Wie wir

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Kapitel 51
„Eine verschwundene Schwester", flüsterte Selene mehr zu sich selbst, doch Ethan gab dies genau den Anstoß, den er gebraucht hatte. Er griff zielsicher nach einem der Tagebücher und blätterte eine Seite auf in der genau davon die Rede war. Eine verschwundene Schwester.

>>Gestern Abend kam eine junge Frau zu mir. Sie sucht ihre Schwester. Ich bat sie, sich mit ihrem Fall an die Polizei zu verwenden, doch die haben ihren Fall bereits zu den Akten gelegt. Lediglich eine weitere verschwundene Amerikanerin, wie so viele andere. Sie flehte mich dennoch an, ihr zu helfen. Ich bin mir nicht sicher was es bringen soll. Die Wahrheit sagen kann ich ihr schließlich nicht. Ich weiß nicht mal warum ich zugestimmt habe sie überhaupt hereinzulassen. Es war definitiv ein Fehler. Ich gab ihr lediglich schwammige Antworten, was die junge Frau verzweifeln ließ. Es tut weh zu wissen, dass man helfen kann und einen doch die Hände gebunden sind. Aber das was ich sah, gehört definitiv nicht zu den Dingen, die man mit Angehörigen teilen sollte... oder in einem Buch festhält. Ich will dem Bösen weder Tür noch Verstand öffnen.

Doch eines hat mich zögern lassen: Sie war enttäuscht meine Lügen zu hören, ja. Doch ich spürte, dass sie wusste, dass ich log. Das ich mich mit Absicht als Hochstaplerin ausgab. Sie wusste es, genauso wie sie tief in ihrem Inneren wusste, dass ihre Schwester tot war.
Ich hatte vergessen, wie verbreitet wir noch immer sind. Trotz all der Jahrhunderte und Generationen. Es ist lange her und es tat gut zu wissen, dass man nicht allein war. Ich weiß nicht, ob sie sich darüber überhaupt im Klaren war. Nur wenige können ihre Gaben erklären.
Dennoch werde ich nicht helfen. Ich muss an Selene denken, sie braucht mich. Ich habe sie dennoch gewarnt: Wenn sie das Böse sucht, würde sie es finden und ich weiß, das sie meine Warnung ignorieren wird.
Ihr Bauchgefühl wird sie an ihr Ziel bringen, aber ihr Ziel ist ein kaltes, nasses Grab. <<


Wir.

So wie wir.

Ethan sah von dem Tagebuch auf und betrachtete Selene mit scharfem Blick. Ihr blasses Gesicht, die schönen roten Haare, diese Lippen... Gott, er liebte ihre Lippen und wollte in diesen Moment nichts lieber tun, als nach ihr zu greifen und seinen Schwanz dazwischenschieben. Doch diese Zeit hatte er nicht, denn seine Gedanken überschlugen sich ein duzend Mal bis sein Bauchgefühl die Oberhand übernahm.

„Danke, Dean.", sagte er ohne den Blick von Selene zu nehmen, die ihn mit immer tiefer gehenden Stirnfalten betrachtete. Er drückte den Bildschirm des Laptops herunter und ließ das Tagebuch auf den Stapel der anderen fallen.
„Was ist los?", fragte Selene und Ethan erhob sich und wanderte einige Male hin und her um sich selbst und seine Gedanken zu ordnen. Es war klar gewesen, das sie diese Unterhaltung würden führen würden. Sie war notwendig und sie war verflucht nochmal nichts, was einfach nur zwischen ihnen beiden geklärt werden musste. Sie war wichtig für den Fall.
„Er weiß was du bist", begann Ethan und versuchte alles auszublenden was Selene als Person ausmachte. Ihre Schönheit, ihre schwere Vergangenheit und auch der Klang ihrer Stimme, wenn sie unter ihm einen Orgasmus hatte. Er versuchte das alles abzuschütteln und übrig blieb eine junge Frau, die ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Die Dinge wusste, die keiner wusste und sie war nicht allein.
Hannah James war genauso gewesen und sie waren nicht allein.
Wir.
So wie wir.
Das hatte die alte Frau geschrieben und vielleicht war Selene mit ihren Kräften einfach nichts Besonderes. Vielleicht war der Mörder, die Mörder, so wie Selene. Und wenn das stimmte, musste Selene es wissen, oder?
„Ethan ich-„
„Nein. Er weiß es, ich fühle es, dass er es weiß. Er ist nicht im speziellen hinter dir her, sondern hinter allen, die so sind wie du." Er zögerte, bevor er weiter sprach.
„Vielleicht enthält diese Verteilungstacktik tatsächlich ein Körnchen Wahrheit. Vielleicht glauben die Täter einfach das richtige zu tun. Deine Gabe ist vererbbar, stimmt's?", fragte er ohne auf eine Antwort von Selene zu warten. Er griff nach ihrem Arm und zog sie zu sich auf die Füße. Kurz flimmerte etwas wie Angst in ihren Augen auf, aber sein Griff war zärtlich, auch wenn seine Hand bebte.
„Du bist eine verdammte Hexe." Hauchte er und obwohl ein Vorwurf in seinen Worten mitklang, meinte er es nicht so. Sie zuckte unter diesen harten Worten zusammen und glaubte wahrscheinlich, er würde seine Meinung wieder ändern, was sie betraf. Aber das tat er nicht.
„Du bist meine Hexe", hauchte er und drückte sie an sich. Wenn seine Theorie stimmte, würde sie gejagt werden und er musste sie beschützen. Seine Arme schlossen sie ein und Angst griff wie ein Monster aus der Tiefe nach seinem Herzen. Seine Hand flog in ihren Nacken, drückten sie fester an sich und irgendwann verlor Selene die Anspannung und gab sich seiner Nähe hin. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie dem was sie hatten, zuversichtlich gegenüberstand, bis sie ihm vollkommen vertraute. Ihm und seinen Gefühlen zu ihr.
„Eigentlich bin ich ein Orakel, keine Hexe", sagte sie vorsichtig und Ethan konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Seine Lippen zuckten an ihrem Hals und er spürte wie sich Selene wieder versteifte, ihre Nackenhaare sich aufrichteten. Diesmal aber nicht aus Angst, sondern aus Begehren.
Das gefiel ihm und sein Beschützerinstinkt schlug in Habgier um. Sein Daumen strich über ihren Nacken, während Selene verzweifelt versuchte beim Thema zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen. Es war süß, wie ihre Stimme zitterte als sie versuchte noch etwas zu sagen und wie sie plötzlich verstummte als er wie zufällig seine Lippen über ihren Puls gleiten ließ, der sofort noch weiter an Tempo zunahm. Sie war jung und hatte erst letzte Nacht damit angefangen ihre ersten Erfahrungen zu machen. Ein Damm, der eingerissen wurde. Sie kämpfte mit sich und ab jetzt würde sie jede seiner Berührungen daran erinnern, was sie gestern getan hatten. Und sie würde mehr wollen.
„Was weißt du über deine Familie?", fragte Ethan.
„Du glaubst doch nicht wirklich, dass diese Leute am Baum wie ich waren?", erwiderte sie etwas unsicher und Ethan konnte ihr darauf nichts sagen. Ja, er glaubte es. Aber das war nur eine Theorie und würde diese Fixierung auf Selene erklären. Es stellte sich dann nur die Frage warum sie nicht schon längst in einem dieser Gräber gelegen hatte.
Bei dem Gedanken sie hätte eines der Opfer sein können, wurde Ethan kalt und er drückte sie noch näher an sich. Allerdings etwas zu fest.
„Ethan, nicht so fest!", beschwerte sich Selene und drückte ihre Handflächen gegen seine Brust. Er verstand immer noch nicht, wo die verdammte Verbindung war, die Selene bis jetzt am Leben erhalten hatte. Er machte sich nichts vor: Sie wäre ein einfaches Opfer gewesen, so alleine da draußen in dem Haus.
„Hast du einen Stammbaum oder etwas Ähnliches?", fragte er und Selene schüttelte den Kopf und Ethan musste sie loslassen, um nach seinem Handy zu greifen und Dean eine Mail zu schreiben. Doch ein hektisches Klopfen unterbrach ihn. Noch während des Tippens ging Ethan zur Tür des Hotelzimmers und öffnete die Tür. Es war Derek und hinter ihm zwei Beamte, die wohl zur örtlichen Polizei gehören mussten. Ethan drückte auf Senden, bevor er zu seinem älteren Kollegen blickte und ihn fragend ansah.
„Was ist?", fragte Ethan, aber der erfahrene FBI Agent trat lediglich beiseite und machte den einfachen Beamten hinter ihm Platz. Sie betraten den Raum und gingen direkt auf Selene zu.
„Nur eine Vorsichtsmaßnahme", meinte Derek leise. In Ethan schrillten sämtliche Alarmglocken, doch noch bevor er es verhindern konnte griff Derek nach ihm um ihn zurückzuhalten während die beiden Beamten sich vor Selene aufbauten.
„Selene James? Wir müssen Sie in Gewahrsam nehmen, bitte folgen Sie uns!" sagte einer von ihnen und als einer der Männer es wagte, nach Selene zu greifen und ihren Arm zu umfassen, rastete er aus.  


Beta: Geany ^^

Das Alice Projekt - An Oracale-Mystery-Thriller Bd1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt