gefundene Seelen

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Kapitel 40


Als hätte man ihm einen Stein an den Fuß gebunden und ihn ins Wasser geschmissen, so fühlte es sich an, als ihre Worte langsam in seinen Kopf gedrungen waren. Sie wollte dass er ging. Dass er verschwand und sie alleine ließ. So allein wie sie bereits ihr gesamtes Leben gewesen war. Allerdings war er schon immer ein Mann gewesen, der immer genau das Gegenteil von dem tat was man ihm sagte. Also blieb er. Gefangen in seiner Sturheit und verzweifelt, weil er nicht wusste was er tun sollte.
Selene stand vor ihm, eine Mischung aus Angst, Trauer und Wut zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.
„Geh, Ethan!" hauchte sie ihm verzweifelt entgegen und er wurde wieder wütend. Es war irrational, schließlich war er hier um von ihr loszukommen und wurde wieder wütend, weil sie ihn fort schickte.
„Ethan, bitte. Ich kann das nicht!", flehte sie und begann zu weinen. Schnell versuchte sie sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, aber es kamen immer wieder neue nach und ihre Hände begannen zu zittern.
Ohne sich auch nur zu rühren, drückte Ethan auf eine der Kurzwahltasten seines Handys und hielt sich das Gerät ans Ohr. Selene, die den Kopf gesenkt hatte, damit er von ihren Tränen nichts sah, blickte wieder zu ihm hoch und runzelte fragend die Stirn.
„Dean? Überprüfe bitte Selenes Vergangenheit, insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Mutter!", forderte Ethan knapp als sein Computergenie das Gespräch annahm. Es kam keine Antwort, er hörte nur, wie die Finger des Mannes am anderen Ende der Leitung über die Tastatur schwebten.
Selenes Gesicht wurde rot vor Zorn und für einige Sekunden dachte Ethan ehrlich, dass sie ihn schlagen würde.
„Du glaubst, dass ich lüge? Ist das dein Ernst?", fragte Selene noch wütender. Er konnte nichts dagegen tun, dass er es unglaublich niedlich fand, wie sie ihn anfauchte und während Ethan mit eingefrorener Miene auf Deans Erläuterung wartete, schienen Selenes schöne Augen Feuer zu fangen. Er hatte es immer für ein Klischee gehalten, dass rothaarige Frauen temperamentvoller waren als andere, musste aber zugeben, dass er dieses Vorurteil immer wieder bestätigt sah. Er liebte feurige Frauen und für Rothaarige hatte er ebenfalls eine Schwäche, kein Wunder also, dass er plötzlich den Wunsch verspürte sie an sich zu ziehen und...
„Ihre Mutter ist Karina Lagarotti, sie war nur kurz mit ihrem Vater verheiratet. Fast genau zu der Geburt ihrer Tochter am zwölften August verließ sie ihren Ehemann und heiratete nur wenige Wochen nach der offiziellen Scheidung noch einmal. Hannah James bekam Selenes Vormundschaft als diese vier war."
Ethan erstarrte. Nicht, weil er von Dean die Bestätigung von Selenes Behauptungen bekam, sondern wegen etwas anderem.
Der zwölfte August...
„Sie ist am zwölften August geboren?", fragte Ethan noch einmal und versuchte ruhig zu bleiben, sich nichts anmerken zu lassen. Dean gab einen zustimmenden Laut von sich und Ethan klappte das Telefon zu, ohne Selenes Blick loszulassen und ohne sich von seinem Mitarbeiter zu verabschieden.
„Was?", fragte Selene herausfordernd und Ethans Gedanken überschlugen sich.
Der zwölfte Augst. Niemals würde er dieses Datum vergessen. Der zwölfte August vor zweiundzwanzig Jahren, der Tag von Selenes Geburt. Das war der Tag an dem er mitten im Unterricht aufgestanden war und den Tisch umgeworfen hatte. Er erinnerte sich selbst nach all den Jahren an das Gefühl, mit dem der zwölfjährige Junge damals nicht umgehen konnte. Es hatte sich angefühlt, als hätte man ihm die Faust in die Brust gerammt und ihm etwas weggenommen. Die Leere, die Unvollständigkeit hatte ihn schreien und um sich treten lassen. An diesem Tag hatten seine Eltern ihn abgeholt und seine Mutter hatte geweint, weil sie sich nicht erklären konnte, woher ihr Sohn plötzlich diese Aggressionsprobleme hatte. Nichts hatte geholfen. Keine Therapie und keine Sportart, nichts hatte diese Leere in seiner Brust füllen können und seine Mutter war so verzweifelt, dass sie Ethan ihrem Ex-Schwager anvertraute. Einem Mann, der ihn Disziplin lehrte und Ethan Ablenkung bot.

Charles Croffort. Seinetwegen war Ethan Polizist geworden und später zum FBI gegangen.
Oder besser: ihretwegen. Es war Selene gewesen, die das in ihm ausgelöst hatte, die ihn auseinander gerissen und nun wieder zusammen gesetzt hatte. Instinkt war nicht das richtige Wort, für das was sie war: Sie war sein gottverdammtes Schicksal.
Plötzlich brach alles in sich zusammen. Das Gefühl des Verrates, seine Wut, alles was ihn dazu getrieben hatte sich von ihr fernzuhalten, denn sie konnte nichts dafür. Sie war geboren worden, um ihm zu gehören. Sie existierte für ihn, jeden Atemzug tat sie seinetwegen und plötzlich war da in ihm nur noch Schuld und etwas was ihn dazu bringen wollte vor ihr auf die Knie zu fallen und sie anzubeten. Sie war sein. Diese junge, geradezu unheimlich perfekte Frau vor ihm gehörte ihm alleine. Er stand nicht auf rothaarige, er stand auf Selene, er hatte sie unterbewusst in all den Frauen vor ihr gesucht und nun stand sie vor ihm. War wütend auf ihn und weinte seinetwegen.
Er hielt es nicht länger aus. Ethan griff nach ihrem Arm und sie versuchte den Körperkontakt sofort zu unterbrechen. Sie war noch immer wütend und das hatte er wohl auch verdient dennoch würde er es nicht länger akzeptieren, dass sie vor ihm zurückwich.
Mit einem kräftigen Ruck zog er sie an sich, versenkte eine Hand in ihrem Haar und hielt sie an seine Brust gedrückt, bis sie aufhörte sich zu wehren und es einfach zuließ.
„Es tut mir leid. Verzeih mir", murmelte er an ihrem Scheitel und spürte wie sich ihr Körper langsam entspannte und sie nachgiebig wurde.
„Ethan?", fragte sie leise und er konnte gut nachempfinden, dass sie vollkommen durcheinander sein musste, nicht wusste, was diesen Sinneswandel in ihm verursacht hatte. Aber wie sollte er das in Worte fassen, wenn er es selbst nicht wirklich verstand.
„Du gehörst mir, du hast von Anfang an mir gehört", erklärte er und obwohl sie es sicherlich nicht wirklich verstand, akzeptierte sie diesen Besitzanspruch und schmiegte ihre Wange fester an seine Brust. Ihre Tränen waren versiegt, sein eigener Schmerz vergangen. Er hatte nicht verstanden, warum seine Gefühle für Selene so intensiv waren, warum sie so endgültig schienen und obwohl er die Offenbarung, dass es Menschen wie Selene mit besonderen Fähigkeiten gab, immer noch nicht so recht verinnerlicht hatte, fühlte sich das hier richtig an. Seine Unsicherheit in Bezug auf seine eigenen Gefühle war verschwunden und übrig blieb nur noch dieses Wissen endlich vollständig zu sein.

Beta: Ichlanduwlan <3 Urlaubsvertretung :D

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Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt