Bonuskapitel 7 - Ubeyd

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Klarheit

UBEYD

„What one loves in childhood stays in the heart forever"

Mary Jo Putney

„azumz und 24 weiteren Personen gefällt dein Bild", lese ich die Benachrichtigung von Instagram, die mir mitteilt, dass Azra — die Tochter von Tante Beyda — mein letztes Instagrambild geliket hat. Auf diesem bin ich zu sehen, vor einer, mit Graffiti besprühten, Wand vor dem Jugendhaus, wo ich einige Jugendliche beim Sprayen betreue. Es ist ein Schnappschuss von Mina, die mich nach ihrer Ankunft in Stuttgart hier überrascht hat und somit ein wirklich herzliches Lachen erwischt hat. Ich stehe nur wenige Schritte vor der frisch besprühten Wand und blicke lachend zu Samet — einem bosnischen Freund, der ebenfalls im Jugendhaus arbeitet —, der aber nicht auf dem Bild zu sehen ist. Mein rechter Grübchen ist deutlich zu erkennen, genauso wie meine tiefen Augenringe.
Die Wand im Hintergrund zeigt unser neuestes Projekt: wir arbeiten an einer Skyline von Stuttgart, in der wir für die Jugendlichen wichtige Orte besonders hervorheben. Zum Beispiel war einem der Jungs der Mercedes-Stern auf dem Aussichtsturm am Hauptbahnhof so wichtig, dass dieser einem deutlich ins Auge springt. Eine der wenigen Mädchen wollte ihr Hauptaugenmerk auf das Mercedes-Museum legen, sodass auch diese architektonische Schönheit zu sehen ist. Samet wollte die drei Porsche 911er, die auf dem Porscheplatz vor dem Porschemuseum in den 24 Metern Höhe auf den Spitzen von Stelen stehen, in unserer Skyline aufnehmen. Da er aber nicht gerne präzise arbeitet, sondern die großflächige Arbeit übernimmt, blieb das sprayen der 911er an mir hängen.
Allein bei dem Gedanken an die Reaktion der Jugendlichen, nachdem ich ihnen von Samets und meiner Idee erzählt hatte, schleicht sich ein zufriedenes Lächeln auf meine Lippen.
„Hast du das gesprayt?", dass mir Azra eine Nachricht schickt, überrumpelt mich etwas. „Teilweise, das meiste ist von den Mädchen und Jungs aus dem Jugendhaus", antworte ich ihr und lege mein Handy wieder weg, damit ich mich auf meine Abgabe konzentrieren kann.
An den Wochenenden, wo Mina zuhause ist, fehlt mir die Zeit um etwas für die Uni zu tun und unter der Woche bin ich ohnehin zu überbelastet, um etwas zu tun, weswegen sich meine Aufgaben anstauen.

Ich seufze tief, da meine Gedanken um Azra nicht aufhören möchten. Mein Herz sehnt sich nach ihr, obwohl ich weiß, dass es das nicht sollte.
Denn sie ist die Tochter von Beyda Teyze — der ehemaligen besten Freundin meines Onkels, mit der er letztlich im Streit auseinander gegangen ist.

Kopfschüttelnd erhebe ich mich von meinem Stuhl und laufe die Treppen runter in die Küche, wo ich überrascht stehenbleibe, denn Mihriban Hala und Mısra sitzen mit meiner Mutter und Rabia am Küchentisch. „Hoş geldiniz (Herzlich willkommen)", begrüße ich unsere Gäste und drücke meiner Tante einen Kuss aufs Haar. Mısra sitzt wenige Schritte vor der Kaffeemaschine, weswegen ich ihr beim dorthin Laufen durch die Haare fahre und ihre Locken nur noch unordentlicher mache. „Ubeyd", knurrt sie und sorgt dafür, dass sich das Grinsen auf meinem Gesicht weiter ausbreitet. „Trinkt ihr Kaffee?", frage ich in die Runde und hole — nach ihren zustimmenden Antworten — fünf Kaffeetassen aus dem Schrank. „Mach dir deinen und geh weiter lernen, Ubeyd", meine Mutter duldet keine Widerworte, weswegen ich nickend meine Tasse unter die Öffnung der Kaffeemaschine stelle. „Brauchst du noch lange?", ertönt Mısras Stimme, weswegen ich mich grinsend zu ihr wende. „Eine Stunde mindestens, wieso?", ich strecke mich und lasse meine Knochen knacksen, woraufhin meine Tante das Gesicht verzieht. „Sorry", murmele ich und blicke abwartend zu Mısra.
„Ein Tag ist nur dann gelungen, wenn ich dir auf die Nerven gehen kann", über ihre Worte muss Mısra auch selbst lachen und kopfschüttelnd stelle ich die nächsten beiden Tassen unter die Kaffeemaschine, nachdem ich meine auf dem Tresen abstelle.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt