Bonuskapitel 6 - Mina

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Freundschaft(f)t

MINA

„Soulmates come in the form of friends too, it's not just about romance. Sometimes, it's your best friend who makes you feel whole and who understands you the most when the world doesn't understand you at all."

Sylvester McNutt III

„Teilen Sie sich bitte in zweier Teams auf", der Praktikumsbetreuer blickt in die überschaubar große Gruppe und nickt einmal bekräftigend. Wir haben gerade als Einführung unseres vierwöchigen medizintechnischen Parktikums eine einstündige Sicherheitsbelehrung hinter uns gebracht, die alles andere als angenehm war. „Mina, wir würden eine zweier Gruppe sein", höre ich Kathrin neben mir sagen — sie und Paula sind meine einzigen Freunde, die ich nun in den ersten drei Semestern meines Studiums gefunden habe. Verstehend nicke ich, denn etwas anderes bleibt mir nicht übrig. Die Praktikumsgruppe ist geradzahlig, sodass wir alle zweier Gruppen bilden müssen. Langsam trete ich zum Betreuer vor und sehe vom Augenwinkel, dass der Junge mit den tätowierten Unterarmen, der mir schon im ersten Semester aufgefallen war, ebenfalls vortritt. Ich habe schon viel von ihm gehört, denn mit seiner unnahbaren Art zieht er die Aufmerksamkeit unserer weiblichen Kommilitonen besonders an. „Ich nehme an, Sie beide haben keine Partner. Dann wäre das ja auch schon die Antwort auf ihre Frage", spricht uns der Betreuer an und nickend wende ich meinen Blick zu dem Jungen, der mich ebenfalls zu beobachten scheint. „Dann lass uns mal los", er nickt in die Richtung der Arbeitsbanken und folgt mir, nachdem ich einen Schritt vor den anderen setze.

„Ich bin übrigens Vahap", stellt er sich vor und automatisch reiße ich die Augen auf — mit allem hätte ich gerechnet, aber nicht damit, dass der Junge vor mir aus dem Orient kommt. „Ehm, Mina", ich lächele leicht und richte meinen Kittel. „Warum hast du so geschaut? Ich sehe nicht aus, wie ein Türke, oder?", er grinst leicht und steckt sich die Hände in die Hosentaschen. Dabei schiebt er seinen Kittel leicht zurück und spannt seine Unterarme an, dessen Tattoos nun noch deutlicher zur Geltung kommen. „Nimm's mir bitte nicht übel, aber nicht wirklich. Ich hätte dich als Italiener eingeschätzt", ich schüttle leicht mit dem Kopf, denn ich sehe keinen Grund darin ihn anzulügen. „Gott segne mein Aussehen", er lacht leise und senkt für einen kurzen Augenblick den Kopf. „Ich fand es in meiner Jugend nicht so prickelnd, dass ich immer in irgendwelche Schubladen gesteckt wurde, in die ich meistens gar nicht passte. Dann habe ich mich und mein Umfeld geändert, habe angefangen mein eigenes Ding durchzuziehen und bin so geworden. Seitdem werde ich nicht mehr direkt als Türke eingestuft", er hebt den Blick und seine graugrünen Augen durchbohren mich. „Aber das zeichnet mich aus. Ich bin anders als die anderen", ich muss leise lachen, denn diese Ansicht ergibt deutlich Sinn und unterstreicht im Grunde auch meine Handlungsgründe. „Aber du wirkst auch nicht auf mich wie eine Klischee-Türkin", er zieht die Augenbrauen zusammen und blickt mir tief in die Augen. Ein leises Lachen entweicht meinen Lippen, ehe ich sie befeuchte und zum Sprechen ansetze. „Ich nehme das jetzt einfach als ein Kompliment hin", ich grinse leicht und streiche mir eine Locke, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst hatte, hinter mein Ohr. „Ich glaube wir werden ein gutes Team", er lacht und zeigt mir damit seine Grübchen, die auf seinen beiden Wangen erscheinen. Für einen kurzen Moment vergesse ich das Atmen, denn diese kleinen Einbuchtungen nehmen mir jegliches Denkvermögen.

***

Seit eineinhalb Jahren ist Vahap nun ein Teil meines Lebens. Er hat sich in dieser Zeit einen Platz in meinem Herzen und in meinem Leben verschaffen, der wahrscheinlich von keinem Menschen so gut eingenommen werden könnte, wie er es tut. Niemand könnte mich so fühlen lassen, wie er. Wir stehen inzwischen kurz vor unserem Bachelorabschluss, sind fleißig dabei unsere Abschlussarbeiten zu schreiben und besuchen nebenher noch die letzten Vorlesungen und Seminare.
Langsam, aber sicher bahnt sich das Wochenende an — mich trennen lediglich eine Vorlesung und ein Seminar von meinem lang ersehnten Wochenende in Stuttgart. Mein Telefon, das neben meinem aufgeklappten Laptop liegt, beginnt plötzlich zu klingeln und mit zusammengezogenen Augenbrauen nehme ich Mehdis Anruf an. „Ich hasse es, dass du soweit weg bist, dass du einfach gegangen bist. Ich hasse es so sehr!", das sind die ersten Worte, die aus dem Hörer kommen, noch bevor ich einen Laut von mir geben konnte. Mehdis Stimme klingt verzweifelt, überfordert und verletzt. Mir ist bewusst, dass er das zwar genauso meint, wie er es sagt — denn wir leiden beide unter dieser verdammten Distanz —, mich damit aber keineswegs verletzen möchte. Ich weiß, dass etwas passiert sein muss, sodass er mir diese Worte an den Kopf wirft, doch kann ich es nicht verhindern, dass er mich trifft. Um meine Verletztheit zu überspielen, bleibe ich einige Sekunden still, schlucke den Kloß in meinem Hals runter und schließe die Augen. Nicht jetzt.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt