürchtete er, sie würde gleich auf Michael losgehen. Doch dieser sah sie ehrlich verwirrt an.
„Nein, verflucht nochmal Selene! Das solltest du besser wissen. Wir haben versucht Henry zu erreichen. Er ist der Sheriff und sollte wissen, wenn etwas in seiner Stadt vor sich geht. Wir fanden weder ihn noch Marie oder die Kinder. Wir haben ihn gesucht, natürlich auch bei dir. Jeder wusste, dass du für seine Tochter diese Salbe herstellst und dass ihr befreundet seid. Du warst nicht da oder hast mich ignoriert, was mich nicht verwundert hat. Ich bin erst einen Tag später auf die Idee gekommen um dein Haus herumzugehen und hab Karl gefunden. Ich hätte übriges fast eine Vermisstenanzeige deinetwegen aufgegeben, weil du plötzlich verschwunden warst. Dann kam die Bordliste bei uns an"
Plötzlich hatte Selene ein schlechtes Gewissen. Er klang ehrlich bei seiner Erklärung und seinen Absichten. Wieder etwas mit dem sie nicht gerechnet hatte. Henry hatte ihr zwar immer beteuert, dass er ein anständiger Mann war, aber aufgrund ihrer Erfahrungen mit ihm in der Highschool hatte sie ihm das nie wirklich abgekauft. Doch sie musste Henry Recht geben. Michael war erwachsen geworden und jetzt, wo sie nach so vielen Jahren auch mal wieder ein Wort mit ihm wechselte – sie hatte ihn in der Tat immer ignoriert – fiel es ihr auch auf.
„Tut mir leid, dass ich einfach gegangen bin. Ich bin in Panik geraten", entfuhr es ihr plötzlich und es tat ihr tatsächlich leid. Die Zeiten des alten Shawn Pee waren vorbei und es gab anscheinend tatsächlich wieder anständige Polizisten in NewHollow. Leute, die sie übergangen hatte, indem sie einfach wegrannte. Er schien wirklich gedacht zu haben, ihr sei ebenfalls etwas passiert, aber wenn man sie nicht direkt verdächtigte, musste es sehr beunruhigend gewirkt haben eine Leiche auf ihrer Veranda vorzufinden und das Haus verwaist.
Sie wusste nicht warum, aber für einen merkwürdigen Augenblick wollte Michael die Hand heben, um sie zu berühren und sie hätte es wohl auch zugelassen, wenn da nicht plötzlich Ethan an ihr herumgezogen hätten und sie so heftig zurückstolperte, dass sie gegen seine Brust stieß.
„Tja, sie ist nicht verloren gegangen, sie hat einfach nur Ihrer Behörde misstraut und nun sind wir da und kümmern uns um alles. Wenn ich sie Recht verstanden habe, Debuty Hirsch, halten Sie sich aus diesem Fall heraus, warum gehen Sie also nicht nach Hause und überlassen uns den Rest?" fragte Ethan bitter und legte besitzergreifend einen Arm auf Selenes Hüfte, was Michael nicht entging. Er schien etwas verwirrt, dann blitzte etwas in dem wässrigen blau auf und er sah zu Agent McAlan auf. Selene hätte schwören können, dass die Luft um sie herum schneidend wurde.
„Sicherlich, Agent. Die Unterlagen finden Sie im Büro, die Wagen sind vor dem Flugplatzgebäude. Da Sie ja jetzt viel zu tun haben, fahre ich mit Miss James nach..."
„Sie geht nicht mit Ihnen mit", unterbrach Ethan ihn. Selenes Herz schlug ihr bis zum Hals, als eine merkwürdige Stille eintrat, in der sich die beiden Männer gegenüberstanden und einfach nur ansahen. Es war dieses typische Macht Gehabe, dass Männer dazu veranlasste die Fäuste zu heben und sich gegenseitig das Hirn aus dem Kopf zu schlagen.
Selene war nicht bescheuert. Sie wusste sehr wohl, dass es hier nicht nur um Revier Streitigkeiten ging, es ging um sie. Sie wusste nicht warum, aber die Tatsache, dass Michael sich als eigentlich anständiger Kerl herausgestellt hatte, gab Ethan das Gefühl sie könnte sich zu ihm hingezogen fühlen und er reagierte so wie auch schon zuvor bei Henry. Eifersucht. Unkontrollierbar und absolut irrational. Fast so, als hätte Ethan einen Anspruch darauf.

 Fast so, als hätte Ethan einen Anspruch darauf

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