2. Die unvergessliche Liebe

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FATİH

„No lover leaves a rose garden without blood on their hands."

Mitch Nihilist

Seufzend werfe ich meinen Rucksack auf den Boden neben der Wohnungstür und laufe mit müden Schritten in die Richtung des Badezimmers, um eine kurze Dusche zu nehmen.
Die heutigen Vorlesungen haben mir jegliche Kraft geraubt, sodass ich mich nach der Erholungsdusche nicht weiter quäle und mich in meinem Bett verschanze.
Sobald ich jedoch meine Augen schließe, begegne ich warmen, braunen Augen — ihren Augen. Betüls Augen. Seufzend greife ich nach meinen Schlaftabletten und meiner Wasserflasche, die auf der Kommode neben meinem Bett stehen, denn anders finde ich in der Regel keine Ruhe.

„Fatih, du Esel!", ertönt eine Stimme inmitten meines Tiefschlafs, die mich unsanft weckt. Einige Male blinzele ich, um mich an das helle Licht zu gewöhnen — die Uhr an meiner Wand lässt mich wissen, dass es bereits der Mittag des nächsten Tages ist. Erst einige Augenblicke später erkenne ich meinen Bruder, der in der Tür steht und mich hilflos anblickt. Als er bemerkt, dass ich langsam wach werde, wird sein Blick düster. „Junge haben wir dich nach Hannover geschickt damit du depressiv wirst?!", ruft er aufgebracht aus und kommt mir bedrohlich nahe. „Mirza, bitte", ich seufze laut und fahre mir mit beiden Händen übers Gesicht, mit der Hoffnung dadurch schneller wach zu werden. „Was ist dein Problem? Denkst du, dass du der einzige bist, der so einen schrecklichen Abschied von seiner Liebe nehmen musste?", er läuft in meinem Zimmer auf und ab, kocht vor Wut. „Abi, nicht heute, bitte", bete ich ihn verzweifelt und sofort scheint er wie ausgewechselt. Langsam läuft er auf das Bett zu, in dem ich noch immer sitze, und nimmt mich in die Arme. „İyi ki doğmuş Betül (Zum Glück wurde Betül geboren, Türkischer Geburtstagswunsch)", flüstert er in mein Ohr und atmet anschließend tief aus. Ein unwillkürliches Lächeln schleicht sich auf meine Lippen — es ist schön, dass auch er sich an ihren Geburtstag erinnert.

„Komm, lass uns an die schöne Zeit denken", mein Bruder lächelt mich schief an, während er mit zwei Tassen Kaffee mein Zimmer betritt. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht setze ich mich auf den Boden, warte bis er vor mir zum Stehen kommt und mir die beiden Tassen reicht, um ebenfalls auf dem Boden Platz zu nehmen.

„Zum ersten Mal gesehen hatte ich sie in der fünften Klasse, als ich euch auf das Gymnasium gefolgt war", ich umfasse die Tasse mit beiden Händen. „Sie hatte ein weißes Kleid mit gelben Punkten an, hat so gewirkt, als wäre sie die Sonne höchstpersönlich."
Ohne es zu verhindern, oder es gar verhindern zu wollen, erscheint genau dieses Bild vor meinem inneren Auge.
„Danach hatte sich alles wie von selbst entwickelt – sie war in mein Leben getreten, ohne dass ich etwas gemerkt hatte. Zümras Anwesenheit in unserem Leben hatte mich ohnehin davon abgehalten, dass ich eine Abneigung gegenüber Mädchen entwickeln konnte", ich grinse leicht bei dem Gedanken an unsere ersten Tage auf der neuen Schule. „Unsere damalige Lehrerin war davon überzeugt, dass eine Junge-Mädchen-Sitzordnung unsere Hemmungen gegenüber dem anderen Geschlecht aus der Welt schaffen würde – und so war es tatsächlich auch. Betül und ich haben uns immer besser verstanden, wir waren auch außerhalb der Schule Freunde. Das hatte ich bemerkt als ihre Eltern unsere kennen lernen wollten", ich blicke zu meinem Bruder, der als mein Spiegelbild durchkommen würde. Der einzige Unterschied, den wir aufweisen, sind unsere Augenfarben. Sein liebevolles Grünbraun, das einen mit Wärme und Liebe erfüllt, ist das Gegenteil zu meinen kalten, meeresblauen Augen.
„An dem Tag, an dem ihre Eltern bei uns zum Essen eingeladen waren, hatte sie ein weißes Kleid an, mit dem sie wie ein Engel aussah", ich recke das Kinn und blicke auf das Bild auf meinem Schreibtisch – jenes Bild, das meine Mutter am besagten Tag von uns beiden geschossen hatte, während ich ihr einen selbstgepflückten Blumenstrauß reiche.
„Daran erinnere ich mich noch sehr genau. Zümra war total eifersüchtig an dem Abend", die Worte meines Bruders lassen mich auflachen – das stimmt. „Sie war es nicht gewohnt uns mit anderen Mädchen zu teilen — eigentlich ist sie es immer noch nicht gewohnt", ich zucke nun mit einem breiten Grinsen im Gesicht mit den Achseln.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt