21. Diagnose

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MISLINA

„Eine Krankheit genügt um ein ganzes Leben zu verändern."

Als ich aufwache, fühle ich mich so, als hätte man mich die ganze Nacht über gepeinigt. Langsam wandert mein Blick durch das helle, weiß eingerichtete Zimmer und automatisch ziehen sich meine Augenbrauen zusammen. Ich erinnere mich nur noch daran, wie wir bei Fatih gelernt haben, aber das hier ist nicht seine Wohnung.
Nein, das ist ein Krankenhaus.
Meine Blicke bleiben an Elif, Abdulkadir und Hafsa hängen, die auf den drei Stühlen in der hinteren Ecke des Zimmers sitzen. Sie haben ihre Köpfe auf dem Tisch abgelegt, um den die Stühle stehen, und schlafen. Ich stelle erfreut fest, dass ich mir das Zimmer mit keinem teile, denn so kann sich niemand über meine Besucher beschweren.
Kurz lächle ich und lasse meine Blicke weitergleiten, ehe ich mein Handy auf der kleinen Kommode neben dem Bett erkenne und danach greife. Dabei spüre ich einen stechenden Schmerz, der von dem Katheter ausgeht, der in meiner Hand steckt.

Ich bin nur kurz an der Uni, habe deswegen Hafsa und Abdulkadir gerufen. Elif ist zwar seit gestern schon bei uns, aber ich wollte auch sie nicht alleine lassen. Deine Mutter ist auch heute morgen losgefahren, also wunder dich nicht, falls sie vor mir da sein sollte. Ich bin aber so schnell wie nur möglich zurück", lese ich Fatihs Nachricht, die auf dem Bildschirm erscheint, sobald ich mein Handy anhebe. Ich versuche die vielen Informationen zu verarbeiten und realisiere als erstes, dass er vermutlich wegen seiner Klausur zur Uni musste. Die Nachricht hatte er vor etwas mehr als einer Stunde geschrieben und wenn er die Klausur mitschreibt, müsste er langsam fertig werden.
Mach dir keine Sorgen. Hoffentlich hast du die Klausur mitgeschrieben und kommst mit einem guten Gefühl zurück", tippe ich und lächle zögernd.

„Mislina? Du bist ja wach!", als mich Abdulkadirs Stimme erreicht, zucke ich leicht zusammen und schaue überrascht auf. Er spricht zwar nur leise und unterbricht so auch den Schlaf der beiden Mädels nicht, doch kommen seine Worte so unerwartet, dass ich nicht anders kann als vor Schreck den Griff um mein Handy zu lockern, sodass es mir aus der Hand fällt. Über meine Reaktion lacht er leicht, erhebt sich von dem Stuhl und läuft in meine Richtung, doch als ihm nach kurzem Zögern etwas einfällt deutet er auf die Tür. „Ich rufe sofort eine Krankenschwester", sagt er und eilt zur Tür, an der er den Knopf betätigt um eine Schwester zu rufen.
„Wie geht's dir?", will er wissen, als er schließlich neben meinem Bett zum Stehen kommt und legt den Kopf schief. Die Besorgnis in seinen Augen lässt mich hart schlucken, denn diesen Ausdruck in den Augen meines Umfelds habe ich in den letzten Wochen bewusst ignoriert. „Gut, schätze ich?", meine Antwort klingt wie eine Frage und lässt seine Mundwinkel in die Höhe steigen. „Wir haben uns unglaubliche Sorgen gemacht", murmelt er und läuft die letzten Schritte zu mir, um mich in eine Umarmung zu ziehen.

Etwa eine halbe Stunde nachdem die Krankenschwester nach mir geschaut und mich kontrolliert hat, taucht Fatih mit Alim und Yasir auf. Mein Blick fällt sofort auf die tiefen, dunklen Augenringe, die sich bei allen dreien über Nacht gebildet haben, denn gestern waren sie noch nicht da. „Zuckerengel", Fatihs linker Mundwinkel zuckt in die Höhe, während er mich mustert und ich kann nicht anders, als ihm ein breites Grinsen zu schenken. „Habt ihr die Klausur mitgeschrieben?", frage ich ohne Umschweife und beobachte ihn beim Nicken. „Zwar nur widerwillig, aber ja. Du hast noch geschlafen, da konnten wir schließlich nichts anderes als warten. Und du weißt, dass der Dozent, bei dem wir die Vorlesung besucht haben, nach diesem Semester in Rente geht. Wenn wir nicht mitgeschrieben hätten, hätten wir die Vorlesung nächstes Jahr also nochmal besuchen müssen", er kratzt sich am Nacken. „Hoffentlich konntet ihr euch konzentrieren", murmele ich und senke meine Blicke auf meine Hände, die ineinander geknotet in meinem Schoß liegen.
„Wir haben mit den Jungs unsere Antworten abgeglichen, wenn die Rechnungen falsch waren, dann bei uns allen und das ist relativ unwahrscheinlich", ein breites Grinsen schleicht sich auf Fatihs Lippen, doch ich kenne ihn inzwischen viel zu gut, um zu wissen, dass es erzwungen ist. „Du bist in deiner Nachricht nicht drauf eingegangen, aber ich habe heute morgen deinen Eltern Bescheid gesagt, dass du im Krankenhaus liegst. Deine Mutter hat sich direkt freigenommen und fährt mit Mihriban her", vorsichtig streicht mir Fatih eine Strähne vom Gesicht. Ich weiß nichts darauf zu antworten, weswegen ich lediglich nicke.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt