Aberglaube

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Kapitel 33
Ethan beugte sich über den Tisch und griff nach dem Bericht um ihn kurz durchzublättern. Selene lehnte sich zu ihm um ebenfalls einen Blick hineinzuwerfen, während dessen fing Bobby an zu sprechen.
„Nichts, was uns wirklich weiter hilft bis jetzt. Wie im Schnellbericht wird noch einmal bestätigt, dass der Junge auf der Terrasse nur abgelegt wurde. Man hat eine ganze Menge Erde und Blätter gefunden, auf den ersten Blick nichts was einen möglichen Tatort eingrenzen würde. Er ist irgendwo im Wald ermordet worden und das sind tausende von Hektar. Die Forensik braucht noch eine Weile um die Erde auseinander zu nehmen und das genauer zu untersuchen. Das einzige was auffällig war, war der Samen einer Pflanze die nicht in der Region heimisch ist." Bobby zog ein Blatt aus der Akte, die Ethan in der Hand hielt und las vor.
„Luna umbra Herba ein..."
„Mondschattenkraut. Es wächst bei mir im Garten", fuhr Selene dazwischen. Bobby hielt inne und sah enttäuscht aus.
„Oh, dann ist es eine Spur vom Ablageort, nicht vom Tatort. Schade, hätten wir einen möglichen Ort gefunden, wo das Kraut wächst, hätte das eine Bestätigung sein können." Selene streckte die Hand aus und Bobby reichte ihr den Bericht dieser Pflanze, während Ethan weiter durchblätterte und leider auch nichts fand. Dieses Kraut hätte einen guten Hinweis liefern können aber leider ...
„Es sind tatsächlich die Samen", sagte Selene und runzelte die Stirn. Lindsey wagte ebenfalls einen Blick auf den Zettel.
„Und?"
„Ich dachte, es wäre vielleicht ein Fehler. Es ist ungewöhnlich."
„Inwiefern?" mischte sich zum ersten Mal auch Derek ein und Ethan sah, wie Selene ihm ein kurzes Lächeln schenkte bevor sie antwortete.
„Man kann aus den Wurzeln einen Sud kochen, der gegen Fieber hilft, allerdings nur, wenn das Kraut noch nicht geblüht hat und damit auch keine Samen ausbildet. Man kappt also die Knospen noch bevor sie den Wurzeln kraft rauben." Erklärte sie und wieder kam Ethan das Wort „Hexe" in den Sinn. Kein Wunder, dass diese christlichen geprägten Leute, in NewHollow, ihr gegenüber ein gewisses Misstrauen hegten. Sie war tatsächlich eine Kräuterhexe und ihm wurde klar, dass er sich wohl eine neue Wohnung würde suchen müssen. Eine mit Balkon oder so, wo sie ihre Pflanzen anbauen konnte und... er stockte kurz und wunderte sich über seine eigenen Gedanken. Er hatte gerade darüber nachgedacht, was es bräuchte wenn Selene bei ihm lebte. Der Gedanke war erschreckend und doch irgendwie...logisch. Ganz natürlich, als würde daran überhaupt kein Zweifel bestehen.
„Und du scheidest deine Pflanzen?", fragte Derek. Selene nickte.
„Das letzte Mal im September. Damit die Wurzeln Saft haben bevor die Fiebersaison anfängt."
„Ist noch jemand in der Nähe heilkundig oder könnte wer anders diese Pflanze noch angebaut haben?", fragte Lindsey nicht nur an Selene, sondern auch an Michael gewandt. Michael aber zuckte nur unwissend mit den Schultern.

„Nach meinem Wissen wächst das Kraut nur bei mir und in einem alten, verwilderten Garten bei den Ruinen der alten Siedlung. Dort hab ich die Pflanzen ursprünglich her geholt, als ich den Garten anlegte."
Erklärte sie und Ethan betrachtete sie eindringlich.
„Wo ist diese Siedlung?"
„Sie meint die Ruinen von Hollow und wenn Sie dahingehen wird keiner meiner Leute der Spurensicherung Ihnen folgen!", erwidert Michael Hirsch eindringlich. Ethan wollte gerade nachhaken, aber da verdrehte Selene schon die Augen und stöhnte genervt.
„Oh, ich bitte dich. Das sind nur Ruinen. Der Ort ist weder verflucht noch heimgesucht", wandte sie ein, doch Michael ließ sich nicht davon abbringen.
„Deine Großmutter selbst war es, die nicht müde wurde jedem Kind zu sagen, dass es dort nicht spielen sollte!"
„Ja. Weil es Ruinen sind. Das bedeutet: überwucherte Steine, die man nicht sieht und über die man stolpern kann, morsches Holz und alte Keller die dir jeden Moment den Boden unter den Füßen wegreißen. Abgesehen von der kaum noch vorhandenen Brücke die du überqueren musst, wenn du nicht durch den Fluss waten möchtest. Es ist gefährlich, aber nicht, weil da die Toten von Hollow wohnen. Es ist tragisch was da passiert ist, das ist alles. Aber in einem Punkt hast du wohl recht: Niemand wagt sich da hin, was bedeutet, dass man da vollkommen ungestört wäre, wenn man dort ein Kind in seine Einzelteile zerlegen möchte!"Ethan griff unter dem Tisch nach Selenes Hand, weil sie spüren sollte, dass er auf ihrer Seite stand. Immer. Und gerade in diesem Fall war das nicht besonders schwer, denn er glaubte nicht das Hinterwäldlergerede über spukende Plätze und verfluchte Ruinen. Selene hatte recht. Natürlich war es gefährlich sich dort als Kind herumzutreiben, aber nicht, weil dort Geister lebten.
„Debuty Hirsch, ich hoffe doch sehr, dass Sie die Spurensicherung, die unter der Aufsicht dieses Sheriffbüros steht, dazu bringen können ihren Job zu machen und sich einen möglichen Tatort anzusehen."
Was ihm verwunderte war die Entschlossenheit, mit der Michael Hirsch in ansah. Ganz so als würde der leise, unterschwellige Vorwurf, er könnte seiner Position nicht gerecht werden, ihn nicht kümmern. Das schien es tatsächlich nicht.
„Agent McAllan, ich weiß, dass Sie diese Stadt für zurückgeblieben halten. Und vielleicht haben sie damit in vielen Punkten auch recht. Aber an diesem Ort stimmt etwas nicht und ich verspreche Ihnen, das werden Sie auch selbst fühlen. Denn egal wie Rational Sie an manche Dinge auch ran gehen, es gibt Dinge die Sie sich nie erklären werden können, weil Sie ihre Augen davor verschließen. Aber um das ganze abzukürzen: Sie werden ihren Job machen, aber nach Einbruch der Nacht, sind die Leute von dort weg. Sie wissen schon: Stolpergefahr." Entfuhr es ihm ernst und am Ende einem Hauch zu zynisch. Er verließ den Raum, den sie sich zum ungestörten Essen und fachsimpeln ausgewählt hatten. Die Kantine war der denkbar schlechteste Ort um einen laufenden Mordfall zu besprechen. Aber Ethan konnte nicht umhin ihn dafür eine Spur Anerkennung zu zollen. Auch wenn es verrückt war an Geister zu glauben. Lindsey warf Ethan einen undefinierbaren Blick zu, bevor sie versuchte die Dinge wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
„Okay. Kannst du uns sagen, wo genau diese Stelle ist?", fragte Lindsey an Selene gewandt, die immer noch wie verbissen auf die Tür starrte. Sie nahm ihren Blick auch nicht fort, als sie antwortete: „Natürlich. Der Weg dahin führt über mein Grundstück."
„Dann haben wir einige Dinge zu tun", sagte Derek und erhob sich ebenfalls. Er stieß gegen Bobbys Brust, der sich ebenfalls erhob, sich kurz verabschiedete und damit Lindsey nun völlig das Gefühl gab das fünfte Rad am Wagen zu sein. Also räusperte sie sich.
„Danke fürs Essen, Boss. Ich schaue mal, ob ich unseren jungen Debuty wieder in die richtige Bahnen lenken kann und versuche ein Trupp zusammenzustellen." Und damit ging auch sie, allerdings nicht ohne Ethan wieder diesen merkwürdigen Blick zuzuwerfen, den er diesmal wirklich nicht interpretieren konnte.
Selene schien eine ganze Weile nicht zu bemerken, dass sie alleine waren. Erst als Ethan ihr eine Hand in den Nacken schob und sanft ihren Halswirbel drückte, schien sie aus ihren Gedanken wiederzuerwachen. Ihre großen grünen Augen starrten ihn an und wieder hatte Ethan das Gefühl, das einfach mehr dahinter steckte, als sie ihm zeigte. Hinter allem.
„Irgendetwas beunruhigt dich", sagte er und unter seinem strengen Blick konnte sie nichts anderes tun, als zu nicken.
„Was ist los?", fragte er und fuhr mit dem Daumen über ihre Haut. Selene holte tief Luft und zwang sich zu einem Lächeln.
„Ich war naiv, das ist alles. Ich weiß natürlich, dass es von Anfang an Blödsinn war. Aber ich habe irgendwie gedacht, dass der Täter nicht von hier stammt. Aber wenn er tatsächlich die Ruinen wählte um Karl zu ermorden, warum auch immer, dann wusste er um die alten Legenden und die Furcht der Bewohner." Und sie sagte die Wahrheit, das sah er, aber es war wieder nicht alles. Nur eine ihrer Halbwahrheiten. Sie log nicht, sie verschwieg nur etwas und Ethan musste ihr klar machen, dass sie damit nur durchkam, weil er sie ließ.
Der Griff in ihren Nacken verstärkte sich, während er ihr Gesicht nahe an seines Zog und ihr tief in die Augen sah. Geheimnisse. Überall. Aber niemals zwischen ihnen, das schwor er sich.
„Ich weiß, dass da noch mehr ist Selene. Ich weiß es und Lindsey weiß es. Du glaubst du kannst es vor uns verstecken, aber das Einzige was du erreichen kannst, ist das Lindsey sich zufriedengibt und dich in Ruhe lässt."„Und was muss ich dafür tun?", fragte Selene mit einem sarkastischen Unterton. Sie kannte die Antwort und wollte am liebsten etwas anderes hören, aber das würde nicht passieren.
„Es mir sagen." Sie lächelte und schüttelte dann den Kopf.
„Ich wünschte, ich könnte es", hauchte sie ihre Antwort in der ehrliches Bedauern mitschwang. Diesmal war es keine Halbwahrheit.  

Beta: Zitronenlimo

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Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt