abgestumpft

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Kapitel 45
Ethan versuchte Selene im Auge zu behalten während er sich mit O'Brien weiter unterhielt, aber er musste zugeben, dass seine Konzentration nicht bei dem Fall lag. Er zwang sich dazu, seinen Fokus von ihr weg zu lenken, aber es klappte nicht wirklich. Es machte ihn nervös, sie nicht zu sehen, nicht sicher zu sein, dass es ihr gut ging und beidem Gedanken, dass ein verdammter Mörder sie stalkte, erlag er immer wieder die Idee sie zurück in den Jet zu setzen und in seine Wohnung zu verfrachten. Er wollte sie in Sicherheit wissen und obwohl es ihn nervte Lindsey auch nur in Gedanken recht zu geben hatte sie letztendlich recht gehabt: Romantische Gefühle behindern einen Fall.
„Waren sie in der Nähe begraben, bevor sie dort aufgehängt wurden?", fragte Ethan, als er endlich den Faden wiedergefunden hatte. Selene streifte durch den Gang, der Verwesungsgeruch schien sie jetzt bereits nicht mehr so zu stören und auch den ersten Schock des Anblickes schien sie erst einmal verarbeitet zu haben, denn sie ging die Reihen ab und versuchte so viele Details wie möglich in sich aufzunehmen.
„Ja, aber die Spurensicherung ist noch vor Ort und untersucht die Umgebung, ich kann noch keine weiteren Analysen nennen. Wir bekommen fast stündlich neue Details herrein, die wichtig sein könnten.", antwortete O'Brien und sein Blick glitt ebenfalls immer wieder zu Selen. Wahrscheinlich hatte er aber einfach Angst, dass sie etwas anfassen könnte. Doch alleine die Tatsache, dass Ethan sie nicht aufhielt, hielt die Fragen zurück die ihn unleugbar auf der Zunge langen.„Was ist mir dem Seilen, an denen sie aufhängt wurden, könnten wir darüber etwas Handfestes herausbekommen?"
O'Brien stöhnte bei dieser Frage etwas genervt auf. Ethan war ungeduldig, das wusste er selbst. Aber Warten war nie eine seiner Stärken gewesen
„Agent McAllen. Die Leute sind überarbeitet. Ich habe hier, neben mir, nur zwei andere Mitarbeiter. Ein solches Ausmaß an potenziellen Spuren zu sichern ist eine Meisterleistung die noch Tage in Anspruch nehmen könnte. Ich brauche mehr Zeit und vor allem: mehr Kapazitäten, sowohl personell als auch von der Ausstattung."Natürlich. Es waren dutzende Leichen und ein Waldgebiet bei dem sich alles Wichtige und genauso viel Unwichtiges an Spuren vermischte.
„Ich werde mich darum kümmern, dass andere Labore Sie unterstützen. Wissen wir schon wer da alles hing. Haben wie Namen zu den Opfern?", fragte Ethan weiter. Das war in der Regel der erste Schritt und etwas, womit er sich beschäftigen konnte.
„Wir konnten einige Fingerabdrücke von den Leichen nehmen die noch nicht so stark verwehst sind und haben Bilder von den Gesichtern und einigen Tätowierungen gemacht, die bei der Identifizierung helfen könnten. Ihr Kollege sitzt da bereits dran. Zahnabdrücke und genetische Tests müssen warten bis wir soweit sind und die Fingerabdruckdatenbank hat anscheinend auch noch keine Treffer. Tut mir leid, Agent, ich habe aber leider keine weiteren Antworten."
„Nein schon gut, ich verstehe das. Mit dem diesem Ausmaß hat keiner gerechnet.", lenkte Ethan ein und sah, wie Selene in die offene Pathologie ging und plötzlich erstarrte, als sie auf den Haupttischen den ehemaligen Sheriff und seine Familie sah. Er sah, wie sie schluckte und sich dann wieder abwandte um O'Brien aus dem Weg zu gehen, der sich zu seinen anderen beiden Kollegen gesellte.„Selene?", fragte er leise und ihr Gesicht verzog sich zu einer verzweifelten Miene, bevor sie sich an ihn lehnte und um ihre Beherrschung rang. Dieses Vertrauen war ein Kompliment, dass in seinem Herzen ein Ziehen auslöste
„Nur einen Moment, dann geht es wieder", murmelte sie an seinem Hemd und Ethan konnte sich nicht davon abhalten mit den Fingern durch ihre Haare zu streichen. Gott, wie er ihr wunderschönes Haar liebte. Er könnte Tage damit verbringen es zu berühren und zu beobachten wie die Sonne einzelne Farbnuancen zum Vorschein brachte.
Für einen kurzen Moment dachte er daran, wie Selene von Kindern gesprochen hatte und bedauerte sehr, dass rote Haare rezessiv vererbt wurden und jedes Kind mit ihr deswegen wohl eher dunkelhaarig, wie er, werden würde anstatt Selenes rote Haare zu erben. Sie nahm die Antibabypille, das hatte er heute Morgen gesehen und war in den Augenblick beruhigt gewesen, denn in dem Augenblick als er mit ihr Schlief hatte er keine Sekunde an Verhütung gedacht.„Ich brauche Bilder von ihren offenen Augen", wisperte sie, als sie sich wieder beruhigt hatte und wieder wurde er mit ihren Fähigkeiten konfrontiert. Was sollte er dazu sagen? Was konnte er tun außer sie zu beschützen?
„Ich beschaffe dir welche. Komm, tu dir das nicht weiter an", murmelte er und nickte O'Brien einmal zu der mit gerunzelter Stirn diese zärtliche Szene beobachtete und sich sichtlich wunderte. Dann aber nickte der alte Mann mit einem väterlichen Lächeln zurück und Ethan musste die Augen verdrehen. Es würde nicht lange dauern und das gesamte FBI würde wissen, wie nahe er Selene mittlerweile stand? Es würde Frage aufwerfen aber sicherlich keine Konsequenzen haben, Selenes Anwesenheit und Mitwirkung bei diesem Fall war von seinem Chef legalisiert worden. Dennoch machte es ihn nervös wie Abhängig er jetzt bereits von ihr war. Zu seinem Glück schien diese Abhängigkeit beidseitig zu sein.Als er mit Selene die wenigen Stufen wieder nach oben ging griff sie nach seiner Hand und lehnte ihren Kopf an seinen Oberarm. Ethan blieb mit ihr stehen und konnte sich nicht länger zurückhalten. Als er zu ihr herunterblickte und das Schimmern von Tränen in ihren Augen sah, griff er mit beiden Händen nach ihrem Gesicht und presste seine Lippen auf ihre.
Sie hatten noch nicht darüber geredet, wie das, was sie hatten, genauer zu definieren war. Ethan würde nicht zulassen, dass sie das als Affäre abtat. Auch wenn streng genommen noch nicht mehr zwischen ihnen war als diese sexuelle Anziehung. Der Kuss aber war anders als die, die sie in der alles verzerrenden Leidenschaft von gestern Abend ausgetauscht hatten. Als seine Lippen über ihre Glitten und er versucht ihr den Trost zu spenden den sie brauchte, erwiderte sie ihn sanft und lächelte ihn dankbar entgegen.
„Ich komme wirklich zurecht", meinte sie und Ethan kam wieder das Wort >>Sturkopf<< in den Sinn.
„Du bist dennoch ein Mensch und hast das Recht auf deine Trauer, es ist in Ordnung, Selene. Du kanntest Sheriff Henry und seine Familie. Du musst dich nicht schämen nur weil du reagierst, wie jeder reagieren würde." Wisperte er leise und wischte eine entflohene Träne fort und zog sie näher an sich heran um sie weiter in den Armen halten zu können.
„Du reagierst nicht so."
„Das ist kein Kompliment, Selene. Ich bin abgestumpft, wenn es um solche Grausamkeiten geht. Das ist nicht immer angenehm", hauchte er und wünschte nichts sehnlicher als weniger kalt zu sein. Doch er wusste auch, dass ihn das ineffektiv machen würde. Und das konnte sich niemand leisten.

Beta: Geany <3 <3  

Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt