Verzweifelt

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Kapitel 24

Posttraumatische Belastungsstörung. Das war der Fachausdruck für das, was gerade mit Selene passierte und Ethan verfluchte sich selbst weil er es nicht hatte kommen sehen. Beim FBI lerne man viel von Psychologie, das Wissen war für seinen Beruf absolut notwendig und er wusste, dass er die Anzeichen für Selenes jetzigen Zusammenbruch nur übersehen hatte, weil er zu sehr mit sich selbst und seinen widersprüchlichen Gefühlen für sie zu tun gehabt hatte. Er trug eine Mitschuld, das konnte man nicht leugnen. Er hatte sie geküsst, bedrängt und ihr dann eine Eifersuchtsszene gehalten, während sie vertrieben, gejagt und emotional am Boden gewesen war.
Er hätte es wissen müssen, es sehen müssen, sie beschützen müssen. Er hatte versagt.
Als er das Lenkrad mit der Hand umklammerte drückte er sie fest zu, dass das Leder unter seinen Fingern knirschte und seine Fingerknöcheln weiß hervortraten. Sie brauchte ruhe, Sicherheit und eine jemanden, der sie in den Arm nahm, wenn es richtig losging und er würde jetzt dafür sorgen, dass sie das bekam.
Doch noch eher er sich das innerlich geschworen hatte, drang ein Wimmern bis zu ihm hindurch und sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Selene zitterte am ganzen Körper, ihre Tränen flossen unaufhaltsam über ihr hübsches Gesicht und der Versuch keine Laute von sich zu geben, während sie langsam die Fassung verlor ließ ihn das Gaspedal durchtreten. Das Hotel, in denen sie alle unterkommen würde, war nicht weit entfernt aber in diesen Moment kam es ihn wie Stunden vor bis er endlich auf den einsamen Parkplatz anhielt und um den Wagen herumrannte.
Er riss die Beifahrertür zusammen und sah eigentlich nichts außer ein Meer aus roten, glatten Haaren, die ihr Gesicht, ihre Schultern und ihren zarten Körper verdeckten. Sie hatte sich auf den Sitz zusammen gekauert, als würde damit verhindern wollen auseinander zu springen.
„Das wird schon wieder, Süße!", knurrte er wenig aufmunternd und verfluchte sich wieder selbst weil er einfach nicht zu der Sorte Mann gehörte, die eine Frau tatsächlich trösten konnte. Stadtessen tat er, das was ihm leichter von der Hand ging: Er übernahm die Kontrolle über die Situation.
Ohne auf ihren kaum vorhandenen widerstand zu achten, legte er Selene einen Arm um die Schulter, schob den Anderen unter ihre Kniekehlen und hob sie so mühelos auf seine Arme, als würde er ein Kind hochnehmen.
„Ich kann selbst la-„
„Ruhig!", herrschte er sie prompt an, drückte mit einem Fuß die Tür des Wagens zu und spazierte mit ihr zum Eingang. Das Hotel, war eher ein Gasthaus mit Übernachtungsmöglichkeit und wurde von der Besitzerin selbst betrieben, die nur einen verwirrten Blick von ihm auf Selene und wieder zurückgleiten ließ und dann die Stirn runzelte.
„Ich das Selene Ja-?"
„McAlan. FBI. Wir haben Zimmer gemietet!" unterbrach Ethan auch sie, doch in Gegensatz zu Selene die gehorchte und sich dann einfach kraftlos ihrem Schicksal ergab, verengte die Frau nur ihre Augen.
„Ich will dieses Mädchen nicht in meinem Hotel! Sie ist..."
„Sie sind eine engstirnige, leichtgläubige Hinterwäldlerin und haben keine Ahnung was ich alles tun werde, wenn sie mir nicht sofort einen der verdammten Zimmerschlüssel geben und mir die Tür aufmachen. Zwingen Sie mich nicht sie runter zu lassen, um die Hände freizubekommen, um diese verdammte Theke zu zertrümmern!", unterbrach er sie mit einer ruhigen aber unglaublich beängstigenden Stimmlage und die Frau erschrak zu heftig, dass sie für einen Augenblick einfach nur dastand und ihn ansah. Wie eine verdammte Henne, die gerade ein Ei gelegt hatte.
„ALSO?", fragte er nun lauter und sie zuckte abermals zusammen, griff aber diesmal nach einen der Zimmerschlüssel und wackelte auf ihren Stöckelschuhen durch einen Gang, eine Treppe hinauf und blieb dann hastig vor einer Tür stehen. Sie öffnete das Schloss und Ethan stürmte in das hübsche, kleine Zimmer um Selene auf das Bett zu legen, bevor er zu der Frau zurückging, ihr den Schlüssel aus der Hand zog und ihr dann die Tür vor ihrer neugierigen Nase zuschlug.
Ethan wusste, dass er voreingenommen gegenüber den Bewohnern von NewHollw war, doch die Tatsache, dass sie Selene all die Jahre so schlecht behandelt hatten machte ihn rasend. Und ihr aktueller Zustand besserte seine Laune nicht gerade. Er schmiss den Schlüssel auf einen kleinen Schreibtisch und ging zum Bett zurück, wo Selene sich bereits ein Kopfkissen an die Brust gedrückt hatte und auch noch den letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung verlor.
„Mist!", entfuhr es Ethan, während er dabei zusehen musste wie sie komplett in Tränen ausbrach. Er hatte keine Ahnung was er tun wollte, fühlte sich wie ein großer, klobiger Idiot während er sich ein paar Mal durch die Haare fuhr, bevor es ihn wie Schuppen von den Augen fiel. Weinen lassen. Er musste sie weinen lassen und warten bis sie sich beruhigte.
Mit einer zittrigen Routine ging er auf sie zu, griff nach ihren Füßen und zog ihr die Stiefel aus, mit denen sie auf dem Bett gelegen hatte. Sie sollte es bequem haben und sie sollte die Chance haben sie zu beruhigen. Da er nicht wusste wie man einen Nervenzusammenbruch linderte, setzte er sich einfach auf die Bettkante ohne sie zu beruhigen und rang mit sich. Sollte er ihren Rücken streicheln? Sie in den Arm nehmen? Sie komplett in Ruhe lassen? Vielleicht den Raum verlassen?
Bei dem Gedanken sie hier zurückzulassen wehrte sich alles in ihn und er verwarf den Gedanken wieder. Aber was dann?
„Ethan? Bist du da?", jauchzte sie und hikste unter Tränen, weil ihre Lungen sich nicht entscheiden konnten, ob sie den Sauerstoff zum Sprechen oder zum Weinen brauchte. Sie hob ihren Kopf und sah sich panisch um und weinte heftiger als sie ihn nicht sofort sah. Er griff nach ihrem Arm sie drehte sich auf den Rücken und sah mit geröteten Augen und nassen Gesicht zu ihm auf.
Für einen Moment war er sprachlos, angesichts ihrer Schönheit. So wie immer wenn ihr eine Weile nicht ins Gesicht gesehen hatte. Selbst jetzt sah sie schön aus und er schämte sich zutiefst dafür sie angesichts ihres Zustandes immer noch küssen zu wollen. Aber was sollte er tun? Es raubte ihn fast den Atem so sehr wollte er sie und wenn sie so zu ihm hoch blickte, so Vertrauensseelig und anbetungswürdig, traf es ihn wie eine Kugel direkt in die Brust. Sein Ego fühlte sich geschmeichelt weil eine junge, schöne Frau ihn so ansah wie Selene es tat. Als bräuchte sie nur ihn um glücklich zu sein, als bräuchte sie nur ihn zum Überleben.
Sein Beschützerinstinkt schlug tosende Wellen und brachte ihn dazu endlich zu reagierten.
„Ich bin hier und ich bleibe bis es vorbei ist. Versprochen."
„Ich...Ich kann nicht aufhören zu ... zu weinen", schluchzte sie Verzweifel und schien mit sich selbst und ihrem eigenen Ego zu ringen. Ethan zog sie an ihrem Arm näher und beugte sich gleichzeitig zu ihr herab. Selene setzte sich mühsam auf und ließ es zu, dass er sie erneut an seine Brust zog. Ethan schob eine Hand unter ihr Haar, massierte ihren Nacken und versuchte mit der anderen, ihr die dünne Jacke von den Schultern zu streifen, was sie widerstandslos zuließ und ebenfalls begann sein Jackett aufzuknöpfen und ihre Hand unter den Stoff zu schieben.
Sein Hemd wurde sofort nass als ihre Wange sich darauf legte und er spürte wie sich seine Lenden zusammen zogen als er kurz ihre Fingernägel an seinen Rücken spürte. Sie klammerte sich an ihn fest, drückte sich fester an ihn und suchte ganz eindeutig Nähe um sich zu beruhigen. Rein Rational ein ganz normales verhalten und dennoch interpretierte sein Verstand mehr in diese Geste hinein als er sollte. Er ermahnte sich selbst sich zu beherrschen. Selene war nicht die erste Frau, die sich auf emotionellen Stress heraus an ihn drückte. Er war nicht bescheuert und kannte den psychologischen Effekt, den Leute vom FBI bei jungen, hilflosen Menschen auslösten. Manche Opfer glaubten sogar sich in ihren Beschützer verliebt zu haben, doch das war nur eine uralte psychologische Reaktion. Das Opfer suchte sich einen Beschützer. Das war normal und Ethan war noch nie so sehr versucht diese Situation auszunutzen.
Immer wieder redete er auf sich ein. Sie war hier weil sie Hilfe brauchte, hatte gerade einen Zusammenbruch und war zu allem Überfluss auch gerade einmal zweiundzwanzig Jahre alt. Sie war kaum alt genug um Alkohol zu trinken und er mit seinen dreiunddreißig viel zu alt für sie.
Er würde ihr niemals das geben können was sie brauchte. Er war ein erwachsener Mann und schätzte erfahrende Frauen in seinem Bett. Frauen, die wussten was ihnen gefällt und die nicht zurückschreckten wenn es etwas rauer wurde. Selene war gerade erst am Anfang dieses Weges und in Anbetracht ihrer Geschichte, fragte er sich ernsthaft ob sie überhaupt schon mal Sex gehabt hatte. Das konnte niemals gut gehen.
Zorn wallte in ihm auf, als er daran dachte wie dieser Michael Hirsch sie angesehen hatte und allgemein bei dem Gedanken, dass irgendein Kerl sie angefasst haben könnte. Sie war einsam und allein und das schon seit einigen Jahren, für einen geschickten Verführer wäre es ein leichtes ihr etwas vorzuspielen, um sie ihn sein Bett zu locken.
Seine Finger um ihren Nacken verstärkten sich und auf einmal wünschte er sich fast, sie wäre noch unschuldig. Sein Schwanz zuckte wieder, als seine Fantasie mit ihm durchging und er sich vorstellte, er könnte er erste sein und ihr alles beibringen. Er würde herausfinden was sie mochte und sie lehren ihm das zu geben was er mochte. Sie hatte Temperament und würde ihm den Rücken zerkratzen und sich dann wie ein süßes Kätzchen an ihn drücken, um ihrer Bestrafung zu entgehen, nach der sie sich insgeheim sehnte.
„Ethan?" Ihre Stimme riss ihn in die Realität zurück und wieder traf es ihn wie ein Schlag in den Magen, als er in ihre Augen blickte. Würde das jemals aufhören?
„Ja?", fragte er und starrte träumerisch auf ihre vollen Lippen, die etwas geschwollen wirkten. In ihren nassen dunklen Wimpern hingen Tränen und ihre bleiche Haut, mit den süßen Sommersprossen waren zart gerötet.
Ganz so als hätte jemand unanständige Dinge mit ihr angestellt.
„Küss mich."  

Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt