17. Vergeben

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MISLINA

"I believe forgiveness is the best form of love in any relationship. It takes a strong person to say they're sorry and an even stronger person to forgive."

Yolanda Hadid

„Ich weiß um ehrlich zu sein nicht genau, was ich sagen soll", Fatih unterbricht die Stille, die seit zwei Minuten herrscht. Wir laufen langsam um den künstlich angelegten See, ich einige Schritte vor ihm. „Aber eins möchte ich dir sagen", ich spüre Fatihs Finger an meinen Handgelenk und drehe mich zögernd zu ihm um. „Du hast dafür gesorgt, dass der endlos erscheinende Winter in meinem Herzen durch warme Sonnenstrahlen ersetzt wurde. Durch dich konnten Blumen in mir wachsen", kurz zucken meine Mundwinkel in die Höhe, denn die Metaphern, die er benutzt, sind — obwohl sie so kitschig klingen — süß. „Du hast meine schwarz-weiße Welt mit farbenfrohen Tönen gemalt. Ich habe nach so vielen Jahren wieder gelernt, was es bedeutet zu leben und zu lieben und das habe ich nur dir zu verdanken", seine Augen blitzen voller Freude auf und ein liebevolles Lächeln ziert sein Gesicht. „Am angebrachtesten wäre es vermutlich, wenn ich mich entschuldigen würde. Aber wenn ich ehrlich sein muss, würde ich mir an deiner Stelle nicht verzeihen, weil ich Worte in den Mund genommen habe, die keinesfalls harmlos waren und die auch keineswegs der Wahrheit entsprachen. Ich liebe dich, Mislina, als die starke Person, die mir gezeigt hat, dass auch ich meine liebevollen Seiten habe. In den letzten Wochen habe ich realisiert, dass jeder Mensch, dass wir alle jemanden brauchen, der uns liebt und uns beibringt, dass wir liebenswürdig sind — ganz besonders ich", er atmet tief durch, schließt für einen kurzen Augenblick die Augen. „Was ich damit sagen möchte ist nicht, dass du dich nicht selbst liebst, denn das tust du — das weiß ich. Nur möchte ich dich fragen, ob du mich trotz allem lieben kannst", er legt den Kopf schief, schaut mich aus seinen blauen Augen intensiv an und lächelt leicht. In dem Moment realisiere ich, dass ich ihm — egal was es ist — verzeihen würde, sobald er mich so anschaut. So wie jetzt auch. Er wirkt so kindlich, so friedlich und gleichzeitig so reuevoll. „Denn wenn du mich lieben könntest, würde ich dich gerne für ein Leben lang an meiner Seite haben. Dich und sonst niemanden. Ich möchte keinen Tag mehr verbringen, an dem ich nachts schlaflos im Bett liege, daran denke, was ich alles zerstört habe. Ich möchte nie wieder daran denken, dass mich all diese Wege überall hinbringen, nur nicht zu dir. Ich möchte dich an meiner Seite haben, bis ich sterbe. Möchte, dass meine Töchter deine blonden Löckchen haben", er legt eine kurze Pause ein, in der er breit lächelnd auf meine Haare schaut. „Ich möchte dich heiraten, Mislina. Und vermutlich hast du bereits durchschaut, dass ich deinen Vater in mein Vorhaben eingeweiht habe", das Lächeln wandelt sich in ein Grinsen, und ich spüre, wie das Herz in meiner Brust ungesund schlägt. Er hat nicht nur meinen Vater, sondern alle eingeweiht. Alle, bis auf mich. Und das zeigt mir, wie ernst er es mit mir meint. Als Fatihs Hand in seine Jackentasche wandert, schaue ich unwillkürlich dorthin und erblicke eine kleine Samtschachtel.

Das ist doch nicht sein Ernst.

„Möchtest du meine Frau werden, Mislina?", fragt er und öffnet die Schachtel. Fragende Blicke liegen auf mir, während ich den zierlichen Ring fixiere, der in dem schwarzen Samt schimmert.

Es ist sein voller Ernst.

Ich erkenne, dass der Ring aus zwei ineinander geflochtenen Ringschienen besteht, die mit kleinen Diamanten besetzt sind, so als wären es kleine Rosenknospen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie lange Amed für den Ring gebraucht hat und wie viel Geld Fatih dafür zahlen musste. Mein Blick huscht zwischen dem wunderschönen Ring und dem noch schöneren Mann hin und her, der ihn mir hinhält. Ich merke, dass er mit der Angst kämpft, mich zu verlieren. Mein Zögern, meine Stille und meine Ausdruckslosigkeit deutet er falsch, denn seine Augen füllen sich mit Tränen.
„Also, willst du mich heiraten, Mislina?", fragt er nochmal schüchtern lächelnd, doch höre ich dieses Mal einen ängstlichen Unterton heraus.
Ich weiß nicht, wie er das schafft, doch schlägt mein Herz in diesem Moment so unregelmäßig, dass mir das Atmen schwerfällt. Bevor ich ihm meine Antwort geben kann, möchte ich eine Sache machen, also hebe ich meine rechte Hand und gebe ihm eine Ohrfeige. Verdutzt schaut er mich an, als er seinen zur Seite gekippten Kopf wieder auf die Ausgangsposition bringt. „Diese Ohrfeige hast du dir wegen deiner verletzenden Wörter in Hannover verdient", ich streiche eine lose Haarsträhne hinter mein Ohr und muss unwillkürlich bei Fatihs Anblick lächeln, „Aber wenn wir zurück zu deiner Frage kommen: ja, ich möchte dich heiraten, Fatih." Ich atme tief durch und blicke ihm in die Augen.

Es dauert einige Augenblicke, bis ihn diese Worte erreichen, doch als sein Gehirn die Information zu verarbeiten scheint, steckt er die Schatulle blitzschnell in seine Tasche und zieht mich innerhalb von Sekunden in eine Umarmung. Sobald sein Eigenduft in meine Nase steigt, atme ich mehrmals tief durch und schließe die Augen. „Danke", höre ich ihn flüstern, doch ist der Moment zu magisch, um ihn mit Wörtern zu zerstören.

Es ist ein ungewohntes Gefühl einen Ring an meinem Finger zu tragen, wissend, dass es ein Verlobungsring — mein Verlobungsring — ist. „Wie liefen deine Klausuren?", fragt Fatih, während wir nun wieder weiter um den See laufen. „Besser, als ich gedacht habe. Ich habe alle relativ gut bestanden", ich fahre mit dem Daumen über den Ring, um sicher zu gehen, dass er noch an Ort und Stelle ist. „Und deine?", frage ich kurz zögernd. Dabei schaue ich ihn von der Seite an und verliebe mich ein weiteres Mal in ihn, als seine Mundwinkel in die Höhe steigen. „Um ehrlich zu sein, habe ich mich kaum aufs Lernen konzentrieren können, weil ich mir die ganze Zeit über ausgemalt habe, wie ich dich um Verzeihung bitten kann. Ich habe drei von fünf Klausuren durchgestrichen, weil ich ohnehin durchgefallen wäre", er zuckt mit den Achseln, „aber das ist nicht weiter schlimm." Entsetzt bleibe ich stehen und blicke ihn ernst an. „Mislina, es ist wirklich nicht schlimm", er lächelt dieses Mal breit, „es war schließlich meine Schuld. All das." Ich muss hart schlucken, denn egal wie sehr er mir wehgetan hat, würde ich keineswegs wollen, dass ihn irgendwelche Schäden treffen. „Es ist trotzdem nicht sonderlich erfreulich, dass du dein Studium schleifen gelassen hast", ich verschränke die Arme vor der Brust. „Sieh's doch mal positiv", das Lächeln wandelt sich in ein Grinsen, „so hast du mich ein weiteres Semester in deiner Nähe."
Er wackelt mit den Augenbrauen und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse, weswegen ich schmunzeln muss. „Idiot", kommentiere ich nur und wende meinen Blick grinsend auf den Boden. „Vorsicht!", höre ich Fatih rufen, ehe er mich an der Taille packt und zu sich zieht. Als ich überrascht den Blick hebe, begegne ich einem Fahrradfahrer, der an uns vorbei rast. „Danke", flüstere ich, doch bin ich leicht neben der Spur, denn Fatihs Nähe betäubt meine Sinne.

„Da seid ihr ja!", ertönt plötzlich Mihribans Stimme hinter mir, weswegen ich mich aus Fatihs Griff befreie. „Ja, hier sind wir", Fatih nickt und sieht mich grinsend an. „Wie ich sehe, hast du ihm vergeben?", fragt Hajdar Abi und unwillkürlich steigen meine Mundwinkel in die Höhe — allein sein Dasein macht mich so unglaublich glücklich und erinnert mich daran, dass bald auch meine beste Freundin wieder in Deutschland sein wird. „So sieht's aus", ich laufe auf den Bruder meiner besten Freundin zu und harke mich bei ihm ein. „Wahnsinn, unser kleiner Engel ist vergeben", spricht er ungläubig und zieht mich mit sich in die Richtung, in der der Wagen steht. Ich höre, wie meine Schwester und mein Schwager Fatih gratulieren, während Hajdar Abi sein Handy zückt und Valdetja anruft. „Ich muss dir etwas erzählen, du wirst es nicht glauben!", erzählt er seiner Schwester und ehe er sich versieht greife ich nach dem Handy in seiner Hand und erzähle meiner besten Freundin davon, dass Fatih und ich uns versöhnt haben. „Ich möchte deinen Ring sehen! Schick mir sofort ein Bild", schreibt sie mir vor, bevor wir auflegen. Also bleibe ich abrupt stehen, drehe mich in die Richtung des Sees — das nun deutlich hinter uns liegt —, strecke meinen Arm aus und hebe meine Hand, sodass man sowohl den Hintergrund als auch meinen Ring sieht. Als ich nach drei geschossenen Bildern zufrieden das Handy wegstecken möchte, schubst Hajdar Abi Fatih ins Bild und so schieße ich auch eins, wo mein Verlobter zu sehen ist — wenn auch nur verschwommen.

Hoffentlich geht's euch allen in dieser seltsamen Zeit gut und ihr seid gesund.

Ich wünsche allen Muslimen einen gesegneten Ramadan ❤️

Unsere Turteltauben haben sich endlich wieder vertragen 🥳 mal sehen, wie es für sie nun weitergeht.

Hoffentlich hattet ihr Spaß am Lesen,
Bis bald,
Eure Beyza 🎈

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt