19. Rückblick

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MISLINA

„My favorite part is wehre you walked into my life. You didn't know me, yet something told you to walk a little more."

JmStorm

Ich genieße jeden Augenblick, den ich mit Fatih erlebe — auch wenn es nur in Gedanken an ihn ist. Es ist etwas kostbares jemanden zu lieben, der einen im gleichen Maße bedingungslos zurück liebt. Es ist etwas, was mir unbekannt ist, denn bisher war ich nie richtig verliebt.
Ich habe von Azad Abi geschwärmt, wie ein kleines Kind von ihrem Vater oder einer anderen männlichen Bezugsperson schwärmt. Doch nun darf ich am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet geliebt zu werden, und mit jeder Sekunde werde ich dankbarer, denn all das ist nicht selbstverständlich.
Nicht, dass ich hier mit meinem Verlobten sitze und ihn beobachte.
Nicht, dass wir gemeinsam in meiner Heimatstadt sind, während wir uns eigentlich langsam aber sicher auf die kommende Klausurphase vorbereiten sollten.

Und gleichzeitig mit dem Gedanken an die Klausurphase kommt mir in den Sinn, wie lange wir nun mit Fatih verlobt sind. Insgesamt schon drei Monate.
Verlobt. Früher kam mir das immer so weit entfernt vor und wer weiß, vielleicht wäre es das auch jetzt noch, wenn Fatih und ich uns damals nicht gestritten hätten und wenn er eine Verlobung nicht als einzigen Schlichtungsverfahren gesehen hätte.

„Fatih?", unterbreche ich die Stille, die seit einigen Minuten herrscht, aber keineswegs unangenehm ist. In dieser Zeit konnte ich sorglos meinen Gedanken nachgehen, konnte Fatih dabei beobachten, wie er mich beobachtet hat. Ein Grinsen schleicht sich unwillkürlich auf mein Gesicht, und ich lege meine Wange verträumt in meine offene Hand. Den Arm stütze ich dabei auf dem Tisch ab und möchte mir gar nicht vorstellen, wie kitschig wir von außen aussehen.
„Ja?", er schüttelt leicht den Kopf, vermutlich um seine Gedanken zur Seite zu schieben, und blickt mir tief in die Augen. Das friedliche Blau bringt mich in meinen Gedanken wie von selbst an einen Strand an einem warmen Sommertag, weswegen nun ich mit dem Kopf schüttle und versuche mich darauf zu konzentrieren, dass ich ihn etwas fragen wollte.

„Was war dein erster Eindruck von mir?", forsche ich vorsichtig nach, denn eigentlich habe ich Angst vor seiner Antwort. Auch wenn wir nun verlobt sind, ich mir wirklich sicher bin, dass er mich liebt, will ich wissen, was er damals von mir dachte. „Wie kommst du jetzt auf die Frage?", Fatihs Mundwinkel ziehen sich in die Höhe und er greift nach seiner Tasse. Dabei fällt mein Blick unwillkürlich auf den silber aufblitzenden Ring an seinem rechten Ringfinger, weswegen ich etwas verträumt auf seine Hand schaue.
„Zuckerengel?", als ich meinen Kosenamen höre, blicke ich überrascht auf und realisiere erst einige Augenblicke später, dass ich vermutlich einige Minuten nicht ansprechbar war.
Kurz streiche ich meine Haare hinter meine Ohren, nehme einen Schluck von meinem Kaffee und setze zum Sprechen an. „Eigentlich interessiert mich das schon seit unserem ersten Aufeinandertreffen. Ich wollte schon direkt danach wissen, ob du ein positives Bild von mir hattest, ob du auch an mich denken musstest", ich zucke mit den Achseln und sorge für ein breites Grinsen auf Fatihs Gesicht. „Es ist unmöglich einen schlechten ersten Eindruck von dir zu haben, Zuckerengel", er blickt intensiv in meine Augen, während er das sagt. „Und natürlich musste ich an dich denken. Du kannst dir nicht vorstellen, wie gut mir das Gespräch mit dir getan hat, wie dankbar ich dir eigentlich war, dass du da warst und dich nicht von meiner Art einschüchtern lassen hast. Ich hab am nächsten Morgen mit Zümra über dich gesprochen und das mit einem Lächeln im Gesicht", er zuckt mit den Achseln und legt den Kopf schief. Seine Worte lassen mich unwillkürlich lächeln. „Aber weißt du, ab wann du mir wirklich nicht mehr aus dem Kopf gegangen bist?", ein schelmisches Grinsen bildet sich auf Fatihs Gesicht und fragend hebe ich eine Augenbraue in die Höhe. „Seit Zümras Hochzeit. Seitdem ich dich mit diesem knallroten Lippenstift gesehen habe, der mir schon fast den Verstand geraubt hat", er grinst leicht und starrt für einen kurzen Augenblick auf meine Lippen, die auch heute von dem gleichen Lippenstift geziert sind, „Aber vor allem dann, als du mir in der Nacht, kurz bevor Azad und Zümra aus dem Saal gegangen sind, nach draußen gefolgt bist und mich aufgemuntert hast."

Bunter SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt