11. Die Gruppe

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MISLINA

„Friends are medicine for a wounded heart and vitamins for a hopeful soul."

Steve Maraboli

„Komm schon", Aminata schiebt die Unterlippe schmollend vor und schaut mich aus ihren braunen Augen flehend an, sodass ich kurz aufseufze. Arthur hat sie mir vor einigen Tagen vorgestellt und seitdem verbringen wir jede freie Minute zwischen den Vorlesungen miteinander. „Es wird auch nur halb so schlimm, versprochen", lacht Arthur neben uns und legt einen Arm um meinen Stuhl. „Ich weiß es nicht, ich gehe nicht in Shishabars — Prinzipien und so", ich blicke in den Himmel, als könnte er mir die Entscheidung abnehmen. „Es ist ja eher eine Art Cocktailbar", versucht die afrikanische Schönheit mich zu überreden. „Ich denke nicht, dass das ein gutes Argument war, Nata", Arthur grinst kopfschüttelnd und unwillkürlich ziehen sich meine Mundwinkel in die Höhe, denn der Pole kennt mich viel zu gut und das, obwohl wir uns noch gar nicht so lange kennen. „Wir gehen gegen Mittag hin, da ist wirklich nie was los", dieses mal übernimmt Arthur das Sprechen um mich zu überzeugen, „und falls du dich tatsächlich unwohl fühlen solltest, musst du auch nicht lange bleiben, beziehungsweise kannst du direkt gehen." Ich seufze nochmal auf, schließe die Augen und nicke dann schließlich. „Ja!", höre ich Aminata rufen und im nächsten Moment schlagen die beiden beieinander ein. „So meine Lieben, wir treffen uns in einer Stunde im Roof Garden. Wir müssen euch endlich unsere blonde Schönheit vorstellen", sie nimmt vermutlich eine Sprachnachricht für ihre Kindheitsfreunde auf, denen sie mich vorstellen wollen, denn als ich meine Augen wieder öffne, hält sie ihr Handy auf der Höhe ihrer Lippen.

Als wir dann tatsächlich nach einer Stunde auf den Strandsesseln sitzen und auf die Truppe der beiden Kindheitsfreunde warten, packt mich ein mulmiges Gefühl — was ist wenn ich in der Gruppe nicht gut ankomme? Dann werden die beiden außerhalb der Uni ganz sicher keine Zeit für mich haben.

„We gon' party like it's yo birthday", ertönt plötzlich eine tiefe Männerstimme hinter mir, der mit dem 50 Cent Lied mitsingt, das im Hintergrund läuft. „Da ist ja unser Kongolese", lacht Arthur und erhebt sich von seinem Stuhl, um den Jungen in seine Arme zu nehmen. „Du musst Mislina sein. Ich bin Nasir", nachdem er auch Aminata — mit einem Handschlag — begrüßt hat, wendet er sich zu mir und hält mir die Faust hin. „Ja", ich grinse leicht und gebe ihm eine Ghettofaust. „Ist es Zufall, dass du den gleichen Namen wie Nas hast?", frage ich — weil ich mir die Frage nicht länger verkneifen kann. „Endlich jemand, der mein Rapper-Potential erkennt. Mislina, du wirst meine Managerin, falls ich es weit bringen sollte mit meinem Talent", er grinst und zeigt mir seine weißen Zähne. Ich kann mir ein leises Lachen nicht verkneifen, weswegen ich mir die Hand vor den Mund halte. „Was ist wieder sein Problem?", ertönt die nächste fremde Stimme, nach der ich mich umdrehe — es war definitiv ein Fehler mit dem Rücken zum Eingang zu sitzen. Ich begegne einem dunkelblonden Jungen, der amüsiert zu Nasir schaut. „Du bist mein Problem, alter. Siehst aus wie ein Klaus Peter, heißt aber Abdulkadir. Sag mir mal, was sich deine Eltern dabei gedacht haben?", Nasir grinst frech doch umarmt er seinen Freund im nächsten Moment brüderlich. „Mislina, oder?", Abdulkadir lächelt mich zögernd an — ich sehe wie seine Hand kurz zuckt, weil er nicht weiß, wie er mich begrüßen soll, bis er es bei einem Nicken belässt und gegenüber von Nasir Platz nimmt. „Ja, genau. Freut mich dich kennenzulernen", ich lächle ihn freundlich an und blicke zu Aminata, die zum Sprechen ansetzt. „Sonst kommt ihr alle auch nicht getrennt, was ist heute das Problem?", fragt sie und verdreht die Augen, „Wollt ihr Mislina nicht abschrecken, oder was geht euch durch den Kopf?" Abdulkadir fährt sich durch die Haare, grinst sie von der Seite an und befeuchtet die Lippen, um ihr zu antworten. „Weißt du, es gefällt uns extrem, wenn du dich aufregst", über seine Worte verdreht die Afrikanerin nur die Augen und blickt mich an. „Vielleicht war es doch eine schlechte Idee, dich diesen Idioten vorzustellen. Das Problem bei denen ist, dass du sie nie wieder los wirst. Es tut mir leid, für dich", sie blickt kurz angeekelt zu den beiden Jungs, die ich vor einigen Minuten kennengelernt habe. „Hey-yo, ihr diskutiert ja schon, bevor ich hier bin", eine Kopftuchträgerin nimmt — ziemlich unerwartet — auf dem Stuhl neben Aminata Platz und drückt ihr einen Kuss auf die Wange. „Übrigens ist es echt nett von dir, Bruderherz, dass du keine drei Minuten auf mich warten konntest", sie verdreht die Augen und schaut zu Abdulkadir. „Hallo Mislina, ich bin Hafsa, die Schwester von diesem Idioten", sie deutet auf den dunkelblonden Jungen, der ihr nicht unterschiedlicher sehen könnte, weswegen ich meine Überraschung nicht zu verstecken versuche. „Wunder dich nicht — wir haben die gleichen Eltern, nur komme ich nach unserem türkischen Vater und er nach unserer bosnischen Mutter. Das ist echt unfair, manchmal wünsche ich mir sein deutsches Aussehen, damit ich die Leute nerven kann, die den Islam und das Deutschsein nicht vereinbaren können", sie richtet ihr Kopftuch und schneidet gleichzeitig Grimassen, die verdeutlichen, was sie von diesen Menschen denkt. Damit bringt sie mich leicht zum Lachen, denn ich kann verstehen, wie schwer es für sie ist — als eine Kopftuchträgerin ist man so vielen Vorurteilen ausgesetzt, dass man am Denkvermögen der Menschen zweifelt.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt