Intuition

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Kapitel 57
Selene erhob sich erschrocken aus dem Bett und zog sich instinktiv ängstlich weiter an das Kopfende des Bettes zurück. Als die den lauten Knall wahrnahm und einen großen, breit gebauten Mann mitten im Raum stehen sah, den sie für wenige Sekunde nicht einordnen konnte. Erst als sich der Schlaf langsam lichtete und sich ihr Herz beruhigte, verließ die Anspannung sie und sie betrachtete Ethan mit finsterer Miene.
„Was zum Teufel machst du da?", fragte sie wütend, wie eh und je ein wenig zickig, wenn sie mitten aus dem Schlaf gerissen wurde. Ethan begegnete ihren Blick mit harter Miene und ihre Wut fiel in sich zusammen als sie die Sorge in seinen Zügen bemerkte.
„Was ist passiert?", fragte sie plötzlich sehr viel sanfter, raffte das Laken um ihren Körper zusammen und krabbelte aus dem Bett um zu ihm zu gehen und eine Hand auf seine Brust zu legen. Seinen Herzschlag zu spüren beruhigte sie, selbst als seine Hände mit einer fast schon groben Geste ihren Körper an seinen drückten und er seinen Kopf in ihrer Halsbeuge vergrub.
Der drang endlich zu erfahren, was vorgefallen war, nahm sie ein, aber Selene wusste, dass Antworten jetzt nicht das waren was er geben konnte. Nicht, wenn er so düster dreinblickte und auch nicht, wenn er sie so fest umklammert hielt, als stünde er Urängste aus. Also ließ sie es zu, versuchte noch anschmiegsamer zu werden, streichelte über die feinen Härchen auf seiner Brust, um ihn zu beruhigen. Es musste ein seltsamer Anblick sein, den sie beide so boten. Ethan, der wesentlich größer und breiter war als sie, der ihren zarten Körper, lediglich eingehüllt in ein weißes Laken, festhielt.
Selene wartete geduldig, drückte ihre Lippen auf den Ansatz seines Halses und wusste nicht, was sie sagen sollte. Auch nicht als er anfing zu zittern, als überkämen ihn plötzlich Albträume und sich dann wieder unter Kontrolle bekam, als ginge er im Kopf seine Möglichkeiten durch. Dann begann er zu reden.
„Er war in deinem Zimmer, dieser Dreckskerl verspottet mich, indem er mir zeigt, wie leicht es wäre dir etwas anzutun!", hauchte er, hob den Kopf und sah ihr mit einer wilden Entschlossenheit ins Gesicht.
„Ich will, dass du Waffentraining und Selbstverteidigung lernst, ich will, dass du dich verteidigen kannst und ich will, dass du dich in meiner Nähe aufhältst. Immer!" befahl er streng, das waren keine Fragen oder Bitten. Selene öffnete den Mund, um zu protestieren, nicht weil dieses keine klugen Ideen waren, sondern einfach nur, weil sie nicht wollte, dass er jemals glaubte ihr Vorschriften machen zu können, schloss den Mund dann aber einfach wieder.
Ethan war Agent. Er beschützte, er passte auf, er bewachte Menschen und stand für sie ein. So war, das war sein Charakter und sie seine Seele. Sie konnte ihm diesen elementaren Wunsch nicht verwehren, wenn sie wollte, dass das hier auch nach diesem ganzen Schrecken funktionierte, musste sie ihm gewähren lassen.
„Meinen Schutz überlasse ich dir. Nichts weiter", sagte sie dann so sanft wie möglich und auch er öffnete den Mund, um zu protestieren. Ethan war es gewohnt Befehle zu geben, aber so würde das nicht funktionieren. Selene war lange alleine gewesen und ihre Großmutter hatte sie gelehrt selbstständig zu handeln und zu denken, sie würde nie einfach seinem Befehle befolgen, auch wenn ihr die Konstellation im Bett sehr viel Spaß machen würde. Sie würde daran zugrunde gehen, nicht mehr sie selbst zu sein. Das musste auch er lernen. Und er verstand es. Ihr großer, grobschlächtiger Agent schloss den Mund und nickte starr, worauf Selene dankbar seine rauen Wagen berührte und ihn anlächelte.
„Und jetzt sag mir, was passiert ist und warum du dein Telefon gegen die Wand geschmissen hast"
und das tat er. Bevor Selene sich anzog und sich die Haare flechtete, sprangen sie und Ethan nacheinander unter die Dusche und er erzählte ihr von dem Bild und dem Gespräch mit dem Mörder, welches seine Meinung in zwei Täter bestätigte. Als er das tat musste sich Selene einige male zusammen reißen um nicht ängstlich zusammen zu zucken. Der Gedanke, dass einer dieser Mistkerle einmal in ihrem alten Zimmer gewesen war während sie schlief, hinterließ kein gutes Gefühl bei ihr. Und noch mehr zog sich ihr der Magen zusammen bei dem Gedanken, irgendwann in dem Haus, mit ihren sonst so guten Erinnerungen, wieder leben zu müssen. Das war ihr nach der Ermordung ihrer Großmutter schon schwergefallen, aber damals hatte sie sich nicht vorstellen können es zu verlassen, egal wie sie sich an diesem Ort fühlte. Nun würden zu dem Mord an Hanna James auch noch Erinnerungen an einen zerfetzten Jungen kommen und das Wissen, dass ein Serienkiller neben ihrem Bett gestanden hatte. Aber das war etwas mit dem sie sich später beschäftigen würde.
„Wenn er mich tot sehen will, warum hat er seine Gelegenheit nicht genutzt?", fragte Selene. Ethan kam gerade aus der Dusche und sie wandte den Blick von seinem nassen, nackten Körper ab bevor sie noch einmal von vorne anfangen musste ihre Haare zu bändigen.
Er stellte sich neben sie, vollkommen unberührt von seiner Nacktheit. „Ich glaube nicht, dass er dich tot sehen will. Ich glaube sogar, dass derjenige der dieses Bild gemacht hat, dir nie etwas antun würde. Er will dich beschützen."
Selene sah ihn blinzelnd an. Hatte sie sich gerade verhört?
„Der jüngere von beiden, der, der versucht aus der Sache herauszukommen, der, der versucht seine Verteidigung aufzubauen. Es ist dein Bruder Gus", sagte er und nun gruben sich tiefere Falten in Selenes Stirn. Bruder? Sie wusste nichts von einem Bruder und dachte gerade darüber nach, dass ihre Mutter ja neu geheiratet hatte und vielleicht einen Sohn, einen Halbbruder, zur Welt gebracht haben könnte, als Ethan sie ebenfalls nachdenklich betrachtete.

Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt