Kapitel 37
Selene waren die ablehnenden Blicke der Gasthausbesitzerin an der Rezeption egal. Sie ignorierte die Frau komplett während sie schweigend neben Ethan herging und den Fahrstuhl betrat. Als die Stille des eisernen Käfigs sie umschloss, lehnte sich Selene gegen die kühle Fahrstuhlwand und schloss kurz die Augen.
„Wann hast du das letzte Mal geschlafen? So richtig meine ich?", fragte Ethan plötzlich und Selene bemerkte, wie er ihr näher kam. Sie wehrte sich nicht, als er den Finger in die Schlaufe ihrer Jeans schob und sie damit an sich zog. Ihr Körper presste sich an seinen und wäre dieser Tag nicht sogar noch schlimmer gewesen als die letzten beiden, wäre sie einfach nur hingerissen gewesen seinen Körper an ihrem zu spüren. Er war ganz anders als die Männer in ihrem Alter - sofern man die bereits als Männer bezeichnen konnte. Ethan war groß, mit breiten Schultern und jeder Muskeln in seinem Körper waren so hart, dass sie sofort weiche Knie bekam.
„Sag schon," meinte er und senkte seinen Kopf so weit, dass er sein Atem ihr Ohr streifte.
„Die Nacht bevor ich Karl gefunden habe", sagte sie und sog scharf die Luft ein, als Ethan ihr einen Kuss auf das Ohr drückte. Ihr war durchaus bewusst, dass sie ihn nicht mehr lange auf Abstand halten konnte, dafür war das, was da zwischen ihnen war, viel zu weit fortgeschritten. Und obwohl sie nicht lieber wollte als in seine starken Arme zu sinken, damit sie das alles zumindest für einen Moment vergessen konnte: Es ging nicht.
„Ethan, bitte. Dieser Tag ist so furchtbar, dass ich..." Er küsste sie erst noch einmal auf den Hals, bevor er sich in Richtung ihres Mundes schob und Selene konnte einfach nicht widerstehen. Trotz besseren Wissens war sie es, die ihn küsste. Sie war es, die die letzten Millimeter überwand und ihre Lippen auf seine presste um zu sehen, ob er immer noch so gut schmeckte wie die zweimal zuvor. Mit der Hand in ihrem Nacken und einer an ihrer Hüfte, hielt Ethan sie fest und übernahm blitzschnell die Kontrolle. Er küsste sie so heftig, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte, als daran, endlich in seine Arme zu sinken und das zuzulassen was ihre Träume ihr Prophezeit hatten. Er schmeckte fantastisch und die Art wie er an ihren Lippen saugte und sich seine Zunge in ihren Mund schob war dermaßen besitzergreifend, dass auch der Rest von Selenes Widerstand zerfloss wie Butter in der Sonne. Die Verbindung zwischen ihnen vibrierte in ihrem Inneren leise vor sich hin und trieb sie dazu mit beiden Händen seinen Nacken zu umfassen und sich von ihm gegen das Innere des Fahrstuhls drücken zu lassen. Doch das war nicht genug. Ein Kuss alleine würde niemals genug sein. Sie wollte diesen Mann, wollte die Ablenkung, die ihr dieser Moment versprach. Sie hätte sich ihm hingegeben, hier mitten im Fahrstuhl, doch Ethan war bei weitem nicht so jung oder so unerfahren wie sie und schob sie nur Millimeter von sie weg.
"Du brauchst eine heiße Dusche und etwas Hochprozentiges, damit du heute Nacht ein Auge zubekommst." Sagte er und sein schwerfällige Lächeln, dass Ethan ihr darauf offenbarte, drückte so viel Verständnis aus, dass ihr beinahe die Tränen kamen. Trotz seines eigentlich immer finsteren Gesichtes schaffte er es mit Leichtigkeit, ihr das Gefühl von Wärme zu geben. Vielleicht aber hatte sie in Bezug auf Zuneigung auch einfach keine hohen Ansprüche.
„Danke", murmelte sie und schmiegte ihr Gesicht wieder kurz an seines. Sie liebte das raue Gefühl seiner Bartstoppeln auf ihrer Haut.
„Was ist mit dir?", fragte sie dann. Wenn sie genauer darüber nachdachte hatte er sogar noch weniger Schlaf bekommen als sie. Ethan zuckte nur lässig mit den Schultern. „Ich habe seit zehn Jahren nicht mehr richtig durchgeschlafen, ich übersteh das schon."
„Du wirst wach bleiben falls Lindsey sich meldet." Das war keine Frage gewesen. Ethan nickte und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe und löste sich ganz von ihr, um endlich aus diesen Fahrstuhl zu treten
Ethan folgte ihr und begleitete sie bis zu ihrem Zimmer. „Geh duschen, ich hohl den Wiskey", befahl er knapp und schob sie in Richtung ihres Zimmers. Selene nickte und sah über ihre Schulter hinweg zu ihm herauf und begegnete seinen dunklen Blick. Nachdem sie ihre Hoteltür aufgeschlossen hatte reichte sie ihm den Zimmerschlüssel. Die Einladung war unmissverständlich und für den Hauch einer Sekunde zögerte er und verunsicherte Selene etwas. Doch dann nahm er ihn und lächelte sie verrucht an. „Du solltest fertig mit dem duschen sein wenn ich komme, sonst garantiere ich für nichts." Murmelte er und Selene spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss. Der Gedanke, dass sie noch unter dem Wasserstrahl stehen konnte während er hereinkam und über sie herfiel, weckte ein verbotenes Verlangen in ihr, das gerade mehr als unangebracht ist.
Sie lächelte ihn an und verschwand in ihrem Zimmer wo sie sich tatsächlich damit beeilte unter die das warme Wasser zu kommen. Um zusätzlich Zeit zu sparen, entschloss sie sich dazu, nicht Stunden unter dem Strahl zu verbringen, dennoch hörte sie wie Ethan ihr Zimmer betrat, noch bevor sie wieder draußen war. Natürlich kam er nicht ins Bad und fiel über sie her. Er hatte diese Situation von Anfang an besser unter Kontrolle gehabt als sie. Stattdessen saß er auf dem Sessel neben ihrem Hotelbett und hatte den Fernseher eingeschaltet in dem die Regionalnachrichten liefen.
„Ist die Presse nun doch involviert?", fragte Selene, nachdem sie sich abgetrocknet und sich eine peinlich pinke Schlafanzughose angezogen hatte. Auf dieser tummelten sich weiße Schneemänner und dazu eines ihrer alten T-Shirts. Als Ethan sich umdrehte und sie ansah lächelte er breit. Er war es sicherlich nicht gewohnt das sich eine Frau ihm so näherte. Bis jetzt waren seine Geliebte erwachsene, erfahrene Frauen gewesen die mit Reizwäsche auftrumpfend konnten, aber Selene war weder das eine noch das andere. Der Altersunterschied zwischen ihn würde die Situation schon kompliziert genug machen, da musste sie sich nicht auch noch zusätzlich den Stress machen sich zu verstellen. Selene besaß zwar schöne Unterwäsche aber das alles war weit davon entfernt, als Reizwäsche zu gelten und sie glaubte auch nicht daran, dass sich daran etwas ändern würde. Und momentan war es ihr egal, sie wollte sich einfach nur wohlfühlen. Und egal wie intensiv die Küsse zwischen ihnen vorhin waren, heute Nacht würde es bei Flirts und Andeutungen bleiben. Der Fall war eskaliert und immer, wenn Ethan sie nicht direkt ansah, wurden seine Gesichtszüge hart.„Du siehst niedlich aus", sagte er und Selene setzte sich in Schneidersitz auf das Bett. „Danke. Und? Erwartest du „Breaking News?", fragte sie noch einmal. Ethan schüttelte den Kopf. „Nein, die Nachrichtensperre bleibt vorerst aber man kann nie wissen was die Presse herausbekommt. Ich will nur auf Nummer sicher gehen. Lindsey hat sich übrigens gemeldet," sagte er, stand auf und holte zwei Gläser aus der Minibar. Auf dem Schreibtisch stand die versprochene Flasche Whiskey und Selene wunderte sich nicht, das Ethan in sein Glas die doppelte Menge der bernsteinfarbenen Flüssigkeit gab.
„Nipp erstmal daran bevor du es trinkst, auf leeren Magen ist das Zeug ziemlich stark," sagte er und zu seiner Überraschung trank Selene alles in einem Rutsch. Normalerweise war sie der Kakao-Typ, aber das Brennen in ihrer Kehle war angesichts der Situation eine wahre Wohltat.
„Sie haben eine grobe Zählung vorgenommen. Genaueres können wir erst sagen, wenn sie die Leichenteile auf dem Boden auch ausgewertet haben. Aber es sind circa zwanzig Menschen", erklärte Ethan ihr und schenkte ihr ein weiteres Mal ein, als Selene ihm das Glas hinhielt.
„Was meinst du mit: ‚auf dem Boden?', fragte sie, nachdem sie kurz hustete. Der Whiskey war stark und sie nicht an Alkohol gewöhnt.
„Einige Leichen hingen dort schon ziemlich lange und sind aufgrund der Verwesung irgendwann von selbst abgefallen, meistens in Einzelteilen. Sie suchen also noch die Teile zusammen um genau zu wissen wie viele dort hingen", erklärte er schonungslos und Selene spürte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. Ob das an seiner Erzählung oder an dem Whiskey lag, wusste sie nicht und es war auch egal.
„Weiß man schon irgendetwas anderes?" Ethan schüttelte den Kopf. „Es wird noch die ganze Nacht dauern, vielleicht länger bis die Spurensicherung durch ist und die Mediziner mit der Analyse von Hinweisen anfangen können. Wir können nur abwarten.
„Hatten sie ihre Augen noch?", fragte Selene und wusste selbst, dass das nur ein Strohhalm war an den sie sich klammerte. Selbst wenn sie sie noch haben, dürfte aufgrund der Verwesung nicht mehr viel aus ihnen zu lesen sein. Und auch gekühlt bezweifelte Selene das sie etwas sah. Sie hatte mehr als einmal die Erfahrung gemacht, dass die Bilder immer schwächer wurden umso länger ein Mensch tot war. Die Augen ihrer Großmutter waren perfekt erhalten gewesen und sie hatte absolut gar nichts wahrnehmen können. Wenn die letzten Funken der Persönlichkeit eines Menschen erloschen waren, war es meistens zu spät um etwas zu erfahren. Dennoch war es einen Versuch wert.„Ja. Lindsey vermutet, dass die Augen doch nicht seine Trophäe sind und er mit den ausschaben der Augäpfel bei Karl und Hannah etwas anderes bezwecken wollte."
Selene versuchte sich nichts anmerken zu lassen, aber sie konnte ihre Augen nicht mehr davor verschließen, dass derjenige, der für die Morde verantwortlich war wusste, über welche Fähigkeiten sie verfügte. Bis jetzt konnte sie sich einreden, dass es sich um das Sammeln von Trophäen handelte - auch wenn es schon ein merkwürdiger Zufall gewesen wäre. Nun war diese Illusion erloschen und Selene fand sich an der Stelle wieder, an der sie es Ethan erzählen musste.
Wenn sie nichts sagte, würde sie den Ermittlungen Steine in den Weg legen. Das der Mörder von ihr wusste konnte den Kreis der Verdächtigen entscheidend eingrenzen, auch wenn ihr auf Anhieb nicht einer einfiel, der es wusste. Die einzige Frau, die gewusst hatte was sie konnte war ihre Großmutter.
Der perfekte Zeitpunkt war es sicherlich nicht und es würde auch nicht leicht werden sich Ethan anzuvertrauen, aber es musste sein und zwar jetzt!Beta: Geany <3
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Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1
Mystery / ThrillerSeit vier Jahren unterstützt Selene mit ihren Fähigkeiten unter dem Pseudonym Alice das FBI bei ihren Ermittlungen. Aber als eine Serie von grausamen Verbrechen ihre Heimatstadt in Angst und Schrecken versetzt, wird es persönlich. Selene muss einseh...