Kehrtwende

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 Kapitel 39

Ethan war in seinen Leben niemals von einer Frau in irgendeiner Art und Weise geblendet gewesen. Und schon gar nicht hatte es eine von ihnen fertiggebracht ihn so wütend zu machen, dass er kurz davor war die Beherrschung zu verlieren. Als junger Mann hatte er sich dank seiner jähzornigen Art immer mal wieder in körperlichen Konflikten wiedergefunden, aber nie mit einer Frau. Sein Beschützerinstinkt war zu weit ausgeprägt und sein Interesse an Frauen zu oberflächlich gewesen. Aber Selene... tja, diese Frau ging ihm unter die Haut und als er seine Zimmertür hinter sich ins Schloss knallen ließ und mit geballten Fäusten wie ein Tiger im Raum auf und abging, wusste er, dass sich rein gar nichts geändert hatte.
Sein Puls raste, das Adrenalin pumpte durch seine Muskeln und der Schmerz des Verrates war so tief in seinem Herzen vorgedrungen, dass er befürchtete diese Wunde nie wieder schließen können. Dabei kannte er sie kaum. Es war verrückt, von Anfang an war es vollkommen irrational gewesen und doch hatte etwas in ihm es einfach hingenommen. Doch es war nicht echt.
Er wusste immer noch nicht, warum er ihr glaubte. Aber er tat es. Jedes beschissene Wort was sie von Vorhersagen und Fähigkeiten gesagt hatte klang so plausibel, passte so gut in dieses Rätsel, dass es einfach stimmen musste. Dennoch wünschte er sich, es wäre eine Lüge. Denn wenn sie alles das nicht konnte, sich diese Fähigkeiten nur einbildete, dann hätte sie auch keine Macht über ihn.

Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich benutzt und unsicher. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf lachte ihn schallend aus, weil er so dumm gewesen war auf dieses hübsche Gesicht hereinzufallen und schrie ihn an, dass es doch klar war, dass sie eine Hexe sein musste. Sie war zu perfekt, die Gefühle die sie in ihm auslöste zu intensiv und die Art und Weise wie sie Hilfe suchend zu ihm aufblickte zu schmeichelhaft. Ein bittersüßer Kuchen, mit zu viel von allem was er liebte. Es war doch klar gewesen, dass er auf einen giftigen Kern treffen würde, wenn er hinein biss.
Er lief weiter auf und ab, versuchte seine Atmung zu kontrollieren und nachdem die Wut langsam abgeklungen war, sah er wieder Selenes Gesicht vor sich. Obwohl er wusste, dass alles nur gelogen war, das nichts davon echt sein konnte, zog es ihn immer noch zu ihr hin. Kraftvoll, als würde er einer Zwangsstörung unterliegen.
Es änderte nichts.
Er wollte zu ihr gehen, bei ihr sein und sie in seine Arme ziehen er wollte...
Ethan schrie, raufte sich die Haare und wünschte sich plötzlich auf etwas einschlagen zu können. Scheiße, obwohl sein Kopf sich dieses Betrugs bewusst war, änderte es rein gar nichts. Und das war alleine ihre Schuld! Wäre sie nicht hier, würde er das nicht empfinden, dann wäre er derselbe frauenverschleißender Bastard wie noch vor einigen Monaten.
Aus Reflex griff er in seine Hosentasche und wollte sein Diensthandy herausziehen um sich mit Arbeit abzulenken,. Doch er griff ins Leere. Natürlich. Sein Handy lag noch immer bei Selene... bei der Hexe, die ihm Gefühle Aufzwang die er loswerden wollte und konnte. Aber vielleicht konnte er sie dazu zwingen diesen Zwang von ihm zu nehmen. Mit frischer Wut und einer unendlichen Entschlossenheit im Herzen riss er seine Tür auf und hämmerte gegen die ihre.
Es dauerte lange bis er zögerliche, leichte Schritte vernahm und Selene die Tür ein Spalt weit öffnete. Da war es wieder. Diese Anziehung wenn er sie nach einer Weile wieder erblickte. Er knurrte wütend über diese Verbindung zu dieser Frau und ballte erneut die Fäuste.

„Mein Telefon!", forderte er mit einer dunklen und harschen Art, die sie zusammen zucken ließ und dafür sorgte, dass sie getroffen den Blick senkte. Gott, sie war süß. So verletzlich, so sehr darauf angewiesen, dass jemand sich um sie kümmerte. Sein Instinkt sprang an und er musste seine kurzen Nägel in die Handflächen bohren um nicht nach ihr zu greifen. Mit hastigen Schritten eilte sie zu dem Bett, nahm sich das Gerät und huschte wieder zurück. Er riss es ihr förmlich aus der Hand, aber das war noch nicht alles, was er wollte.
„Mach das es aufhört!", befahl er harsch. Die Anziehung mochte sich für ihn nicht geändert haben aber das bedeutete nicht, dass sie das wissen sollte. Dennoch musste es enden. JETZT. Am besten war es, sie in den Glauben zu lassen, ihr kleiner Zaubertrick würde, nun da er davon wüsste, einfach nicht mehr klappen und es würde sich nur noch um einen unangenehmen Juckreitz handeln. Umso deutlicher er seine Abneigung zeigte, umso besser würde dieses Schauspiel sein. Selene sah kurz zu ihm auf und senkte dann betroffen wieder den Blick bevor sie ein leises:
„Das geht nicht so einfach", murmelte. Ethan gab ein herablassendes Schnauben von sich, bevor er sich bedrohlich zu ihr herab beugte. Selene sah aus wie ein Hund der die Ohrenanlegte und sich jeden Moment auf den Boden legte um ihm unterwürfig den Bauch zu präsentieren.
„Du hast es angefangen also kannst du es auch beenden!", blaffte er sie an. Und sie machte zwei Schritte zurück. Er folgte ihr , sorgte dafür, dass sie sich weiterhin von ihm bedroht fühlte. Wieder setzte sie zu einer kleinlauten Antwort an.
„Ich habe da keinen Einfluss drauf. Der einzige Weg, dass es aufhört ist..."
„Ja?", unterbrach er sie laut. Die Tür trat er hinter sich ins Schloss, während Selene versuchte so viel Raum wie möglich zwischen ihn und sich zu bekommen. Die Hexe hatte Angst? Gut. Denn er war wirklich kurz davor ihr den Hals umzudrehen, weil sie versuchte ihn zu verarschen. Er musste ihr zeigen wie sehr er sie wollte, sie hasste und wie sinnlos diese Hexerei war.
„Vielleicht geht es von alleine irgendwann weg, wenn wir uns voneinander fernhalten und..."
„SAG ES MIR!", schrie er nun und Selene sah ihn mit tränenverschleiertem Blick entgegen. Gott, sie war so schön. Selbst jetzt, mit geschwollenen Augen und nassen Wangen war sie einfach nur bezaubernd.
„Ein Kind", brachte sie mit einer fast festen Stimme hervor und für einige Sekunden war es so still zwischen ihnen, dass er seinen Atem hören konnte und das leichte nachbeben in ihrer Stimme. Sie war kurz davor erneut in Tränen auszubrechen, wahrscheinlich weil sie ahnte mit ihrem Plan gescheitert zu sein.
„Was?"
„Es ist eine Art Instinkt, es zwingt uns zueinander damit die Gene herhalten bleiben. Er nimmt ab, sobald er seinen Zweck erfüllt hat." Er horchte in sich hinein und überprüfte diesen Drang zu ihr zu gehen und sie in Besitz zu nehmen. Instinkt. Das Wort war passend, denn es schien ebenso tief in ihm verwurzelt wie jeder andere seiner Charakterzüge.
„Willst du mich verarschen? Was ist das? Ein weiterer Versuch, dich mir aufzuzwingen? Um mich an dich zu binden?"
Wenn sie ihn dazu bringen wollte sie zu vögeln und zu schwängern, würde er wirklich an die Decke gehen!
„ALS HÄTTE DAS JE FUNKTIONIERT!", schrie sie plötzlich wütend zurück. Die Tränen in ihren Augen schwammen immer noch nahe an ihrer Oberfläche, aber anscheinend hatte sie genug davon sich von ihm anblaffen zu lassen. Auch gut. Ein Streit war genau das, was er jetzt brauchte!
„Glaubst du ernsthaft ich bin so blöd, mit Absicht schwanger zu werden um alleine mit einem Kind zurückzubleiben, dass dieselbe Hölle durchmachen wird wie ich? Mein Vater hat sich umgebracht, als meine Mutter nach meiner Geburt einfach ging und einen anderen heiratete. Als sie merkte, was für ein Monster sie zur Welt gebracht hat, hat sie mich dann einfach bei meiner Großmutter abgeschoben, nach meinen Vater hat sie nicht einmal gefragt. Meine Großmutter hatte mit diesem grandiosen Plan auch wenig Erfolg. Der Typ hat geschworen seine Frau zu verlassen um mit ihr zusammen sein zu können, doch kaum war sie schwanger, verschwand seine Motivation und sie hat ihn nie wieder gesehen. Nein, Ethan ich glaube nicht das irgendetwas verhindern könnte, das du mich wieder verlässt. Nichts kann das. Ich sehe dich seit meinem sechzehnten Lebensjahr in meinen Träumen und hatte nie vor auch nur in deine Nähe zu kommen. Ich hab es satt verletzt zu werden."
Erklärte sie, doch Ethan wusste nicht, warum er sich diese Geschichte überhaupt anhörte. Ja, es war tragisch. Sofern es überhaupt stimmte, was sie sagte und dennoch wollte er schlicht und ergreifend nicht verständnisvoll sein. Doch da wurde Selenes Stimme brüchig und ihre nächsten Worte so angefühlt mit Trauer, dass es ihm das Herz zerfetzte.
„Ich gebe zu, ich war kurz so naiv zu glauben es könnte echt sein. Ich wollte daran glauben. Ich wollte... es tut mir leid."
Als würde das ausreichen, als würde es etwas ändern!
„Wenn du glaubst ich hätte Mitleid mit dir dann...", begann Ethan, aber Selene schüttelte den Kopf.
„Glaube ich nicht. Ich weiß, dass du keines hast. Geh einfach, wenn der Abstand groß genug ist wird es zumindest für dich irgendwann aufhören." Kurz war er sprachlos. Sie schickte ihn weg? Sie? Ihn? Nicht umgekehrt? Was ist das? Umgedrehte Psychologie? Ein Trick? Und was sollte das heißen „zumindest für dich"?
„Ach? Bei dir etwa nicht?"
„Großmutter sagte Dad, dass er sterben würde, wenn er zur Armee ging. Er wusste, dass sie recht hatte aber er sah sie in seinen Träumen. Immer und immer wieder, da hatte meine Mutter schon längst seinen Namen vergessen. Also nein. Wahrscheinlich wird es nicht aufhören, also geh endlich!"
Ethan sah sie lange an, sah die Wahrheit und hatte dann doch Mitleid. Wenn sie keinen Einfluss darauf hatte, dann würde sie weiter leiden, während er einfach weiter machen konnte, als hätte sie nicht existiert. Sie würde alleine bleiben, sie würde. ...
Stopp!
Auch dann konnte alles nur ein Trick sein. Ein Lügengebilde, das sie so glaubhaft rüber brachte, dass es ihn berühren musste. Es war egal. Es musste ihm egal sein gerade weil alles in ihm schmerzte, wenn er an Selene dachte.
Und wenn sie die Wahrheit sagte? Wenn sie genauso ein Opfer dieses Instinktes war wie er selbst und eigentlich noch viel mehr darunter zu leiden hatte? Was ist, wenn sie es ihm verschwiegen hatte weil sie sich selbst schützen wollte? Sein Verstand ging die Möglichkeiten durch, fand Dinge, die dafür und dagegen sprachen, bis seine Wut langsam verrauchte und nichts als schwere in seiner Seele zurückblieb.

Beta: Mrs Geany

Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt