32. Beşir - Verkünder einer guten Nachricht

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FATIH

„Du trägst mich, während ich dich trag'."

Kool Savas — Krieg und Frieden

— 6 Jahre später —

„Fatih", flüstert Mislina und zieht automatisch meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Mit nur einem Wort von ihr verliert das Fußballspiel, das ich gerade verfolge, an Bedeutung. Es rückt in den Hintergrund, während mein Blick auf Mislina ruht. Sie steht in der Wohnzimmertür, zittert am ganzen Körper, weint und hält gleichzeitig etwas in ihrer rechten Hand. Völlig panisch erhebe ich mich aus dem Sofa und eile auf sie zu, nehme ihr Gesicht in meine Hände und versuche ihr in die Augen zu schauen. Ihre Sicht ist verschleiert, deswegen blinzelt sie ein Paar Mal, ehe sie sich mit der freien Hand übers Gesicht wischt und mir den Gegenstand hinhält, den sie festgehalten hat. Ich lasse eine meiner Hände dahin gleiten und inspiziere es.

Es ist ein Schwangerschaftstest. Davon haben wir in den letzten Jahren schon mehrere gemacht, daher kenne ich mich inzwischen besonders gut aus. Jedoch überrascht mich das Ergebnis, das auf dem kleinen Fenster zu sehen ist — neben dem ersten Strich, der bei positiven und negativen Tests zu sehen ist, sticht mir ein klarer zweiter Strich ins Auge. Schwanger. Mislina ist schwanger!

„Oh Gott", flüstere ich und drücke meine Ehefrau an meine Brust. „Du bist schwanger", spreche ich überfordert aus. Ich presse meine Augenlider aufeinander, vergrabe mein Gesicht in Mislinas Haaren und lasse die Information auf mich sacken.

In den ersten Jahren unserer Ehe war Mislina mit ihrem Studium beschäftigt und ich mit meinem Trainee-Programm — da hatten wir nicht wirklich die Zeit an Nachwuchs zu denken. Doch das änderte sich in den letzten drei Jahren. Wir hatten in dieser Zeit mehrmals versucht Kinder zu bekommen. Nach den erfolglosen Jahren, in denen wir auch die künstliche Befruchtung ausprobiert hatten, hatten wir letztendlich die Hoffnung auf eigene Kinder aufgegeben. Das war für uns beide eine schwere Einsicht, die uns mental sehr belastet hatte. Wir haben uns mehrere Monate nicht davon erholen können, obwohl uns schon von vornherein bewusst war, dass wir eventuell keine eigenen Kinder kriegen könnten. Dass Zümra nun für ihr viertes und Verâ für ihr fünftes Kind schwanger waren, machte uns die ganze Einsicht nur noch schwerer. Während alle unsere Freunde und Geschwister — mehrere — Kinder hatten, hatten wir keines. Wir gönnten allen ihr Glück, so war es nicht, nur war die Prüfung, der wir damit ausgesetzt waren, wirklich schwer zu schaffen.

„Fatih, wir kriegen ein Kind", unterbricht meine Ehefrau meine Gedanken. Automatisch löse ich mich aus der Umarmung und lege meine Stirn an ihre. „Wir werden Eltern", lächle ich breit und drücke ihr einen Kuss auf den Mund. Wir lachen und weinen im gleichen Moment. Mit wird ein weiteres Mal bewusst, dass das Leben uns immer Überraschungen bereithält.

***

Es vergehen zwei Monate, in denen wir erstmal niemandem von Mislinas Schwangerschaft erzählen. Im allgemeinen sind die ersten Wochen jeder Schwangerschaft risikoreich und besonders in Mislinas Fall hat uns ihre Ärztin gebeten, es erstmal für uns zu behalten. Doch nun — in ihrer neunten Schwangerschaftswoche — sind wir mit unserer Familie versammelt. Auch meine Eltern sind aus Kassel hergereist, als wir sie darum gebeten haben.

„Oh Gott, ich bin so aufgeregt", Mislina beißt sich auf die Unterlippe und legt ihre rechte Hand auf ihren Bauch. Mir fällt auf, dass sie das seit dem positiven Test immer öfter tut. Es hat vermutlich etwas mit dem Beschützerinstinkt zu tun, den Mütter ausprägen, sobald es um ihre Kinder geht.
„Los, lass es uns endlich hinter uns bringen", ich grinse leicht und deute auf die Wohnzimmertür. Wir befinden uns mit dem Vorwand, dass wir Kaffee vorbeireiten, in der Küche. Zwar brüht die Kaffeemaschine gerade die ersten beiden Tassen, doch unsere eigentliche Absicht war es uns nochmal abzusprechen. „Gute Idee", Mislina greift nach meiner Hand und macht den ersten Schritt. Sobald wir in der Tür stehen und ins Wohnzimmer blicken, heben sich die meisten Köpfe. „Wir müssen euch etwas verkünden", fange ich an und sorge dafür, dass nun alle zu uns schauen. Mislina legt ihre freie Hand auf ihren Bauch, schaut für einen kurzen Moment runter — als wolle sie von dem heranwachsenden Embryo den nötigen Mut tanken.„Ich bin schwanger", sie sagt diese drei Worte laut heraus, beißt sich im nächsten Moment jedoch auf die Unterlippe. Ich lasse meinen Blick von meiner Ehefrau zu unserer Familie wandern und schaue in überraschte Gesichter. Sie versuchen die Information zu verarbeiten.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt