Kapitel 10
„Oh, Entschuldigen Sie bitte das Missverständnis." meinte Selene deutlich unterkühlt zu Lindsey, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. „Ich bin eher jemand, der die Hilfe des FBI benötigt. Agent McAllan war lediglich so nett sich meiner anzunehmen."
Lindsey wich den Blick der Männer im Raum aus, im vollen Bewusstsein darüber, dass sie sich gerade lächerlich gemacht hatte. Aber sie war zu stur, um um Verzeihung zu bitten. Sie wechselte einfach gekonnt das Thema. Ganz so als wäre nichts geschehen. Ganz Lindsey eben.
„Na, wie können wir dir helfen, Kind?", fragte Lindsey und brachte sogar ein Lächeln zustande. Niemand wollte weiter auf dieser peinlichen Situation herum hacken, also nahm Ethan diesen Faden nur allzu gerne auf.
„Ein Serienmörder in NewHollow, Virginia. Bislang zwei Opfer von denen wir wissen, in Abstand von einigen Jahren. Ich brauche jemanden der Misses James Aussage aufnimmt und eventuell Kontakt zu der örtlichen Polizei aufnimmt." Ethan starrte auf seine Uhr. So weit weg konnte diese Stadt ja nicht sein. Er wusste nicht genau, wo sie lag, tippte aber auf den westlichsten Zipfel kurz vor der Grenze zu Kentucky und Tennessee.
„Sollte ich das nicht übernehmen?", fragte Selene ihn mit diesen großen, wunderschönen Augen, in die er immer fast zu versinken drohte.
„Wenn er tatsächlich so vernünftig ist, wie Sie behaupten, wird das nicht nötig sein", meinte er nur kühl und Selene presste die in einem etwas dunkleren Rotton schimmernden Augenbrauen zusammen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie wütend war und dass ihre Haarfarbe natürlich war. Verdammt, er stand einfach auf echte rothaarige, dagegen konnte er nichts machen und sie ja schließlich auch nicht.
Er wandte sich von ihr ab um die wenigen Stunden, die dieser Tag noch hatte, möglichst sinnvoll und arbeitsreich zu verbringen.
„Das wird schwer, Ethan. Das Büro ist fast leer und ich denke, dass die junge Dame sich gerne ausruhen würde." Meinte Derek so umsichtig wie immer. Ethan ließ seinen Blick wieder zu Selene gleiten. Sie sah weder müde noch kooperativ aus. Sofern das ging erschienen ihre grünen Augen noch sehr viel wutentbrannter als zuvor.
„Versuchen Sie mich aus dem Fall zu drängen, Agent McAllen? Ich dachte, dieses Thema hätten wir bereits geklärt."
„Ich versuche die Vorschriften einzuhalten." Verteidigte er sich und blickte dann zu Lindsey.
„Lindsey, seien Sie bitte so nett und rufen Sie Bobby an, er soll seinen Hintern hier herbewegen und ich bin mir sicher, dass Carsten und Dean definitiv noch da sind. Ich habe die beiden noch nie Feierabend machen sehen. Ich werde Croffort suchen, damit wir den Fall offiziell übernehmen können. Derek, bitte seinen Sie so nett und nehmen die Aussage von Misses James auf."
Als er ging sah er noch aus den Augenwinkeln, wie Lindsey sich erhob und ihm hinterherlief. Sie holte ihn kurz vor dem Fahrstuhl ein, der in die Chefetage des FBI Hauptquartiers in Quantico fuhr. Sie kam umgehend zur Sache:
„Ethan? Warum übernehmen wir einen Fall, von dem Croffort noch gar nichts weiß?", fragte sie, so schnell von Begriff, wie sie es als gute Agentin eben war. Ethan stöhnte nur. Er hatte den ganzen Abend mit einem besonders lebhaften Teil der Damenwelt diskutiert, Lindsey wäre jetzt definitiv zu viel.
„Er wird es gleich erfahren", wich er seiner Stellvertreterin aus, die aber nicht locker ließ. Das tat sie nie. Sie war wie ein gottverdammter Rotweiler.
„Nein, Ethan! Es ist ihretwegen stimmt's?" Er warf einen Blick in Richtung der Decke, bevor er auf Lindsey herab lächelte. Eifersucht. Warum in alles in der Welt musste er sich damit immer wieder herumschlagen?
Sowohl die, die er verspürte, als auch Lindseys?
Die meisten seiner weiblichen Bekanntschaften warfen ihm Gefühlskälte vor, waren unglücklich, weil er ihnen kaum Beachtung schenkte und dennoch gab es immer wieder Exemplare, die der festen Meinung waren, er würde anderen Frauen mehr Aufmerksamkeit schenken. Was nicht stimmte.
„Verdammt, du hast dich noch nie von einem hübschen Lächeln einwickeln lassen!", fuhr sie ihn weiter an und Ethan erkannte, dass er mit Ignoranz diesmal nicht weiter kommen würde. Der Rotweiler, hatte sich bereits in seinem Hosenbein verbissen.
„So ist das nicht."
„Ach nein, wie dann?" Er stöhnte genervt. Er bereute die Nacht mit Lindsey momentan mehr als je zuvor.
„Ethan verflucht! Wenn die Kleine in der Klemme steckt, ist das Letzte was ihr hilft, ein FBI-Agent der offensichtlich befangen ist!"
„So ist das nicht!", knurrte er bitter und mit so viel Nachdruck, das jeder Andere endlich Ruhe gegeben hätte. Nicht Lindsey, nicht seine Stellvertreterin und zu seinem Leidwesen musste er sich eingestehen, dass genau das sie zu einer guten Stellvertreterin machte.
„Dann sag mir endlich wie es ist!"
„Wir sind es ihr schuldig, verflucht nochmal!" Das waren sie wirklich. Sie alle waren es Selene mehr als schuldig zu helfen. Ethan, Lindsey, das gesamte beschissene FBI. Er hatte sich eigentlich vorgenommen keinem zu verraten wer Selene tatsächlich war, doch er musste einsehen, dass zumindest Lindsey es wissen musste.
„Wieso? Wer ist sie?"
„Alice." Der Fahrstuhl gab einen Laut von sich und die Türen schoben sich auseinander, um seiner breiten Statur Platz zu machen. Er sah im Spiegel des kleinen Raumes wie Lindseys Gesicht erstarrt war, doch sie fing sich schnell genug wieder um zwischen den sich schließenden Türen zu ihm hineinzuschlüpfen.
„Die Alice?", fragte sie flüsternd, als wolle sie verhindern, dass sie irgendwer hörte.
„Ja."
Sie runzelte die Stirn. „Bist du sicher?"
„Ja, scheiße nochmal, bin ich! Sie ist es und wir sind es ihr einfach schuldig, klar? Also wäre es schön, wenn du deinen Job machen würdest, während ich den meinen mache und das ist ein Befehl, Lindsey!"
Sie sah ihn noch immer skeptisch an, drückte wahllos auf den Knopf irgendeiner Etage und wartete, bis die Tür aufging und sie hinaustreten konnte.
„Damit das klar ist, Ethan: Wir können ihr nicht vertrauen. Keiner weiß, welches Spiel Alice spielt, was ihre Motive sind oder woher sie ihre Informationen hat. Meinen Verdacht dazu habe ich dir bereits einmal erläutert und ich werde dem Mädchen auf den Zahn fühlen. Im Gegensatz zu euch Männern werde ich nämlich hinter diese vermeintlich hübsche Fassade sehen und du wirst mich nicht davon abhalten!"
Ethan sah sie so lange an, bis die Türen sich wieder schlossen und der Fahrstuhl seine Fahrt mit einem Ruck wieder aufnahm. Es störte ihn. Er wusste nicht warum, aber obwohl Lindsey nur vorhatte tatsächlich ihren Job zu tun, störte es ihn, dass jemand in Selenes Privatsphäre herumwühlte. Doch er schüttelte das Gefühl ab. Es war besser so.Beta: Zitronenlimonade
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Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1
Mystery / ThrillerSeit vier Jahren unterstützt Selene mit ihren Fähigkeiten unter dem Pseudonym Alice das FBI bei ihren Ermittlungen. Aber als eine Serie von grausamen Verbrechen ihre Heimatstadt in Angst und Schrecken versetzt, wird es persönlich. Selene muss einseh...