10. Brüder

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FATIH

„Everyone you meet is fighting a battle you know nothing about. Be kind. Always."

Brad Meltzer

„Junger Herr? Sie sind ja endlich auch mal da", ertönt Yasir provozierende Stimme aus dem Wohnzimmer, sobald ich die Wohnung betrete. „Akhi! Er ist auch noch nass! Was ist passiert?", Alim verlässt die Küche mit zwei Kaffeetassen und mustert mich aus kritischen Augen. „Ich springe kurz unter die Dusche und geselle mich gleich zu euch", grinse ich und eile in mein Zimmer, wo ich mir frische Kleidung zusammensammle, ehe ich im Badezimmer verschwinde.

Ich erwische mich immer wieder beim Grinsen — während das heiße Wasser meine Muskeln entspannen lässt — , versuche es aber darauf zu schieben, dass ich Mislina einen Wunsch erfüllen konnte und sie somit glücklich gemacht habe. Ich möchte mir nicht eingestehen, wieso ich so schwach werde, sobald ich von Mislina umgeben bin, doch merke ich, wie sich mein Kopf und auch mein Herz sich mit der Situation anzufreunden versuchen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, denn all das passiert, ohne jegliche Lenkung meinerseits. Ich versuche mir einzureden, dass ich nicht weiß, wieso es so wichtig für mich ist, dass Mislina glücklich ist, doch tief im Inneren ist mir alles bewusst.

Mit einer frisch gebrühten Tasse Kaffee betrete ich das Wohnzimmer und nehme zwischen Alim und Yasir Platz. Der Tschetschene greift nach dem Teller, der auf dem Couchtisch steht, und bietet mir eines seiner belegten Brötchen an. „Danke, akhi (Bruder)", ich greife nach dem Körnerbrötchen und beiße einmal rein. „Willst du uns jetzt endlich erzählen, was ihr noch mit Mislina gemacht habt? Du hast eine halbe Stunde länger als wir gebraucht, dabei ist sie diejenige, die am nächsten zu uns wohnt", Yasir schaltet den Fernseher stumm und dreht sich zu mir. „Wir haben noch ein bisschen geredet. Sie hat erzählt, wie fasziniert sie von unserem Verhältnis ist. Und sie wollte wissen, wieso du uns nicht mit deinem Auto mitnimmst, wenn du doch schon damit zur Uni fährst", erzähle ich von dem Gespräch, das wir im Auto geführt haben, bevor ich sie abgelassen habe. „Ich hatte mich schon gewundert, wieso sie nicht gefragt hat", Yasir grinst leicht, „und was hast du gesagt?" Ich atme tief durch und blicke ihm in die Augen. „Dass du der selbstloseste Mensch bist, den ich kenne, dass sie dich aber selbst nach dem Grund fragen soll", meine Worte machen meinen Bruder glücklich, das sieht man an seinen leuchtenden Augen. „Wir sind alle ein wenig selbstlos", er lächelt schief und stupst mich an. „Ja, aber dich können wir nicht übertreffen!", Alim schaut in Yasirs Augen, nur damit er unsere Worte ernst nimmt.
„Wenn du willst, kann sie Montag mit uns mitkommen — dann sieht sie auch was ich mache", Yasir versucht die, für ihn unangenehme, Situation zu überspielen und kassiert im nächsten Moment einen Nackenklatscher von Alim. „Alter?", fragt der Afghane fassungslos. „Soll ich alleine Bahnfahren?", der Tschetschene scheint alles andere als begeistert von Yasirs Idee zu sein. „Hä? Das tust du doch ständig?", Yasirs Verständnislosigkeit ist ihm in Gesicht geschrieben, „aber wir können dich auch kurz abholen, bevor wir zur Uni fahren."

Hast du Montag in der Frühe Lust zu erfahren, was Yasir so macht?", schreibe ich Mislina eine Nachricht und muss auch nicht lange auf ihre zustimmende Antwort warten. „Dann sei etwa gegen 6 fertig, wir kommen dich dann abholen", tippe ich und stecke mein Handy weg.
„Sie hat zugesagt", informiere ich Yasir und beobachte ihn beim Grinsen.

Das Wochenende verbringen die Jungs und ich damit, dass wir die ersten Vorlesungen des Semesters nochmal zusammenfassen — da wir alle neben der Uni her arbeiten, können wir es uns nicht leisten, uns beim Lernen Zeit zu lassen.

„Fatih?", weckt mich Yasirs Stimme aus meinem Schlaf. „Akhi (Bruder) wir müssen gleich los", seine Stimmlage ist so sanft, dass sie mich schläfrig macht. „Sonst fahre ich alleine mit Mislina, das willst du doch ganz sicher nicht", spricht er provozierend und mit einem Mal bin ich so energisch, dass ich ihm mein Kissen ins Gesicht werfe. „Wag es ja nicht!", warne ich ihn und erhebe mich von meinem Bett, um den sanften Klauen des Schlafs zu entkommen. „Sei in 15 Minuten fertig, ich wecke kurz die Jungs, dann können wir gemeinsam beten, bevor wir das Haus verlassen", höre ich ihn noch sagen, ehe ich mein Zimmer verlasse, um ins Bad zu laufen.

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt