Epilog

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Kapitel 65

Selene legte eine Tasse in die Luftpolsterfolie und wickelte sie ein um sie zu den anderen in die Kartons zu legen. Ohne groß darüber nachzudenken, was aus dem Geschirr und den anderen Sache werden würde, die sie nicht mitnahm. Das Haus ihrer Kindheit war selbst einen Monat nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus schwer zu ertragen. Gus Erinnerungen schwirrten in ihrem Kopf herum. Die Bilder wie er ihre gemeinsame Großmutter erschlug, seine Verzweiflung, seine Wut und das Glück als er James das erste Mal traf.
Es war schockierend gewesen als sie auf einem der Autopsiebilder die Ethan ihr besorgt hatte, tatsächlich den Moment zu sehen als er James kennenlernte. Der Wendepunkt seiner Geschichte. Aber anstatt eines Gesichtes hatte sie lediglich dieselbe schwarze Gestalt gesehen wie bei diesem merkwürdigen Traum in Ethans Wohnung. So etwas war davor und danach nie wieder vorgekommen, aber Selene wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ihm wieder begegnete.
Ansonsten war es ruhig geworden. Noch während sie im Krankenhaus gewesen war, war die Presse aus den Fall aufmerksam geworden und das FBI war dazu gezwungen gewesen die Identität von Gus als Mörder preiszugeben. Seitdem war NewHollow eine wahre Pilgerstadt für Leute geworden die den Leichenwald sehen wollten, wie er nun genannt wurde.
Selene wollte einfach keine Sekunde länger hier wohnen und dennoch hatte sie fast vier Wochen gebraucht um sich dazu durchzuringen hier herzukommen und es endgültig zu machen. Sie würde das Haus nicht verkaufen aber alles nach Quantico bringen, was ihr wichtig erschien. Den Rest würde die Zeit mit sich bringen.
„Ich habe deine Bücher und deinen Computer bereits im Wagen, soll ich die Senker auch schon einpacken?", fragte Ethan der gerade wieder zur Tür hereinkam und nach einem weiteren Karton griff in denen sie die Senker aus ihrem Kräutergarten in feuchte Tücher gewickelt hatte.
„Nein die zuletzt, ich will nicht das sie in der prallen Sonne stehen!", sagte sie und schloss den Karton mit dem wenigen Geschirr und beugte sich darüber um ihn zuzukleben, als ein schmerzhaftes Ziehen durch ihren Magen glitt, das sie zum aufstöhnen brachte. Ethan war sofort bei ihr und stützte sie, bevor sie zusammen sank.
„Langsam, Baby. Sowas braucht seine Zeit", murmelte er und küsste ihre Schläfe. Selene grinste in sich hinein.
„Sagt derjenige, der lediglich drei Tage zu Hause blieb, nachdem er zwei Kugeln abbekommen hatte!", murmelte sie, genoss aber seine Fürsorge. Er hatte sich Urlaub geben lassen solange Selene noch krankgeschrieben war und hatte den ganzen Tag nichts anderes zu tun als um sie herumzulaufen und sie ständig zu fragen ob sie etwas bräuchte. Zuerst hatte sich Selene Sorgen gemacht er könnte genug von ihr haben und sich genervt fühlen, wenn sie zusammen in seiner engen Wohnung lebten. Aber es war erstaunlich harmonisch, abgesehen von einigen liebevollen Krabbeleien .„Erinnere mich daran, Billy eine reinzuhauen bevor er dir wieder solche Geschichten erzählt!", hauchte er leise lachend an ihr Ohr und Selene wusste, dass er es nicht ernst meinte. Nur seine Sorge um sie war echt.
„Mir geht es gut, habe mich nur etwas zu schnell bewegt. Bringst du den Karton nach draußen? Ich suche nur noch schnell das Rezeptbuch und lege das Laken über den Küchentisch und das Sofa", murmelte sie an seiner Brust und schob ihn dann weg. Ethan grinste auf sie herab während er das schwere Paket mit dem Geschirr und vor allem dem Equipment, dass sie für ihre Tränke und Salben brauchte, in den Wagen trug.
„Zu Befehl!", lachte er in ihr Haar hinein und drückte ihr einen weiteren Kuss auf die Schläfen. Die Art und Weise wie er mit ihr umging ließ ihr Herz komplett schmelzen und alles Leid, was sie bisher erfahren hatte, schien erträglich. Für einen Moment betrachtete sie den alten Sessel in der Wohnstube, in dem stets ihre Großmutter gesessen hatte und den sie seit ihrem Tod nicht einen Millimeter bewegt hatte. Selbst jetzt könnte sie schwören den Blick der alten Frau auf sich zu spüren, aber nun führte es ihr nicht vor Augen, wie einsam sie war, sondern lediglich wie viel sie in den letzten Wochen verloren, aber auch gewonnen hatte.
Langsam zog Selene eines der Laken von dem Stapel die Ethan besorgt hatte und legte es über den alten Esstisch und sie Stühle die daran standen bevor sie mit einem weiteren die Couch bedeckte, dann griff sie zu dem letzten und ging zum Sessel ihrer Großmutter.
„Ich bin glücklich, Granma. Ich liebe ihn wirklich. Du musst nicht mehr auf mich aufpassen, ich komme zurecht", hauchte sie in den Raum hinein und breitete auch über den Sessel ein Tuch. Es genügte ein schneller Blick durch die Räume um sicherzustellen, dass sie nichts vergessen hatte, dann griff sie nach ihren Senkern und machte sich auf den Weg zur Tür.
Dass sie aus den Augenwinkeln geisterhafte Schemen sah, die in dem Sessel hockten, ignorierte sie. New Hollow war ein merkwürdiger Ort und verbarg viel zu viele Geheimnisse um sie jemals vollständig verstehen zu können. Aber ihr Leben hier endete vorerst und sie hatte genug von Leichen, Mördern, verfluchten Ruinen und Geistern. Es reichte für ein ganzes Leben, aber Selene wusste, dass es nicht aufhören würde. Denn wenn sie genauer darüber nachdachte, wie sich der Abdruck einer Person in den Sessel mit dem Laken drückte, würde sie es nie loslassen können.Ihre Großmutter würde diesen Ort wohl nie wirklich verlassen, aber sie konnte das.„Bis bald, Granma. Ich habe dich lieb."
Und damit schloss sie die Tür ihrer Vergangenheit, während sich die ihrer Zukunft weit öffnete. Dennoch: es war noch nicht vorbei.

Ende

Beta: Geany

Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt