Kapitel 54
Der Rest des Tages verging so ereignislos, wie er begonnen hatte und während Selene noch an den Erkenntnissen hing, dass ein Mann mit den gleichen roten Haaren wie ihren am Tatort seine Spuren hinterlassen hatte, schien Ethan merkwürdig aufgedreht. Nachdem der Abend angebrochen war und er dem Kriminallabor keine weiteren Erkenntnisse hatte entlocken können, hatte er sich voller Tatendrang daran gemacht um sie herumzuschwirren und sie immer wieder aus dem Konzept zu bringen. Vielleicht war es noch immer diese irrationale Eifersucht, dass er ständig in ihrer Nähe war und sie mit Aufmerksamkeit überschüttete. Aber sie konnte sich nicht wehren: sie fühlte sich geschmeichelt.
Sie war noch nie von einem Mann so behandelt worden, und dass ausgerechnet ein so attraktiver Mann wie Ethan sich ihr gegenüber so benahm, ließ ihr regelmäßig das Herz in der Brust schwer werden.
„Was willst du essen, Süße?", fragte er so unglaublich zärtlich, dass es ihr ein nachsichtiges Lächeln entlockte. Eigentlich sollte sie ihn zu Ordnung rufen. Denn während sie beide in einem dieser typischen Kleinstadt Diner saßen, wurde er es nicht müde offen seinen Besitzanspruch zu demonstrieren. Hier, genau dort wo alle sie sehen konnten. Bereits beim hereinkommen hatte Selene einige ihr sehr bekannte Gesichter gesehen. Das Marry's war in Umkreis von einigen Meilen die einzige Gelegenheit sich warmes Essen besorgen zu können ohne selbst kochen zu müssen oder auf Fastfood umzusteigen.
Selene selbst war das letzte Mal Anfang des Jahres kurz hier gewesen, als sie vom Einkaufen mit ihrem alten Wagen aus der nächsten Stadt gekommen war. Beim Marry's zu Essen war okay, auch wenn sie sich lieber nicht in der Öffentlichkeit aufhielt und damit eine Angriffsfläche bot. Der alte Mann, der das Marry's führte, hatte es von seiner toten Frau übernommen und hieß jeden willkommen der zahlte und verhielt sich damit um einiges professioneller als die meisten kleineres Geschäfte in NewHollow.
Noch immer starrte Ethan sie fragend an, noch immer lagen seine Fingerknöchel liebevoll auf ihrer Wange. Mit dieser Berührung hatte er sie vor wenigen Sekunden aus ihrer Lethargie gerissen. Die Kellnerin stand immer noch mit ihrem kleinen Handbuch vor den Tisch am hinteren Ende des Ladens wo er und Seele sich niedergelassen hatten, um ein wenig vor den neugierigen Blicken geschützt zu sein. Selene James mit einem Mann in der Öffentlichkeit war wahrlich ein noch nie da gewesener Anblick. Einen älteren Mann.
Obwohl es Selene widerstrebte Ethan als Alt zu bezeichnen, sah er mit seiner einschüchternden Statur und den kantigen Gesichtszügen eindeutig nicht so aus, als wäre er noch Anfang zwanzig, wie sie selbst. Ethan hatte nichts mit den jungen Männern gemeinsam, die sie selbst noch aus der High-School kannte und in der anderen Ecke des Ladens immer wieder die Hälse reckten um etwas von dem ungewöhnlichen Pärchen zu sehen.
„Ich nehme Waffeln mit Früchten", entfloh es ihr automatisch, weil sie wirklich Lust auf etwas Süßes hatte. Ethan, der noch immer über den Tisch gebeugt zu ihr herübersah, nahm seine Hand von ihrem Gesicht und nickte zufrieden.
„Das ist das Frühstücksangebot", sagte die Kellnerin, die gelangweilt den Kopf beiseite legte und beim Aufschreiben der Bestellung zögerte.
„Ist das ein Problem?", fragte Ethan daraufhin kühl und Selene stellte mit erstaunen fest, dass die Frau, sicherlich Anfang vierzig, lediglich kurz mit den Schultern zuckte und sich von Ethans harschen Ton nicht beeindrucken ließ.
„Ne. Waffeln mit Früchten und das Steak." Wiederholte sie immer noch unbeeindruckt und zog sich dann zurück. Ethan lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und sperrte damit die ihren unterhalb des Tisches Besitzergreifend ein, Selene wies ihn darauf nicht hin. Sie liebte es, auch wenn ein emanzipierter Teil ihres Verstandes sie dringend dazu aufrief, ihm dieses Neandertaler-Verhalten auszutreiben. Das Diner war selbst am Abend immer gut besucht und es würde Gerede geben. Das war unvermeidlich, gerade wenn Ethan sich so benahm wie jetzt.
„Wir können das Essen auch einpacken lassen, wenn du dich nicht wohlfühlst", schlug Ethan vor, der ihre steife Haltung missinterpretierte. Sie schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht.
„Damit dein Hotelzimmer nach Steak riecht? Nein danke, ich will heute Abend auch noch schlafen können!", gab sie von sich und Ethan grinste.
„Dann gehst du davon aus, dass du bei mir schläfst?", fragte er und sah sie mit einem Glitzern in den Augen an. Selene spielte das Spiel mit und zuckte mit den Schultern.
„Wenn du dich benimmst kommst du in das Vergnügen meiner Gesellschaft", flirtete sie versuchsweise zurück, was Ethan zu gefallen schien, denn er grinste breit. „Ich benehme mich nie, würde ich es tun, gebe es kein Vergnügen, also sei vorsichtig mit deinen Wünschen", erwiderte er und darauf wusste Selene dann nichts mehr zu erwidern. Ihr ganzer Körper kribbelte in freudiger Erwartung dessen, was Ethan mit ihr machen würde, sobald sie wieder im Hotel waren. Ihr Mund wurde trocken und als sie sich über die Lippen leckte um sie zu befeuchten, knurrte Ethan und seine Beine drückten sich fester gegen ihre.
„Vorsicht, Süße. Reiz mich nicht!", knurrte er so leise, dass niemand anderes es hören konnte. Selene blinzelte fragend, für einen Moment war sie sich tatsächlich keiner Schuld bewusst, dann lächelte sie und spürte, wie sie dabei rot wurde.
Als das Essen kam, hatte Selene die skeptischen Blicke um sich herum schon fast vergessen und auch nach dem Essen verschwendete sie keinen Gedanken daran, was die Leute in NewHollow von ihr und Ethan wohl halten mochten. Und sie verließen das Lokal satt und dennoch irgendwie hungrig, nur eben anders.
Das nun vollkommen ausgebuchte Hotel lag still in einer wenig besuchten Gegend und wie immer wandte sich die Besitzerin nur skeptisch von ihr ab als sie zusammen mit Ethan hereinkam und schnurstracks zum Fahrstuhl schritten. Sie und Ethan hatten kein Wort mehr miteinander geredet, aber es war keine unangenehme Stille und es war auch nicht so, als hätten sie nichts mehr miteinander zu bereden, es war einfach ein verschwiegenes zusammen sein, bei der jeder die Gegenwart des anderen genoss.
Als sie die Fahrstuhltür dann zu glitt, gab Selene dem Drängen ihrer Seele nach, griff nach seinem Arm und lehnte sich vertrauensselig an ihn.
„Das Kätzchen ist nun also tatsächlich brav. Wie ungewöhnlich", murmelte er, schlang aber sofort den anderen Arm an sie und zog sie an seine Brust. Es war angenehm so dazustehen. Sie spürte seine Kraft um sich herum, die ihr Halt gab und wusste einfach, dass es für sie keinen sichereren Ort auf der Welt gab als bei ihm. Als sie zu ihm aufschaute, um ihn anzulächeln, realisierte sie noch im letzten Moment, dass Ethans Sehnsucht nicht ganz so unschuldig war bevor (der Fahrstuhl abstützte und sie beide zusammen in den Tod stützten- xD sry, konnte ich mir nicht verkneifen) er sie küsste.Beta: Geany (die das auch mega amüsant fand ) :)
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Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1
Mystery / ThrillerSeit vier Jahren unterstützt Selene mit ihren Fähigkeiten unter dem Pseudonym Alice das FBI bei ihren Ermittlungen. Aber als eine Serie von grausamen Verbrechen ihre Heimatstadt in Angst und Schrecken versetzt, wird es persönlich. Selene muss einseh...