FATIH
„As she lay her head upon his chest his heart beat to a tune. That soothed Her soul."
Louise Alexandra Erskine
„Fatih, sitzt meine Krawatte?", höre ich meinen Schwiegervater fragen und drehe mich zu ihm. Breit grinsend laufe ich die wenigen Schritte auf ihn zu und zupfe sie zurecht. „Jetzt sitzt sie perfekt, Baba", ich trete wieder einen Schritt zurück und blicke mich im Wohnzimmer um. Der Raum ist gut gefüllt und jeder ist in Gespräche vertieft. „Es ist echt voll, nicht wahr?", zieht die Stimme meines Schwiegervaters erneut meine Aufmerksamkeit auf sich. Neben den Familien unserer Freunde, füllen weitere Bekannte der Familie Ünal das geräumige Zimmer. Sie sind alle versammelt, weil heute Mihriban und Selim heiraten werden und gleich die Brautabholung stattfinden wird. „Ja, aber das zeigt wie gerne all diese Menschen eure freudigen Momente teilen", ich lächle schief und warte darauf, dass sich die — in der Luft schwebende — Hand meines Schwiegervaters auf meiner Schulter ablegt. Meine Muskeln entspannen, sobald er den Arm um meine Schulter legt, kleine Schritte macht und mich dabei mit sich zieht. „Alle Anwesenden sind auch Leute, die uns beistanden, als wir trauerten, litten. Deswegen ist ihr Dasein sehr wertvoll für mich. Ich möchte dich allen vorstellen, bevor ich hoch zu meinen Töchtern muss", er lenkt mich in die Richtung des Sofas und bleibt kurz vorher stehen. Voller Stolz stellt er mich den Männern vor, denen ich nacheinander die Hand reiche und mit denen ich plaudere.
„Fatih, kannst du kurz kommen?", höre ich meine Schwiegermutter nach mir rufen und drehe mich nach ihr um. Sie steht in der Tür zur Küche, weswegen ich denke, dass sie Hilfe braucht. Ich nicke lächelnd, wende mich zu den Freunden meines Schwiegervaters, verabschiede mich von ihnen und eile zu meiner Schwiegermutter. „Ich wollte dich nur vor den Freunden deines Schwiegervaters retten", lacht sie und entlockt mir ebenfalls ein herzliches Lachen. „Aber wenn du schon hier bist, kannst du uns ja unter die Arme greifen", schlägt meine Mutter vor und öffnet die Deckel der Töpfe, um den Gästen Teller vorzubereiten. „Liebend gerne", ich stelle mich zwischen meine Mutter und Schwiegermutter an den Herd und schaue die Gerichte an, die seit Tagen vorbereiten wurden. „Steht dein Wechsel nun endgültig fest?", fragt Verâs Mutter, während mir meine Mutter den ersten fertigen Teller in die Hand drückt und nach einem zweiten greift. „Ja, soweit ist alles geklärt. Ich hätte zwar gerne meine Stelle behalten, aber das Traineeprogramm bei Mahle wird mich auch weiter bringen", ich greife nun auch nach dem zweiten Teller, der mir gereicht wird und verlasse die Küche.
So geht das weiter, bis der Tellerstapel immer weniger wird und die meisten im Wohnzimmer versorgt sind. „Kaffee?", frage ich in die Runde – neben meiner Mutter, meiner Schwiegermutter und Verâs Mutter befindet sich noch Hajdars Mutter in der Küche. Währenddessen sind meine Milchmütter und die Mütter der Freunde von Okan Abi im Wohnzimmer und kümmern sich um die Gäste. Ich bekomme als Antwort lediglich vier Nicken, was aber völlig ausreichend ist. Sie alle sind müde und erschöpft. Außerdem muss sich meine Schwiegermutter heute von ihrer Tochter trennen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie schwer das alles für sie ist.
„Mein Sohn, ich weiß das wirklich sehr zu schätzen, dass du dir hier eine Arbeitsstelle gesucht hast und Mislina nicht mit nach Kassel nimmst", die Hand meiner Schwiegermutter greift nach meiner, die neben meiner — inzwischen leeren — Kaffeetasse auf dem Küchentisch liegt. „Ich weiß, Anne. Aber es ist das mindeste, was ich für Mislina machen kann. Ich weiß, dass ich der Hauptgrund für ihren Umzug nach Hannover war. Jetzt bin ich an der Reihe etwas aufzuopfern", ich lehne mich im Stuhl zurück und starre an die Decke.
Es war keineswegs leicht diese Entscheidung zu treffen – eine nahezu perfekte, unbefristete Stelle aufzugeben, nur um an einem Traineeprogramm teilzunehmen, setzt mir eigentlich zu. Doch mir ist bewusst, dass eine gesunde Beziehung nur dann laufen kann, wenn man aufeinander zukommt. Mislina hat für mich viele Opfer gebracht, nun bin ich an der Reihe.
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Bunter Schatten
Teen Fiction„She found the colors to paint him where the world had left him gray." - Atticus „Zufall, dass alle deine Instagram-Bilder schwarz-weiß sind, nur das mit mir in Farbe?", liest Fatih Mislinas Nachricht und muss sein Grinsen unterdrücken. „Wie oft sol...